Österreich: Wo die kecke Gemse springt

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In der Steiermark, einem nicht nur an landschaftlicher Schönheit und Kulinarik, sondern auch an Historie überaus reichen Bundesland der heutigen Republik Österreich, halten sich Teile des politischen Führungspersonals gern gedanklich in längst verblühten Zeiten auf. Davon zeugt aktuell ein Vorstoß der FPÖ-geführten Landesregierung: Sie will die steirische Landeshymne in die Landesverfassung aufnehmen. Ein Plan von nicht unerheblicher diplomatischer Sprengkraft.

Persönlich darf man dem Textdichter des auch als Dachsteinlied bekannten Stücks, dem Grazer Buchhändler Jakob Dirnböck, wohl zugutehalten, dass er keine geostrategischen Hintergedanken hegte, als er im Herbst 1844 anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Steiermärkischen Landwirtschaftsgesellschaft eine Reihe von Tatsachen in Reimform goss, die bis heute unstrittig sind: etwa jene, dass in seiner Heimatregion „die Gemse keck von der Felswand springt“ und „die Sennerin frohe Jodler singt“. Mehr Konfliktstoff bergen dagegen aus heutiger Sicht jene Passagen, in denen Dirnböck die geografische Ausdehnung dieses Idylls umreißt. Nämlich: „bis ins Wendenland im Tal der Sav‘“ und „bis ins Rebenland im Tal der Drav‘“. Da haben sich die Zeiten dann doch geändert.

Sloweniens Außenministerin warnt vor dem Beschluss

Die südlichen Teile der historischen Steiermark (slowenisch: Štajerska), wo die Flüsse Save und Drau fließen, wurden nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Vertrag von Saint-Germain 1919 dem damaligen Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen zugesprochen, aus dem das spätere Jugoslawien hervorging – und 1991 das unabhängige Slowenien. Dessen Außenministerin Tanja Fajon mahnt jetzt ihre nördlichen Nachbarn, das Dachsteinlied, das schon seit einem Landtagsbeschluss von 1929 steirische Landeshymne ist, nicht auch noch in Verfassungsrang zu heben: Eine derartige Aufwertung könnte in Slowenien nämlich als offizielle Gebietsforderung interpretiert werden. „Wir leben in einem sehr angespannten geopolitischen Umfeld“, sagte sie in einem Interview.

Der steirische Landeshauptmann Mario Kunasek von der FPÖ hat derlei Kritik schon Anfang des Jahres zum Anlass genommen, gegen die südlichen Nachbarn zu keilen: „Anders als die slowenische Volksgruppe in Österreich“, schrieb er auf Facebook, „sind in Slowenien Altösterreicher deutscher Muttersprache immer noch vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt und nicht als autochthone Volksgruppe anerkannt.“ Der Juniorpartner in der steirischen Koalition, die konservative ÖVP, verweist dagegen auf die möglicherweise „verbindende Wirkung“ der Hymne.

Ob die für eine Verfassungsänderung nötige Zweidrittelmehrheit zustande kommt, ist fraglich; dafür fehlen der FPÖ-ÖVP-Koalition nämlich genau zwei Sitze im Landtag. Und aus den anderen Parteien ist bislang eher weniger Überschwang in Bezug auf den Hymnen-Plan zu vernehmen. Die diplomatische Krise allerdings ist längst entfacht. Als konstruktiven Ausweg schlägt der Verleger und Fernsehmoderator Lojze Wieser, der selbst der slowenischen Volksgruppe in Österreich angehört, vor, für derlei gestriges Liedgut ein „Museum der verbrauchten Hymnen“ zu schaffen: „Dort wären sie gut untergebracht und könnten keinen Schaden mehr anrichten.“

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