Deutschlands 1:4 gegen Schweden bei Fußball-EM: Mehr als nur eine Niederlage

vor 7 Stunden 1

Deutschlands 1:4 gegen Schweden Eine große Niederlage und ganz viele kleine

Gruppensieg verpasst, keine echte Rechtsverteidigerin mehr und ein Trainer, der vom selbst ausgelösten Wirbel um Torhüterin Berger überrascht ist: Die DFB-Auswahl erlebt einen Abend mit Stimmungskiller-Potenzial.

Aus Zürich berichtet Jan Göbel

13.07.2025, 06.52 Uhr

 »Jeder weiß, wie riskant wir spielen.«

Bundestrainer Christian Wück (links) und Kapitänin Janina Minge: »Jeder weiß, wie riskant wir spielen.«

Foto:

Sebastian Christoph Gollnow / dpa

Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.

Vermutlich hätten selbst die größten Berufspessimisten einen solchen Ausgang dieses Abends für unwahrscheinlich gehalten.

Das Stadion am Letzigrund war ausverkauft, die Fanlager beider Teams zogen bereits Stunden vor Anpfiff euphorisch durch die Gassen von Zürich, dazu ein wunderbarer Sommerabend bei über 20 Grad. Sowohl die deutschen als auch die schwedischen Fußballerinnen standen bereits sicher im Viertelfinale der EM, es ging nur noch um den Gruppensieg. Also darum, wer wahrscheinlich auf Frankreich oder England trifft – im Prinzip zwei etwa gleich starke Mannschaften.

Klar, ein Gruppensieg hätte bedeutet, dass man Spanien in einem möglichen Halbfinale aus dem Weg geht, aber Zukunftsmusik. So viel stand also gar nicht auf dem Spiel im letzten Gruppenduell. So viel konnte gar nicht schiefgehen.

Am Ende dieses Abends sagte Bundestrainer Christian Wück jedoch: »Wir liegen ein bisschen am Boden.« Er sprach davon, dass man sich in den nächsten Tagen wieder aufrichten müsse.

 »Das muss ganz schnell raus aus den Köpfen«

Wück und Spielerinnen: »Das muss ganz schnell raus aus den Köpfen«

Foto: Sebastian Christoph Gollnow / dpa

Sätze, die man eigentlich am Ende einer Endrunde hört, nach dem großen Schiffbruch. Aber erheblichen Schaden hatte die deutsche EM-Mission an diesem Abend auch ohne ein Ausscheiden genommen.

Die 1:4-Pleite gegen Schweden brachte die DFB-Auswahl nämlich nicht nur um den Gruppensieg, sie war auch eine große Niederlage, in der noch viele kleine steckten.

»Das muss ganz schnell raus aus den Köpfen«, sagte Wück auf der Pressekonferenz, immer wieder rieb er sich die Hände, wirkte mitgenommen.

Hinterher war man sich aber gar nicht so sicher, was nun am schwersten wog: die Aktion von Rechtsverteidigerin Carlotta Wamser, die mit der Hand versucht hatte, das 1:3 zu verhindern, wofür sie die Rote Karte sah? Der anschließende Elfmeter führte dann trotzdem zum 1:3 in der 34. Minute. Es war der K.-o.-Schlag.

Durch die Rote Karte steht zudem fest, dass Bundestrainer Wück nach dem Ausfall von Kapitänin Giulia Gwinn im ersten Spiel jetzt auch ihren Ersatz Wamser verloren hat. Die Position der Rechtsverteidigerin ist vor dem Viertelfinale mehr oder weniger unbesetzt.

»Jeder weiß, wie riskant wir spielen.«

Oder wog doch etwas anderes schwerer, etwas Grundsätzliches? Etwa wie fahrlässig und offensiv die Abwehr nach einem starken deutschen Beginn mit der 1:0-Führung durch Jule Brand verteidigt hatte?

Beim 1:1 war Rebecca Knaak völlig falsch positioniert und Sarai Linder sah beim 1:2 im Laufduell gegen Smilla Holmberg alt aus. Das bewies nur, dass die deutsche Defensive die Schwachstelle bei der EM ist. Das war auch die Befürchtung im Vorfeld des Turniers. Umso mehr fragt man sich, ob eine derart offensiv ausgerichtete Abwehr überhaupt der richtige Ansatz ist.

Janina Minge sagte später in der Interviewzone: »Jeder weiß, wie riskant wir spielen.«

Sätze, die tief blicken lassen. Als wäre die deutsche Auswahl zu einem Pokerturnier gefahren und würde dort ausschließlich mit offenen Karten spielen. Um mit einer solchen Spielweise dauerhaft zu gewinnen, braucht man schon extrem viel Glück.

Minge sagte noch: »Jeder Ballverlust wird bei uns zum Killer.«

Es waren ziemlich forsche Worte – vor allem, weil sie von der Kapitänin kommen. Die Frage ist, ob sie eine Kritik an den Mitspielerinnen waren oder ob sie den offensiven Ansatz des Trainers grundsätzlich infrage stellten.

Hätte das Team vielleicht doch lieber mehr Sicherheit, wie etwa bei Olympia unter Horst Hrubesch, als man sich mit wahren Abwehrschlachten die Bronzemedaille gesichert hatte?

Wück schloss einen solchen Ansatz schon mehrfach aus und tat dies an diesem Abend erneut. Er habe dafür nicht die passenden Spielerinnen im Kader.

Tatsächlich hat sich der Kader seit Olympia geändert, gerade in der Abwehr: Marina Hegering ist nicht mehr dabei, Felicitas Rauch wurde von Wück aussortiert und Kathrin Hendrich spielte bei dieser EM bisher nur eine Nebenrolle. Hinzu kam noch Gwinns Knieverletzung.

Verletzte Gwinn ist als Unterstützerin dabei gewesen

Verletzte Gwinn ist als Unterstützerin dabei gewesen

Foto: Sebastian Christoph Gollnow / dpa

So lässt sich der Hrubesch-Stil kaum wiederholen. Trotzdem hat Wück an diesem Abend gegen den ersten wirklich starken Gegner bei dieser EM vor Augen geführt bekommen, dass sein Team erhebliche Absicherungsprobleme hat.

Bis zum Viertelfinale am nächsten Samstag (der Gegner steht am Sonntagabend fest) bleiben der DFB-Auswahl sechs Tage Zeit für kleinere Kurskorrekturen. Zeit zur Regeneration vom langen Spiel in Unterzahl. Zeit zum Aufarbeiten der Niederlage.

Und ein Thema gab es noch.

Zur allgemeinen Unsicherheit trug nun auch Torhüterin Ann-Katrin Berger bei, die das Team bei den Olympischen Spielen an manchen Tagen im Alleingang durch das Turnier trug. Bei dieser EM fällt sie auf, weil sie so oft gegen ihre Gegnerinnen dribbelt. Vielleicht fällt sie damit aber auch nur auf, weil Wück das zum Thema gemacht hat. »Ich werde nicht alt«, hatte er nach dem Spiel gegen Dänemark gesagt. Die Torhüterin müsse ihr Spiel verändern.

Bis zu diesen Aussagen war Berger im Turnier noch kein echter Fehler unterlaufen. Gegen Schweden wirkte sie jedoch gleich mehrfach unsicher und spielte mehrere schlechte Pässe.

Ob er diese Unsicherheit mit seinen Aussagen verursacht habe, wurde Wück später gefragt. »Die Diskussion wurde von der Öffentlichkeit geführt. Das war nie ein Thema für uns«, antwortete er.

 Gegen Schweden manchmal neben sich

Ann-Katrin Berger: Gegen Schweden manchmal neben sich

Foto: Bernd Feil / MiS / IMAGO

Die Reaktion des Bundestrainers war erstaunlich. Hat er die Kraft seiner eigenen Aussagen nach dem Dänemark-Spiel etwa unterschätzt? War ihm nicht klar, dass darüber berichtet wird, wenn er eine einzelne Spielerin negativ bewertet?

Der 52-Jährige steht in diesen Tagen wie nie zuvor im Rampenlicht. Beim DFB hat er sich zwar einen Namen gemacht, allerdings bisher als Trainer von Juniorenteams. Erst seit vergangenem Herbst trainiert er mit den Frauen zum ersten Mal Erwachsene – nicht ganz ohne Anpassungsprobleme. Rund um die Kadernominierung warfen ihm zwei nicht berücksichtigte Spielerinnen einen schlechten Kommunikationsstil vor. Nun folgte die öffentliche Kritik an Berger.

»Vielleicht war die Kommunikation manchmal einfach schlecht auf dem Platz«, sagte Berger später selbst über ihre Fehlpässe. »Aber ich bin nicht verunsichert.«

Diese Aussagen waren jedoch nicht wirklich beruhigend, denn die Fehlpässe gab es schließlich.

Es war ein Abend, der unvorhergesehen viele Probleme produzierte und das Potenzial hat, ein echter Stimmungskiller zu sein. Und das wäre fast die schlimmste Nachricht. Wenn die Mannschaft einen Faktor stets betonte, der sie titelfähig macht, dann war es die gute Stimmung im Team.

Gesamten Artikel lesen