„Was jetzt kommt, wird vielleicht nicht jedem gefallen“, sagt Julia Ruhs zu Beginn einer Reportage, die sie für die NDR und BR gedreht hat. Damit hat sie Recht behalten. Auch wenn es längst nicht mehr um Migration geht, das Thema des Beitrags.
Ruhs ist jung, erfolgreich, und seit dieser Woche beschäftigt ihr Fall die Republik. Ministerpräsidenten setzen sich für sie ein. An Ruhs entzündet sich einmal mehr der Streit um öffentlich-rechtliches Fernsehen, Meinungsfreiheit und Cancel-Culture.
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Manchem Leser mag die Journalistin, geboren 1994, durch ihre zweiwöchentliche Kolumne im Focus bekannt sein. Da geht es ums Kopftuch oder „queere Gaga-Workshops“ beim Kirchentag. Ruhs verwendet „woke“ als Kampfbegriff und attestiert denjenigen, die nicht ihrer Meinung sein dürften, regelmäßig Dummheit, verwendet Titel wie: „Was ich wegen meiner Meinung erlebte, schockiert mich“.
In ihrem Reporter-Profil beschreibt sie der Focus als „Teil jener Generation, die vor Klimaaktivisten, Gender-Bewegten und Zeitgeist-Anhängern scheinbar nur so strotzt“. Ruhs wolle denjenigen eine Stimme geben, die sich darin nicht wiederfänden.
Häufiges Thema: die AfD. Einerseits argumentiert Ruhs gegen die Brandmauer, weil diese Strategie auf das Konto der AfD einzahle und kritisiert die übrigen Parteien: „Sie werden alle immer gleicher, entkernter, profilloser. Und nichts geht wirklich voran. Das frustet nur noch mehr.“ Andererseits bezeichnet sie eine Koalition mit der AfD als falsch.
© dpa/THOMAS EISENKRÄTZER
Erst vor drei Jahren hat die 31-Jährige ihr Volontariat abgeschlossen. In einem Spiegel-Porträt anlässlich ihres Buches wird sie als junge Frau geschildert, die eher in eine Rolle gerutscht ist, als Überzeugungstäterin zu sein.
Ruhs beschreibt in ihrer Kolumne, wie noch während ihres Volontariats beim Bayerischen Rundfunk eine Stimme kontra Gendern gesucht worden sei.
Ältere Herren hätten sich geziert, schreibt Ruhs. „Aber es ist ja als Mann auch eine etwas heikle Sache. Ich dagegen hatte eine ganz günstige Ausgangslage. Jung, weiblich, laut wokem Regelwerk sprechberechtigt bei dem Thema – und definitiv keinen Bock auf Gendern. Ein guter Fang, die Redaktion freute sich.“
Sie macht mit dem Thema Karriere, tritt im ARD-Mittagsmagazin auf, erfährt Gegenwind und verteidigt sich: „Zugespitzt war der Kommentar, klar, aber nicht überspitzt. Es war schließlich auch das, was viele in meinem Freundes- und Bekanntenkreis dachten.“
Bei den Tagesthemen kommentiert sie Migration, fordert, Deutschland müsse „nationaler“ denken. Kommentatoren nennen das wahlweise „mutig“ oder „Stammtischgeschwurbel“.
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Auffällig: Politisch hätte Ruhs ebenso einen anderen Teil des Meinungsspektrums bedienen können. Ihre Masterarbeit habe sie über Russlands Desinformationspolitik gegen den Westen geschrieben, über Verschwörungskampagnen des Kreml. Nicht gerade AfD-Material.
Schließlich moderiert sie für NDR und BR die Sendung „Klar“. Der NDR beendete jedoch die Zusammenarbeit.
Im Fokus: Ein Beitrag mit dem Titel „Migration: Was falsch läuft“. Dazu trifft Ruhs auf Michael Kyrath, einen Vater, dessen 17-jährige Tochter in einem Zug von einem Asylbewerber erstochen wurde. Der Täter: ein Palästinenser mit massiven Vorstrafen.
Schwarz-Weiß-Erzählung
Kyrath ist fernseherfahren. Er saß in Talkshows, klagte vor laufenden Kameras Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an, trifft während der Dreharbeiten Innenministerin Nancy Faeser (SPD).
Kyrath hält die Brandmauer für einen „schweren Fehler“.
In der Reportage treten konservative Experten auf, türkische Gemüsehändler und Friseure schimpfen auf Migranten, die Geld vom Staat bekämen, auf der faulen Haut lägen und aggressiv seien. Im Narrativ des Films werden gute und schlechte Migranten definiert, fleißige Türken und aggressive Afghanen und Syrer. Dazu dramatische Musik.
Auch Gegenpositionen kommen vor, wenn auch nicht immer eingeplant. Bei einer Zugfahrt spricht der betroffene Vater mit einer Sitznachbarin. Das Team filmt. Die Frau warnt davor, zu verallgemeinern und Gewalt nur Migranten zuzuschieben.
Ruhs, die immer wieder als Gesicht der Sendung eingeblendet wird, trifft Jette Nietzard, Bundessprecherin der Grünen Jugend. Da sitzen sich zwei junge Frauen gegenüber, die erkennbar einer Generation angehören: brauner Blazer, beziehungsweise Strickjacke, helles Top, blonder Pferdeschwanz – und vertreten zwei weit auseinanderliegende Pole im Meinungsspektrum.
Ruhs fragt Nietzard, was sie Eltern sagen würde, deren Kinder durch die Messerattacke eines Migranten ums Leben gekommen sind. Nietzard, sagt, sie finde es dumm, auf die Frage zu antworten. Es würden nicht mehr Kinder von afghanischen Attentätern ermordet als von deutschen Vätern.
Schnitt. Schnittbilder einer Bahnschranke. Der Sprecher aus dem Off sagt, Nietzards Vergleich gehe an der Sache vorbei.
ZDF-Moderator Jan Böhmermann bezeichnete die Folge als „rechtspopulistischen Quatsch“. Schließlich beendet der NDR die Zusammenarbeit mit Ruhs.
Die twitterte, sie sei „zutiefst enttäuscht, ja fassungslos über die Entscheidung des NDR“ und vermutet im Interview mit Table Media, sie sei offenbar zu rechts für den NDR. Eine Gesprächsanfrage des Tagesspiegels lehnte Ruhs ab.
Der Sender hält sich indes zurück. Und so fokussiert sich die Diskussion auf Cancel-Culture, statt auf handwerkliche Defizite – nicht zu Ruhs Schaden. Die Follower-Zahlen der jungen Journalistin steigen minütlich. Zur Präsentation ihres neuen Buches kam am Mittwoch sogar Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU). Titel: „Links-grüne Meinungsmacht. Die Spaltung unseres Landes“.
Teil des Moderationsteams der öffentlich-rechtlichen Sendung „Klar“ bleibt Ruhs offenbar dennoch.