
Juves Kenan Yildiz, Dortmunds Karim Adeyemi: Altersbedingt keine Klassen-, aber zumindest Schulkameraden
Foto: Valerio Pennicino / Getty ImagesDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Die Mutter aller Unentschieden: In Turin war die Nachspielzeit angebrochen, als alles nach der ersten Pflichtspielniederlage für Juventus in der jungen Saison aussah. 4:2 lag Borussia Dortmund in Front. Die zweite Hälfte war atemlos gewesen, der BVB musste nur noch die Zeit von der Uhr spielen. An dieser Aufgabe aber war der BVB jüngst schon gegen den FC St. Pauli gescheitert – und in Italien gab die Defensive keine bessere Figur ab: Ramy Bensebaini spielte einen Fehlpass, der eingewechselte Dušan Vlahović rauschte mit Wucht in eine halbhohe Hereingabe und spitzelte den Ball mit links über die Linie (90.+3 Minute). Dann fand der Serbe mit einer Flanke den Kopf des aufgerückten Lloyd Kelly (90.+6) – der Ausgleich. »Dieses Spiel müssen wir zu 100 Prozent gewinnen. Wir sind auf jeden Fall enttäuscht«, sagte Dortmunds Karim Adeyemi nach dem Spiel, der sich über seine Auszeichnung zum »Man of the Match« kaum freuen konnte.
Das Ergebnis: 4:4 (0:0) spielt Borussia Dortmund bei Juventus, die zweiten 45 Minuten waren ein einziges Spektakel. Hier geht es zum Spielbericht aller Partien am Auftakt der Champions League.
Kalle-Riedle-Tag: Spiel eins von acht in der CL-Ligaphase, und direkt ein Bonbon für jeden Schwarz-Gelben: Gegner Juventus ist auf ewig mit der größten Nacht der eigenen Klubgeschichte verknüpft, dem Gewinn der Champions League 1997. Ins kollektive deutsche Fußball-Gedächtnis hat sich vor allem Lars Rickens Lupfer zum 3:1 eingebrannt. Damals gar noch wichtiger: Karl-Heinz Riedle. Der hatte den BVB in der Finalnacht per Doppelpack in Führung geschossen – und feierte zur Neuauflage des Duells von damals seinen 60. Geburtstag. »Ich hoffe, dass wir dafür sorgen können, dass er ein Gläschen mehr Wein trinkt als eh schon«, frohlockte der heutige BVB-Geschäftsführer Ricken vor Anpfiff.
Kobelfluglinie: Rauschhaft war am Dortmunder Fußball zunächst wenig. Die erste große Chance hatten die Gastgeber aus Turin, Khéphren Thuram prüfte mit einem abgefälschten Schuss aus gut 20 Metern Dortmunds Keeper Gregor Kobel, der den Ball aus dem Winkel kratzte. Zuvor schienen sich die BVB-Mannschaftsteile uneins, wer denn nun den Gegner attackieren sollte, und einigten sich am Ende auf: Gar keiner.

Gregor Kobel war in Hälfte eins gegen Juve hellwach – auch hier gegen Jonathan David, der diese Chance aus dem Abseits heraus vergab
Foto: Marco Bertorello / AFPRuhe vor dem Sturm: In der Folge fing sich das Team von Trainer Niko Kovač defensiv wieder. Zur Pause standen 65 Prozent gewonnene Zweikämpfe für die Borussia, 57 Prozent Ballbesitz, die Gäste hatten alles unter Kontrolle. Nur Dortmunder Chancen gab es quasi keine: Zwei Abschlüsse, keiner aufs Tor, gerade die schnellen Adeyemi und Maximilian Beier waren noch kaum in der Partie.
Aus Unterhaching in die Welt: Die zweite Hälfte hatte mit der ersten dann nichts mehr gemein. Den Auftakt zum Spektakel machte Adeyemi, zentral vor dem Strafraum von Serhou Guirassy freigespielt und dann einfach schneller als alle anderen: Ein Schritt, um sich Platz zu verschaffen, ein scharfer, flacher Abschluss, 1:0 (52.). Die direkte Antwort lieferte Juves Kenan Yildiz. Der türkische Nationalspieler, in Regensburg geboren, traf mit einem herrlichen Schlenzer in den Winkel (63.). »Das habe ich im Fuß«, sagte Yildiz später. Beide Profis legten noch je ein Tor vor. Das Duo verbindet die Kindheit in Unterhaching: »Wir kennen uns, wir waren zusammen auf einer Schule«, sagte Adeyemi nach dem Spiel. »Er war so ein kleines Vorbild, damals. Ein sehr, sehr guter Mensch«, sagte der drei Jahre jüngere Yildiz.
Kurze Chronologie des Schützenfestes: Nur zwei Minuten nach Yildiz’ Glanzmoment legte Adeyemi das 2:1 für Felix Nmecha auf, der mit einem satten Schuss aus der zweiten Reihe traf (65.). Unmittelbar darauf schickte Yildiz Joker Vlahović steil, der erneut ausglich (67.). Dann war es Yan Couto, der nach einem Ballgewinn das Torwarteck anvisierte und Keeper Michele Di Gregorio mit seinem 3:2 schlecht aussehen ließ (74.).

Grüße nach Hause: Yan Couto jubelte mit dem angedeuteten Babybauch
Foto: Ulrich Hufnagel / IMAGOStress ohne Grund: Es folgte ein schwarz-gelber Streit. Gerade hatte Referee Francois Letexier auf Handelfmeter für Borussia Dortmund entschieden, ein Tor würde wenige Minuten vor Abpfiff die Zwei-Tore-Führung bedeuten. Guirassy hätte die Lorbeeren gern eingeheimst, Juventus’ Kelly hatte den Schuss des letztjährigen Champions-League-Torschützenkönigs unfair geblockt. Etatmäßiger Schütze aber ist Bensebaini. So füllte der BVB die Minuten, während der Strafstoß überprüft wurde, mit einer Kabbelei um den Ball. Dann das Machtwort von der Seitenlinie: Bensebaini schießt. Und Bensebaini traf (86. Minute). Erster Gratulant: Guirassy, den Bensebaini versöhnlich liebkoste.
Weiter geht’'s: So wirklich grämen wollte sich Kovač – trotz der kopflosen Nachspielzeit seiner Mannschaft – schließlich nicht. »Ich muss der Mannschaft ein Kompliment aussprechen«, sagte der BVB-Coach, der mit dem Punkt in Turin leben konnte. »Es ist ärgerlich, aber man sieht natürlich auch, dass auf der anderen Seite verdammt große Qualität ist.« Im Heimspiel gegen den Athletic Club aus Bilbao am 1. Oktober (21 Uhr) ist der BVB dann wieder favorisiert.