Kabinen mit Medizingeräten und ärztlicher Videoberatung sind als Alternative zur klassischen Arztpraxis in ländlichen Gemeinden Frankreichs auf dem Vormarsch. In den Räumen können Menschen nicht nur per Video mit einer Ärztin oder einem Arzt sprechen, sondern auch zahlreiche Untersuchungen mit medizinischen Basisgeräten durchführen lassen.
Bis Januar will der Anbieter mit der "Box médicale" die Zahl der aufgestellten Kabinen von aktuell zwölf auf 100 Stück im ganzen Land erhöhen, wie Betriebsleiter Sébastien Touchais der Deutschen Presse-Agentur erklärte. Ziel sei es vor allem, Gemeinden zu entlasten, die unter akutem Ärztemangel leiden. Hinter dem Angebot stecken schlichte, begehbare weiße Container, ausgestattet mit Monitor, Stuhl sowie Instrumenten wie Thermometer, Blutdruckmessgerät, Oximeter, Dermatoskop, Ohrenspiegel und Stethoskop.
Auch andere Anbieter wie Tessan oder Medadom haben Telemedizin-Kabinen im Programm, darunter kleinere Modelle, die wie Telefonzellen wirken und etwa in Apotheken Platz finden. In ländlichen Gebieten Frankreichs haben viele Menschen nur erschwert Zugang zu ärztlicher Versorgung. Auch in Deutschland fehlen Hausärztinnen und Hausärzte: Mehr als 5.000 Sitze sind laut Bertelsmann Stiftung unbesetzt, und die Zahl dürfte sich in den kommenden Jahren noch deutlich erhöhen.
Wie groß die Nachfrage ist, zeigt ein Beispiel aus der Gemeinde Saint-Georges-Motel mit 880 Einwohnerinnen und Einwohnern, wo seit April eine Box in Betrieb ist. "Es ist ein Riesenerfolg", sagt Bürgermeister Jean-Louis Guirlin. Die Kabine ist täglich von 8 bis 20 Uhr geöffnet, ausgenommen an Feiertagen. Termine lassen sich telefonisch, online oder bequem über einen QR-Code per Smartphone buchen. Derzeit finden im Schnitt zwei bis drei Beratungen pro Tag statt. Auch der Bürgermeister selbst hat das Angebot bereits genutzt.
Ein Einwohner berichtete im französischen Fernsehen, die Bedienung sei einfach: Man lege die Krankenversicherungskarte ein, beantworte Fragen und nehme Messungen vor – am Ende erhalte man ein Rezept. Alles gehe schnell und effizient. Nach jeder Sitzung würden Kabine und Geräte automatisch mit UV-C-Strahlen desinfiziert, was das Risiko einer Ansteckung deutlich verringern soll. Die Anschaffung kostet rund 50.000 Euro, hinzu kommen jährliche Betriebskosten von 6.000 Euro. In drei Jahren will das Unternehmen auch in anderen europäischen Ländern aktiv werden, muss dafür allerdings die jeweils spezifischen gesetzlichen Vorgaben beachten.
Während Medizinethiker Urban Wiesing den Einsatz neuer Technologien grundsätzlich begrüßt, mahnt er zur Vorsicht. Es müsse erforscht werden, ob die Versorgung der Menschen damit tatsächlich verbessert werde und wie Risiken wie ungenaue Diagnosen oder Datenschutzprobleme vermieden werden können. Auch der französische Dachverband der Patientenvereinigungen sieht Grenzen: Kabinen böten nur eine eingeschränkte medizinische Betreuung.
Verschiedene Pilotprojekte
Telemedizinische Boxen und Kabinen werden jedoch nicht nur in Frankreich erprobt. In Finnland etwa hat das Start-up MedicubeX eine "eHealth-Station" entwickelt, die innerhalb weniger Minuten umfassende Vitaldaten erhebt – von Blutdruck und Körperfettanteil bis hin zu einem KI-gestützten EKG, das mehr als 20 Herzrhythmusstörungen erkennen soll. Die Station, die einer schallgedämmten Telefonzelle ähnelt, ist bereits in einem Gesundheitszentrum in Helsinki im Einsatz und nach Angaben des finnischen Gesundheitsdienstleisters Terveystalo vereinzelt in England, Estland und Deutschland.
Unter anderem am Universitätsklinikum Marburg wird zudem die Box "DokPro" getestet. Hier übernimmt ein computergesteuerter Avatar die Anamnese, während Vitalwerte automatisch gemessen werden. Die Daten werden unmittelbar ins Krankenhausinformationssystem übertragen, wodurch eine gleichbleibend hohe Qualität der Erfassung gewährleistet und das medizinische Personal entlastet werden soll.
Überdies hat die Uniklinik RWTH Aachen eine umgebaute Toilettenkabine zur telemedizinischen Versorgungsstation entwickelt, die bereits bei einem großen Musikfestival getestet wurde. Ausgestattet mit Kameras, EKG und digitalem Stethoskop betreuen Ärztinnen und Ärzte die Patienten per Video, während die Kabine solarbetrieben und satellitengestützt völlig autark funktioniert. Künftig soll sie vor allem in Krisen- und Katastrophengebieten zum Einsatz kommen, wo reguläre medizinische Infrastruktur oft fehlt.
(mack)