Schulen: Jede zehnte Lehrkraft ist Quereinsteiger

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An den Schulen in Deutschland unterrichten immer mehr Lehrerinnen und Lehrer ohne anerkannte Lehramtsprüfung. Im Schuljahr 2023/24 waren 10,5 Prozent der Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen sogenannte Quer- oder Seiteneinsteiger, teilte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Mittwoch mit. Das sind etwa 77 600 der insgesamt 739 500 Pädagoginnen und Pädagogen. Damit hat sich ihr Anteil in den vergangenen neun Jahren nahezu verdoppelt. Noch höher ist der Anteil der Quer- und Seiteneinsteiger an beruflichen Schulen. Hier hatten 16,6 Prozent der insgesamt 123 800 Lehrkräfte keine anerkannte Lehramtsprüfung.

Quereinsteiger absolvieren den regulären Vorbereitungsdienst – das ein- bis zweijährige Referendariat –, bevor sie als vollwertige Lehrkräfte arbeiten. Seiteneinsteiger hingegen beginnen direkt an der Schule, oft ohne vorherige pädagogische Ausbildung. Meistens besuchen sie berufsbegleitende Qualifizierungsmaßnahmen, um sich die notwendigen didaktischen und pädagogischen Fähigkeiten zumindest teilweise anzueignen. In der Statistik wird nicht zwischen Quer- und Seiteneinsteigern unterschieden.

Bayern und Rheinland-Pfalz stellen nur wenige Quereinsteiger ein

Ihr Anteil ist von Bundesland zu Bundesland äußerst verschieden. In Sachsen-Anhalt war im Jahr 2023 mehr als jede zweite neu eingestellte Lehrkraft ein Seiten- oder Quereinsteiger. Brandenburg (48 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (37 Prozent) haben ähnlich hohe Zahlen. In Bayern und Rheinland-Pfalz hingegen lag der Anteil bei den Neueinstellungen zuletzt unter zwei Prozent.

Der Grund für den hohen Anteil an Quer- und Seiteneinsteigern: Es gibt viel zu wenig klassisch ausgebildete Lehrkräfte. Schon heute können Tausende Stellen an Schulen nicht besetzt werden. Besonders groß ist der Mangel in den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern. Ursprünglich wurden Quer- und Seiteneinsteiger als Notlösung geduldet, um diese Lücke zu überbrücken. Inzwischen sind sie aber längst zum Normalfall geworden.

Diese Situation ist umstritten. Zwar bringen Quer- und Seiteneinsteiger fachliche Expertise aus ihrem ursprünglichen Beruf mit und können dadurch im Unterricht neue Ansätze und Erfahrungen vermitteln. Das kann eine wertvolle Ergänzung sein. Auch ist die Qualität ihres Unterrichts offenbar mit der von herkömmlichen Lehrkräften vergleichbar: Eine Studie der Universität Potsdam hat 2020 gezeigt, dass Quereinsteiger in Mathematik in fachlicher Hinsicht genauso gut abschneiden wie traditionell ausgebildete Lehramtsanwärter. Zudem zeigten sie im Durchschnitt eine größere Stressresistenz.

Allerdings gibt es Bedenken hinsichtlich der oft mangelnden pädagogischen und didaktischen Ausbildung. Die braucht es aber, um Unterricht ansprechend zu gestalten, nachhaltiges Lernen zu ermöglichen und Schüler zu motivieren. Insbesondere Seiteneinsteiger, die ohne Referendariat in den Job starten, sind oft nicht ausreichend auf den Schulalltag und den Umgang mit schwierigen Schülerinnen und Schülern vorbereitet. Und bei der Potsdamer Studie schnitten auch Quereinsteiger bei den psychologisch-pädagogischen Fähigkeiten schlechter ab als regulär ausgebildete Lehrkräfte.

Wie viel Nachwuchs kommt von den Universitäten?

An dem Lehrermangel und damit der Ursache für die vielen Quer- und Seiteneinsteiger wird sich auch so schnell nichts ändern: Deutsche Universitäten bilden weniger Nachwuchs aus, als Lehrkräfte in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen. Laut einer aktuellen Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK) werden bis 2035 etwa 49 000 ausgebildete Lehrkräfte fehlen. Zwar meldet das Statistische Bundesamt, dass die Zahl der Lehramtsabsolventinnen und -absolventen mit Master- oder Staatsexamensabschluss leicht gestiegen ist. 2023 bestanden etwa 29 000 Lehramtsstudierende ihre Abschlussprüfungen. Das waren etwas mehr als im Jahr zuvor – aber eben zwölf Prozent weniger als noch vor zehn Jahren.

Bildungsforscher weisen seit Längerem darauf hin, dass es wegen des demografischen Wandels in Zukunft kaum möglich sein wird, genügend Lehrkräfte auf dem bisherigen Weg auszubilden. Die KMK hat im Frühjahr reagiert und die Regeln für die Bundesländer gelockert. Diese dürfen nun auch Lehrkräfte ausbilden, die nur ein Fach unterrichten statt wie bisher zwei. Zudem dürfen sie duale Lehramtsstudiengänge mit integriertem Referendariat und Quereinstiegs-Masterstudiengänge einführen.

Experten fordern zudem bundesweit einheitliche Bedingungen und Qualitätsstandards für den Quer- und Seiteneinstieg. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK), ein Beratungsgremium der Bildungsminister, empfiehlt dringend eine verpflichtende pädagogische Ausbildung.

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