So unterscheiden sich Diktatoren: Wladimir Putin setzte sich ins Mini-U-Boot, in einen Kampfjet, hoch aufs Pferd. Alexander Lukaschenko posiert gern auf einem Kartoffelacker. Wenn Ernte ist, ist für ihn die Zeit guter Bilder. Der belarussische Machthaber in kurzer Hose, T-Shirt und Sandalen, er wirft Kartoffeln in einen Eimer, schleppt einen schweren Sack übers Feld. Mit dabei die Fotografen des belarussischen Präsidialamtes.
Für Lukaschenko sind solche Fotos wichtig. So will er den Menschen in Belarus zeigen, dass er mit anpackt, dass er einer von ihnen ist. Vor allem in der ersten Phase seiner langen Herrschaft kam er damit an. Lukaschenko hatte früher mal einen landwirtschaftlichen Betrieb geleitet, eine Sowchose, vor allem die Bevölkerung auf dem Land nahm ihm die Bilder von der Ernte ab. Belarus ist ein Agrarstaat, und die Kartoffel für das Land ein besonders wichtiges Symbol. Man nennt sie dort „zweites Brot“. Schlecht also, wenn es daran plötzlich mangelt.
Innerhalb eines Jahres hat sich Anbaufläche halbiert
In den vergangenen Wochen und Monaten haben Belarussen immer wieder darüber geklagt, dass sie in Geschäften und auf Märkten kaum noch gute Kartoffeln fanden. Klein seien sie, mit vielen schlechten dunklen Stellen, teuer, manchmal fehlten sie auch ganz. Im Internet zeigten Belarussen auf Videos ihren Frust beim Einkauf, filmten leere Supermarktkisten und Kartoffeln, an denen sie viel wegschneiden müssten. Umso mehr gefeiert wurde im Netz das Tiktok-Video eines anonymen belarussischen Landwirts, dem mit seiner Sorte „Riviera“ mal ein überraschender kleiner Ernteerfolg gelang.
Belarus hat keinen direkten Meereszugang, keine großen Energievorkommen, aber Kartoffeln gab es bisher immer genug, mehr, als die Bevölkerung für ihr Essen verarbeiten konnte. Etwa für Draniki, gebratene Kartoffelpuffer. Wieso nun die Krise? Der belarussische Exilsender Belsat berichtete vor einer Woche, dass die Ernte im vorigen Jahr die geringste in den vergangenen zehn Jahren gewesen sei. Damit allein lässt sich das Kartoffelproblem allerdings nicht erklären.
Eher damit: Innerhalb von einem Jahrzehnt ist die Anbaufläche in Belarus nach dem Belsat-Bericht auf die Hälfte geschrumpft. Denn für viele kleine private Betriebe rechnete sich wegen der geringen Preise der Anbau nicht mehr. Im zentralwirtschaftlichen System von Belarus gilt ein Höchstpreis für ein Kilogramm Kartoffeln, für viele Produzenten ist deshalb der Verkauf ins Ausland deutlich attraktiver. Also machen sie es. Sie liefern ihre Kartoschki für mehr Geld in die Republik Moldau, nach Georgien, Serbien, Albanien. Und vor allem nach Russland.
Die meisten Kartoffeln liefert nicht mehr Ägypten an Russland, sondern Belarus
Auch Russland leidet unter einem Kartoffelmangel, gleicht dies aber aus, in dem es im benachbarten Belarus einkauft, mit dem Russland eine Zollunion hat. Belarus hat inzwischen Ägypten als größten Lieferstaat für Kartoffeln in Russland abgelöst. Mitte Mai etwa lieferte Belarus zum ersten Mal seit vielen Jahren auf dem Seeweg wieder Saatkartoffeln auf die fernöstliche Halbinsel Kamtschatka – 50 Tonnen der Marke „Manifest“. Aber jetzt hat es eben selbst ein Problem. Und damit auch Diktator Lukaschenko.
Offene Proteste muss er zwar nicht befürchten; die Menschen in Belarus sind voller Angst vor Repressionen des Regimes, vor Entlassungen aus staatlichen Betrieben. Aber der Druck auf ihn, den mächtigen Herrscher, wächst natürlich, das Problem mit dem belarussischen Grundnahrungsmittel zu lösen.

Der belarussische Machthaber und Kremlchef Putin reden oft miteinander, meistens geht es dabei um den Krieg in der Ukraine, bei dem Belarus an der Seite des Angreifers Russland steht. Bei einem Telefonat der beiden Ende Mai ging es jedoch um Kartoffeln, wie die russische Nachrichtenagentur Tass bestätigte. Lukaschenko habe dabei Putin mitgeteilt, dass Belarus seine eigenen Vorräte bereits an Russland verkauft habe. Um 60 Prozent sei der Absatz belarussischer Kartoffeln in Russland im vergangenen Jahr gestiegen. Hängen lassen will Lukaschenko den russischen Herrscher allerdings auch nicht. „Wir müssen eben so viel herstellen, dass es für uns und für Russland reicht“, sagte er bei einem Treffen mit dem Chef eines Parteikomitees in Brest. „Kartoffel anbauen können wir ja“, es gehe doch um „unsere Brüder“.
Die belarussische Regierung hat bereits die Preisgrenze für mehrere Gemüsesorten gelockert, um Anreize zu schaffen. Sie will nun auch die Lagerstätten modernisieren, weil viele Kartoffeln schlecht werden – für den belarussischen Agrarexperten Nikolaj Lyssenkow eine Folge der EU-Sanktionen gegen Belarus. „Wir haben nur begrenzten Zugang zu Technologien, die es Kartoffeln ermöglicht, bis zum Frühjahr zu überleben“, sagte er dem Exilsender Belsat. Vor einer Woche nahm die belarussische Regierung außerdem eine Antwort auf die Sanktionen der EU zurück. Sie erlaubt jetzt wieder die Einfuhr von Kartoffeln und einigen anderen Gemüsesorten aus „unfreundlichen Ländern“. Und verkauft es als „Geste des guten Willens“.