Hichem Miraoui war 46 Jahre alt, Frisör, Tunesier, ledig, ein fröhlicher Mann mit einem ansteckenden Lachen. In Puget-sur-Argens, einer kleinen Stadt bei Fréjus an der Côte d'Azur, wo er seit vielen Jahren lebte, mochten ihn alle. So erzählt es der Bürgermeister des Orts. Überhaupt: Viele Menschen hier haben nun das Bedürfnis, öffentlich schöne Dinge zu sagen über Hichem Miraoui, das französische Fernsehen fängt ihre Stimmen ein. Ein „Sonnenschein“ sei er gewesen, heißt es.
Am Samstagabend war er zu Hause, er telefonierte gerade mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in Tunesien, als sein Nachbar in seine Wohnung trat und auf ihn schoss, aus kurzer Distanz. Fünf Kugeln trafen Miraoui, er war sofort tot. Und wenn dieser Mord in der Provinz jetzt die Politik bis nach Paris bewegt, dann wegen des Profils des Täters und der Videos und Botschaften, die er auf Facebook postete, vor und nach der Tat.
Der mutmaßliche Täter wollte offensichtlich gleich noch einen Mord begehen
Christophe B., 53 Jahre alt, Franzose, hat aus rassistischen Motiven getötet. An diesem Abend wollte er auch noch einen türkischen Staatsangehörigen töten, der in der Siedlung wohnt. Eine Kugel verletzte den jungen Mann an der Hand. Der „Parquet national antiterrorisme“, Frankreichs Sonderstaatsanwaltschaft für den Kampf gegen Terrorismus, stuft den Fall als möglichen Terrorakt ein. Für eine rechtsextremistisch inspirierte Tat ist das eine Premiere in der Geschichte dieses Richterpools, der 2019 eingerichtet wurde.
Die Ermittler prüfen also, ob Christophe B., wie es den Anschein hat, seine Tat mit dem Ziel begangen habe, „durch Einschüchterung oder Terror die öffentliche Ordnung schwerwiegend zu stören“. Dafür werden sie auch seine Aktivitäten und Referenzen im Netz prüfen, es gibt da viel alarmierendes Material, seit 2015. Christophe B. hatte ein öffentliches Profil bei Facebook. Man kann sich also fragen, warum die Betreiber der Plattform nicht vor ihm gewarnt hatten.
Kurz bevor er zur Tat schritt, hatte Christophe B. auf Facebook angekündigt, dass er rausgehe, um „einen Hit zu landen“. „Heute Abend sagen wir Stopp, Stopp den Sch...muslimen. Verdammt, Franzosen, wacht auf, zeigt Eier und jagt sie überall da, wo sie sind.“ Nach dem Mord an Hichem Miraoui ging er nach Hause, filmte die Waffen, die er da aufbewahrte, Pistolen, Gewehre, eine Pump Gun, und sagte in die Kamera: „Meine Seele ist mehr wert als diese verdammten Kameltreiber. Der Staat ist unfähig, uns zu schützen, unfähig, sie rauszuwerfen.“ Jetzt habe er mal „zwei, drei abgeknallt“, die in seiner Umgebung lebten: „Und das ist erst der Anfang.“
Dann ruft er dazu auf, „Marine“ oder „Jordan“ zu wählen – gemeint sind Marine Le Pen und Jordan Bardella, die Köpfe des extrem rechten Rassemblement National. Französische Medien konnten sich auch Christophe B.’s frühere Einträge auf Facebook anschauen, die inzwischen gelöscht wurden: zum Islam, zur Immigration. Er verbreitet da die These eines angeblich aufziehenden Bürgerkriegs, die Forderung nach einer sogenannten Remigration.
Jede rassistische Tat sei eine antifranzösische Tat, sagt der Innenminister
„Diese Tragödie ist nichts für die vermischten Meldungen in den Zeitungen“, sagte der Anwalt von Miraouis Familie. „Sie ist die Folge eines Klimas wachsenden Hasses und eines banalisierten Diskurses.“ Die Linke spricht von einem „rassistischen Klima“, das von der Rechten genährt werde, von der extremen und zunehmend auch von der bürgerlichen Rechten: Sie spalte die Bevölkerung, statt sie zu einen, sie stigmatisiere Ausländer, statt sie zu integrieren.
Innenminister Bruno Retailleau, dem Chef der Republikaner, wird oft vorgeworfen, er zeige eher weniger Empathie für Opfer, wenn es sich um Muslime handle. Etwa neulich, nach dem Mord an einem Malier, der in einer Moschee bei Alès mit fünfzig Messerstichen getötet wurde, von einem jungen Franzosen: Retailleau, sonst immer schnell am Tatort, ließ zwei Tage verstreichen, bis er sich nach Alès aufmachte.
Diesmal besuchte er die tunesische Botschaft in Paris, um sein Beileid auszudrücken, statt nach Puget-sur-Argens zu fahren. Im Parlament, unter dem Druck der Kritik, fand der Innenminister dann aber deutliche Worte zum Mord an Hichem Miraoui. Die Tat, sagte Retailleau, sei „rassistisch und zweifellos antimuslimisch“. Jede rassistische Tat sei eine antifranzösische Tat.