Mehr als vier Millionen Menschen aus der Ukraine, in der Mehrzahl Frauen, haben seit dem russischen Angriff im Februar 2022 in Ländern der Europäischen Union Zuflucht gefunden. Es gibt immer noch keine ernsthaften Anzeichen für einen Waffenstillstand, geschweige denn für einen Frieden. Aber die EU will sich auf die Zeit nach dem Krieg vorbereiten und schon jetzt mehr Anreize dafür geben, dass die Geflüchteten in ihre Heimat zurückkehren.
Die EU werde „so lange wie nötig“ Solidarität mit der Ukraine zeigen und deshalb Kriegsflüchtlingen Schutz gewähren, sagte der für Migrationsfragen zuständige Kommissar Magnus Brunner, als er am Mittwoch die neuen Pläne der EU-Kommission gemeinsam mit dem stellvertretenden ukrainischen Ministerpräsidenten Oleksij Tschernyschow vorstellte. Andererseits, so Brunner, gelte auch: „Die Zukunft der Ukraine hängt davon ab, ihre Menschen wieder zurückzubekommen.“ Deshalb brauche es eine „sichere, freiwillige und würdevolle Rückkehr und Wiedereingliederung“ von geflüchteten Menschen.
Die Sympathie für die Geflüchteten nimmt ab
Hintergrund der Vorschläge mag aber auch sein, dass in vielen europäischen Ländern die Akzeptanz für die Unterstützung der Ukraine sinkt. Die 27 Regierungen müssen sich nun über die Vorschläge der Kommission verständigen.
Niemand soll angesichts der unsicheren Lage in der Heimat zur Rückkehr gedrängt werden. Deshalb schlägt die von Ursula von der Leyen geführte EU-Exekutive in einem ersten Schritt vor, den Schutzstatus für Ukrainerinnen und Ukrainer um ein weiteres Jahr zu verlängern, das heißt bis zum 4. März 2027. Basis dafür ist die „Massenzustromrichtlinie“, die die Europäische Union nach dem russischen Angriff auf die Ukraine erstmals überhaupt aktiviert hatte. Sie wurde ursprünglich geschaffen, um die europäischen Asylsysteme vor einer Überlastung zu schützen.
Menschen aus der Ukraine müssen demnach in der Europäischen Union kein Asylverfahren durchlaufen, sondern haben für eine bestimmte Zeit sofortigen Zugang zu Wohnungen, Arbeitsmarkt, Gesundheits- und Bildungssystem. Ursprünglich war diese Regel auf maximal drei Jahre – zwei Jahre plus ein Jahr Verlängerung – begrenzt, aber für die Ukraine wurde sie erweitert. Falls es vor dem März 2027 zu einem stabilen Frieden in der Ukraine kommen sollte, könnte der Schutzstatus allerdings auch früher aufgehoben werden, sagt Kommissar Brunner.
In Deutschland haben 1,2 Millionen ukrainische Menschen Zuflucht gefunden
Gleichzeitig mit der Verlängerung des temporären Schutzstatus will die EU-Kommission bereits den Ausstieg aus dem System vorantreiben. Von einer „Exit-Strategie“ sprach Kommissar Brunner. Die Mitgliedsländer sollen dabei mehr Verantwortung übernehmen. Wer Arbeit gefunden, die Sprache gelernt und sich gut integriert hat, dem sollten die Staaten demnach ein längerfristiges nationales Aufenthaltsrecht gewähren, regt die Kommission an. Zugleich sollen schon jetzt Anreize für eine freiwillige Rückkehr gegeben werden.
Die Kommission schlägt beispielsweise vor, die Mitgliedsländer könnten „Unity Hubs“ eröffnen: Informationszentren, die denjenigen Ukrainern, die eine Rückkehr in ihre Heimat erwägen, mit Rat und Tat zur Seite stehen. Ein erstes Zentrum dieser Art soll demnächst in Berlin eröffnet werden. Außerdem sollen den Menschen Besuche in der Ukraine ermöglicht werden, um sich ein Bild von der Lage in der alten Heimat zu machen. „Go-and-see-visits“ lautet der Fachterminus dafür. Die Kommission will für solche Programme, die eine freiwillige Rückkehr fördern, Finanzmittel zur Verfügung stellen und zudem einen Sonderbeauftragten ernennen, um gemeinsam mit der Ukraine die Pläne der einzelnen Mitgliedstaaten zu koordinieren.
Brunner wies darauf hin, dass es für bestimmte Gruppen auch nach dem Ablauf des Schutzstatus Sonderregeln geben werde. So wolle man zum Beispiel sicherstellen, dass Kinder ein in der EU begonnenes Schuljahr auch hier beenden können.
In Deutschland haben nach Angaben des Bundesinnenministeriums mehr als 1,2 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer Schutz gefunden. Damit ist Deutschland vor Polen und Tschechien das EU-Land, das die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat – zumindest in absoluten Zahlen, nicht aber im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Umfragen zeigten zuletzt, dass immer weniger Ukraine-Flüchtlinge eine Rückkehr in die Heimat anstreben. Rund 300 000 haben in Deutschland eine Arbeit gefunden. Wer keinen Job hat, kann Bürgergeld bekommen. Die Koalition plant allerdings, Neuankömmlingen aus der Ukraine künftig nur noch Asylbewerberleistungen zu gewähren.
Der ukrainische Vizeregierungschef Tschernyschow leitet in Kiew ein für die Rückkehr von Flüchtlingen gegründetes Ministerium für nationale Einheit. „Die Zukunft der Ukraine hängt von unserem wirtschaftlichen Erfolg ab, und dafür brauchen wir unsere Leute ganz dringend zurück“, sagte er am Mittwoch in Brüssel. Um zu zeigen, wie dringend die Menschen gebraucht werden, rechnete er vor: Die Ukraine wolle ihre Wirtschaftsleistung in den nächsten zehn Jahren verdoppeln, und dafür seien vier Millionen mehr Arbeitskräfte nötig. Schätzungen zufolge haben rund sieben Millionen Menschen seit Kriegsbeginn das Land verlassen.