In der Justizaffäre um die Besetzung der Spitze des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster zeichnet sich eine jähe Wende ab: Die umstrittene Favoritin von Nordrhein-Westfalens Justizminister Benjamin Limbach (Grüne), die 55-jährige Juristin Katharina J., will offenbar ins Bundesbildungsministerium nach Berlin wechseln. Nach SZ-Informationen hat die Juristin, die bisher Abteilungsleiterin im NRW-Innenministerium war, bereits am Donnerstag ihre Abordnungsurkunde erhalten und sich von ihren Arbeitskollegen verabschiedet. Der Streit um das Präsidentenamt am höchsten NRW-Verwaltungsgericht hatte den Verdacht politischer Einflussnahme auf die Justiz durch die schwarz-grüne Regierung genährt. Die Opposition aus SPD und FDP fordert seit Monaten Limbachs Rücktritt.
Bis zum Freitag hatte die bisherige Kandidatin J. nach SZ-Informationen ihre Bewerbung für das hohe Richteramt am OVG Münster noch nicht offiziell zurückgezogen. Dies wird im Düsseldorf Justizministerium im Laufe der nächsten Woche erwartet, sobald J. im Haus von Bildungsministerin Karin Prien (CDU) zur Abteilungsleiterin für Gleichstellung aufsteigen sollte.
Damit dürfte eine Affäre enden, die mittlerweile vier Gerichte beschäftigte. Der Posten zur Führung des OVG Münster ist seit nunmehr vier Jahren unbesetzt. Es gilt als wahrscheinlich, dass nun ein bisher unterlegener Aspirant, der Bundesrichter Carsten G., Gerichtspräsident wird. Die Personalie ist pikant – denn der Kandidat G. hatte Justizminister Limbach in einem Rechtsstreit vorgeworfen, dieser habe gegen das im Grundgesetz verbriefte Prinzip der Bestenauslese verstoßen, als Politiker das Auswahlverfahren manipuliert und öffentlich die Unwahrheit gesagt.
Auch ein Untersuchungsausschuss kann nicht klären, was die Wahrheit ist
Beide, der Kandidat G. und Limbach, hatten vor Gericht ihre widersprüchlichen Versionen in eidesstattlichen Versicherungen dargelegt. Auch ein Untersuchungsausschuss des NRW-Landtags konnte nicht klären, wer von beiden die Wahrheit sagt. Aber die Vernehmungen im Parlament erlaubten seltene Einblicke in die Untiefen bei der Besetzung höchster Richterämter.
Erst nachdem Benjamin Limbach im Sommer 2022 Justizminister geworden war, hatte sich die Kandidatin J. bei ihm im Rahmen eines privaten Abendessens erkundigt, ob sie sich noch bewerben könne. Im Herbst 2022, so die übereinstimmende Darstellung von Bundesrichter G. und einem dritten Interessenten, dem Abteilungsleiter im Justizministerium Andreas C., habe Limbach den beiden Konkurrenten in Gesprächen unter vier Augen dann geraten, ihre Bewerbungen zurückzuziehen. Limbach bestreitet dies bis heute; er will beide Kandidaten nur gebeten haben, ihre Bewerbungen „zu überdenken“.
Eingemischt in das Verfahren hatte sich neben Nathanael Liminski, dem Chef der Düsseldorfer Staatskanzlei, auch Ansgar Heveling, der Justiziar der CDU-Bundestagsfraktion. Laut Bewerber G. soll Heveling am Telefon gesagt haben, die schwarz-grüne NRW-Koalition habe sich auf eine andere Kandidatin verständigt: Die CDU wolle ein Parteimitglied, die Grünen wünschten eine Frau an der Spitze des OVG Münster. Im Juni 2023 ernannte die Landesregierung tatsächlich die Bewerberin J. zur OVG-Präsidentin. Doch diese Beförderung erwies sich im November 2024 als rechtswidrig: Die Opposition entdeckte, dass die Beurteilung der J. durch das NRW-Innenministerium schwere Formfehler aufwies.
Bei drei Auftritten vor dem Untersuchungsausschuss hatte sich die Bewerberin J. zermürbt von dem Düsseldorfer Justiz-Krimi gezeigt. Sie warf der Opposition „eine Schmutzkampagne“ vor. Justizminister Limbach hat inzwischen eingestanden, er habe „in dem Verfahren Federn gelassen“. Einen Rücktritt lehnt er nach wie vor ab.