Jeff Goldblum: "Wie spektakulär ist dieser Planet, auf dem wir leben?"

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Keine Minute ist vergangen, da hat Jeff Goldblum alle Klischees über sich erfüllt. Er sieht großartig aus. Er ist aus einem Tonstudio in Florenz zugeschaltet, strahlt, lüftet seinen Filzhut, "schauen Sie, ich trage dasselbe Blau wie Sie", hält die gepunktete Krawatte in die Kamera, die er zu einem gestreiften Hemd trägt, niemand kreuzt derart stilsicher Muster wie Jeff Goldblum. Aber er ist derjenige, der die Komplimente macht, bedankt sich noch vor der ersten Frage zweimal ("Danke, dass Sie das machen!") und merkt sich sofort meinen Namen, obwohl ich wahrscheinlich die zehnte Journalistin an diesem Nachmittag bin. 

Hier nur ein paar zufällige Kommentare über Jeff Goldblum, die man mit lockeren Fingern aus dem sonst recht trüben, brackigen Internet fischt: 

"Jeff Goldblum ist die Person, die dich auf der Straße anhält, um dir zu sagen, wie schön deine Seele ist."

"Jeff Goldblum ist keine Person. Es ist eine Lebenseinstellung."

"Jeff Goldblum ist einer der liebenswertesten Menschen dieser Erde."

"Jeff Goldblum ist der highste, nüchterne Typ, den ich je gesehen habe; er ist wirklich mehr Gott als Mensch."

"Jeff ist alles für mich."

Und damit könnte die Geschichte enden. Jeff Goldblum ist wirklich so: zuvorkommend, bescheiden, stilvoll, charmant, witzig. Aber immerhin liegen 20 Minuten Interview anlässlich seines neuen Jazzalbums vor einem, und man würde gern eine Geschichte, zumindest eine kleine, schreiben, dafür sucht man als Journalist etwas, das sich reibt, Spannung, einen sogenannten Konflikt. Theoretisch gibt es davon genügend, die Welt scheint eine einzige Krisensymphonie. Der Plan lautet also: Goldblum herausfordern, den sturen Optimismus hinterfragen. Sinatra, Jazz, ist das nicht eskapistischer, heiterer Kitsch? 

Was wenige wissen: Goldblum ist ein schwer talentierter Jazzpianist. Seit Jahren übt er jeden Morgen Klavier. © Kuba Ryniewicz

Jeff Goldblum ist in seiner Kultära angelangt, eine Phase, die nur wenige Künstler lebend erreichen. Er erzählte mal in einem Interview, wie er als Kind jeden Morgen an die beschlagenen Wände der Dusche schrieb "Bitte lieber Gott, lass mich Schauspieler sein". Mit 72 Jahren ist er so lange in diesem Geschäft, dass er sich von einzelnen Rollen längst enthoben hat. Dem mit der Chaostheorie flirtende, aber selbst zum Chaos neigende Mathematiker in Jurassic Park, das Insektenwesen in Die Fliege, seine kleineren und größeren Rollen in Robert-Altman-, Woody-Allen-, Wes-Anderson-Filmen, zuletzt als Zeus in der Comedy-Serie Kaos – es ist das wilde Œu­v­re eines sehr neugierigen Menschen. Weniger bekannt: Er ist ein schwer talentierter Jazzpianist, spielt seit vielen Jahren mit dem nach einer alten Freundin benannten The Mildred Snitzer Orchestra in Clubs in Los Angeles, landete mit dem ersten Album 2018 in den USA und Großbritannien auf Platz eins der Jazzcharts. Sein neues Album trägt den fröhlichen Titel Still Blooming. Scarlett Johansson, Ariana Grande singen mit, die Songs heißen We'll Meet Again oder The Best Has Yet To Come, das Beste kommt erst noch. 

Und mit genau dieser unbeirrbaren Zuversicht schwebt das Album schon beim ersten Song raus aus der düsteren Gegenwart: Saxofone gleiten durch die Songs wie polierte Lackschuhe über teure italienische Fliesen. Bellinis-am-Pool-Bossa-nova, Lichterketten, Jazzbesen, die so vorsichtig über die Snare streifen, wie Verliebte um die Tresen der großen, eleganten Bars in Manhattan. Klassisch, nicht verstaubt, das ganze Great-American-Jazz-Sinatra-Märchen erzählt Still Blooming über neun Songs, so leicht und verführerisch, wenn da nicht dieser leise Stich im Herz wäre: Kommt das Beste wirklich noch oder liegt das angesichts globaler Disruptionen nicht vielmehr hinter uns? Wo sind diese Bars, wie schmutzig die Deals, die sich die Männer über Martini-Gläsern zuflüstern? Und wie viele Jazzplatten braucht man, um sich Augen und Ohren vor der Welt zuzuhalten? 

Jeff Goldblums Karriere ist in einer Ära angelangt, die nur wenige Künstler lebend erreichen: in der Kultära. © Kuba Ryniewicz

Nur fragt Goldblum erst mal zurück: Ob ich Geschwister habe? Ob ich singe? "Jazzstandards?" Ich gebe zu, Summertime mal gesungen zu haben. Ich habe wirklich Summertime mal gesungen, aber nie vor, je wieder darüber zu reden. Uns bleiben noch 17 Minuten, ich schiele zur Krisen-angereicherten Frageliste, da beginnt Goldblum zu singen: "Summertime and the living is easy". Es gibt warmherzige Menschen, und es gibt Jeff Goldblum, der so warmherzig ist, dass es einen verrückt macht. "Fish are jumping and the cotton is high." Da sitzt man im Jahr 2025 und singt mit Jeff Goldblum ein altes, schönes George-Gershwin-Lied. And the living is easy.

Das ist nicht einfach nur Performance – Goldblum ist ein Mensch, der sich Mühe gibt

Aber Moment, wo doch gerade so wenig Gershwin-Gefühl aufkommt und sich die Vereinigten Staaten nie weniger nach Sinatra anfühlten – was soll die Faszination für Sinatra? Goldblum hat alles über ihn gelesen, die zweibändige Biografie von James Kaplan ("Oh Boy, was für ein Leben!"), alles über seine Aufnahmen, über seine Beziehung zu Ava Gardner, ja sogar über Sinatras Geburt: "Seine Mutter war 19 und er kam nicht raus, und die Ärzte rissen sein Gesicht und sein Ohr auf, und sein ganzes Leben lang hatte er diese Narbe hier, und er duschte mehrmals am Tag und versuchte sie mit Make-up zu verdecken, und seine Mutter war sehr streng mit ihm." Er setzt sofort zur Gegenfrage an: "Haben Sie ihn viel gehört?"

"Ein bisschen, aber seine Musik wirkte sehr sauber, sehr heil auf mich", will ich den Konflikt heraufbeschwören.

"Was haben Sie lieber gehört?"

"The Kinks, Beatles, Stones, damit wuchs ich auf."

"Oh, ich habe neulich Mick Jagger kennengelernt. Können Sie sich das vorstellen? Sympathy For the Devil? Paint It Black? Wissen Sie, ich liebe seine Songs. Oder Stevie WonderKennen Sie den?"

"Oh Boy, was für ein Leben", ruft Goldblum über die Biografie seines großen Helden Frank Sinatra. © Kuba Ryniewicz

Natürlich lassen sich die Schmeicheleien, das wache Interesse am Gesprächspartner als kluge Taktik eines Profis kleinanalysieren – ein Hollywoodstar, der weiß, wie man's macht. Aber Goldblums Herzlichkeit ist keine Performance. Die Wahrheit ist, dass all das Arbeit ist. Dass sich Jeff Goldblum auch beim zehnten Interview über einen Laptopbildschirm an diesem warmen Pressenachmittag mit der letzten Journalistin noch Mühe gibt. Nicht ungeduldig wird. Während unseres Interviews beugt er sich immer wieder nach vorn, dreht sein Ohr zur Kamera. Wenn er etwas nicht versteht, verzieht er nicht das Gesicht, sondern fragt aufgeregt, "was, was, waaas", als erzählte ich gerade die heißeste Klatschgeschichte aus Hollywood, bis er erleichtert "Ah, Sinatra sagten Sie, ja, ja" ruft. 

"Musik ist eine großartige Möglichkeit, unsere Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen. Und Demut angesichts eines kolossalen, gemeinsamen Geheimnisses." © Kuba Ryniewicz

Auch die Demut ist nicht gespielt. Goldblum hat sich die Neugierde mit der Erkenntnis bewahrt, dass man von anderen etwas lernen kann. Von Komponisten, Schauspielern, Weggefährten. Als ich mich an eventuelle Leiden heranrobbe und frage, ob man den Liebeskummer, die Sehnsucht kennen muss, um wie Sinatra darüber singen zu können, zitiert er wieder den Schauspielmeister Sanford "Sandy" Meisner: "Mein Lehrer sagte immer: Wenn du jemanden in Othello besetzt und er bei der ersten Probe auftaucht und fragt, 'Also was hat es mit dieser Eifersucht auf sich?', antwortest du: 'Du bist gefeuert.'" Wären wir beim Schmerz. Wie also passt das große, bombastische Sinatra-Märchen in den düsteren Klang dieser Welt? "Na ja, es gibt sehr schöne Menschen in der Welt", sagt er. "Wir alle sind auf eine mysteriöse, fabelhafte Weise miteinander verbunden." Er blinzelt mit den großen, braunen Augen. "Niemand hat dein Leben. Und damit ist auch die Musik zu deinem Leben einzigartig." Ich sage ihm, dass ich als Journalistin die meisten Tage mit einem Thriller-Soundtrack starte. "Ja, es ist angesagt gerade, so was zu sagen. Und sicher gibt es immer düstere Kräfte und Probleme in der Welt", sagt er. "Aber es gibt so viele Menschen, die sehr verliebt sind. Die sanfte und schöne und zärtliche Dinge tun. Das passiert eben auch gerade hier auf der Erde", sagt er und ruft: "Wie spektakulär ist dieser Planet, auf dem wir leben?" 

Und das ist endgültig der Punkt, an dem ich aufgebe, die Sinnlosigkeit dieser Konfliktsuche verstehe. Ja, natürlich liegt Frank Sinatra, liegt diese Märchenwelt aus Schönheit und Stil und Warmherzigkeit mehr als zehn Ozeane entfernt. Aber funktioniert Eskapismus nicht auch in die entgegengesetzte Richtung? Richtung Verdruss? Es scheint derzeit genauso verführerisch, sich die Stirn zu zerknittern, zu seufzen, der Weltgeschichte täglich ein neues Rekordtief zu diagnostizieren, sich auf Fehler zu stürzen, sich zu beschweren, seine Aufmerksamkeit lustvoll in dunkle Löcher zu schütten, während gleichzeitig viel Gutes passieren. Goldblum hat recht: Wie viele liebende Menschen sind gerade da draußen? Hat nicht heute ein Freund angerufen, aus der unbestimmten Sorge, etwas könnte nicht stimmen? Muss man nicht häufiger an die Menschen denken, die sich Mühe geben? Goldblum sagt, er sei nur ein bescheidener Schüler. Er übe jeden Tag Klavier, er versuche, besser zu werden. Er gibt sich Mühe. Vielleicht braucht nicht jede Geschichte einen Konflikt. Und vielleicht darf man sich nach 20 Minuten mit Jeff Goldblum einfach besser fühlen.

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