Der Burger markiert das Ende des Bürgertums. Mit dem Brutzelpatty zwischen Brötchenhälften hat sich der Massengeschmack endgültig im gehobenen Gaststättensegment breitgemacht. Auch die angesagte Restaurant-Bar „Black Rabbit“, gleich an der Brooklyn Bridge gelegen und für viel Geld im Shabby-Look eingerichtet, serviert gerne Gourmet-Burger, fancy garniert und mit fünfzig Dollar fancy bepreist. Das stört die zahlungskräftige New Yorker Hipster-Boheme nicht, im Gegenteil: Der moderne Bourgeois definiert sich allein über den Preis. Der Laden also brummt, und das freut Jake Friedken (Jude Law) und seine Mitinhaber wie den Musiker-Influencer Wes (Sope Dirisu). Alle Anteilseigner sind anwesend, denn es ist ein besonderer Abend: Ein Designer präsentiert seinen Edelschmuck.
Das Charisma haben sie von ihrem Vater
Jake hält eine kleine Rede, redet das übliche Blech über ein Restaurant, das eine Heimat sein soll für die Community. Man sei schließlich „eine Familie“. Im schnieken Hemd und offenen Sakko wirkt er wie die Verkörperung dieser um sich selbst kreisenden Metropolen-Oberklasse, und das ist er sogar in einem tieferen Sinne, denn wie viele New Yorker Neureiche ist Jake ein Emporkömmling. Er und sein Bruder Vince (Jason Bateman) sind die Söhne eines aggressiven, spielsüchtigen Frauenschlägers und Säufers, der freilich Charisma besaß.
Während Jake diese Herkunft überwunden zu haben scheint – auch wenn da manchmal etwas Ungreifbares über sein Gesicht huscht; weniger als eine Mimik, aber genug für einen Zweifel –, während sich Jake also Tag für Tag im erarbeiteten Erfolg sonnt, ein gutes Verhältnis zu seiner Ex-Frau Val (Dagmara Dominczyk) und dem gemeinsamen Sohn Hunter (Michael Cash) pflegt und ein wenig mit Wes’ Freundin Estelle (Cleopatra Coleman) flirtet, scheint all die Hallodri-Energie des früh gestorbenen Vaters auf Vince übergegangen zu sein. Auch der ist ein Spieler, der von einer Katastrophe in die nächste schlittert, aber eben auch charismatisch, klug und witzig.
Bruderzwist wie bei Kain und Abel
Das „Black Rabbit“ musste Vince Monate zuvor verlassen, obwohl ihm die Gründung zu verdanken war. Doch auch dort hatte er Mist gebaut; mit seinem Anteil kaufte er sich frei. Daneben hatte er einen weiteren Kredit aufgenommen und verjubelt, und zwar bei einem Paten wie aus dem Mafia-Bilderbuch. Kaum ist Vince nach einer weiteren Bruchlandung nach New York zurückgekehrt, lässt dieser Mancuso (Troy Kotsur) die Ausstände eintreiben. Das übernehmen zwei Knallchargen (Forrest Weber, Chris Coy), einer davon der Sohn des Paten. Jake wiederum hat ein so großes Herz, dass er den Troublemaker Vince wieder in sein Leben hineinlässt: Familie eben. Damit ist das Chaos programmiert. Nicht nur eine geplante Restaurantexpansion steht nun auf dem Spiel.
Bald geht es um immer größere Geldsummen, um Vertrauen und Verrat, einen Bruderzwist von Kain-und-Abel-Dimensionen, ja, um Leben und Tod. Höhepunkt der Pilotfolge ist ein martialischer Überfall auf das Restaurant am Schmuckabend, bei dem fatale Schüsse fallen (auf die Auflösung muss man lange warten). Aber auch die Restauranthandlung kommt nicht zu kurz: Die Küchenchefin Roxie (Amaka Okafor) rotiert, denn wie in jeder Brutzelserie bis hin zu „The Bear“ ist eine wichtige Gastrokritikerin im Anmarsch; alles hängt von den vergebenen Sternen ab. Außerdem hat man noch mit sexuellen Übergriffen am Arbeitsplatz zu tun. Das alles ist perfekt gefilmt vor der dunkel bis grünlich gehaltenen Stadtkulisse, optisch mehr „Sopranos“ als „Suits“. Stellenweise kann „Black Rabbit“ vor Coolness und New-York-Vibes kaum laufen. Da wird auch mal ein hippes Musikvideo eingebaut, denn die Friedken-Brüder sollen – wenig glaubhaft – eine Band-Vergangenheit besitzen. Regie geführt haben neben Jason Bateman selbst Justin Kurzel, Laura Linney und Ben Semanoff.
Kurz: Es wirkt, als hätten nicht Zach Baylin und Kate Susman das Drehbuch verfasst, sondern der berühmte Algorithmus die Serie aus lauter bekannten Zutaten zusammengerührt, alles fancy garniert, ohne dass ein konsistenter Gesamteindruck entstünde. Man zielt mit Kanonen auf den Massengeschmack: ein bisschen schmutziger Mafia-Thriller, ein bisschen „Fargo“-Überdrehtheit (das Böse kann richtig böse, aber komisch sein), dazu Krimiaspekte, Küchenromantik, Intrigen und eine gute Portion Dude-Lässigkeit. Vince ist zwar der Sohn von „Big Dick“, erinnert aber mehr an „The Big Lebowski“; es gibt sogar ein Bowlingkugel-Zitat. Der emotionale Kern der Erzählung ist die familiäre Hassliebe, allerdings auch das weit entfernt von der Subtilität in „Succession“. Originell ist am Drehbuch dabei nichts, nicht die Jugendgeschichte von Vince und Jake, nicht die Spielszene im illegalen Casino, nicht die finanzielle Schieflage, nicht die müde Liebeshandlung, nicht die Sorgen der lesbischen Küchenchefin oder die der Designerin der neuen „Location“, erst recht nicht die fast wie Parodien wirkenden Verfolgungen durch „Dumm und Dümmer“, wie Vince die beiden gewalttätigen Trottel nennt, die ihm auf den Fersen sind.
Und doch kann Fast Food schmackhaft sein. Alles sieht hier derart appetitlich nach Genre aus (sogar die Tasche voller Geld kommt vor) und ist mit so fluffigem Retro-Rock unterlegt, dass sich die Serie mühelos wegschnabulieren lässt. Die Top-Besetzung hat daran natürlich ihren Anteil. Vor allem Bateman und Law sind schauspielerisch eine Freude, zumal man sie entgegen der üblichen Richtung besetzt hat: Jude Law spielt eben keinen waghalsigen Gigolo, sondern einen interessant gebrochenen Charakter, oft eine Spur zu großsprecherisch und leicht manipulierbar. Vince in seinen schlabberigen Band-Shirts und mit den meist illegalen Ideen hat den kleineren Bruder immer noch in der Hand, zieht ihn dabei unweigerlich mit in den Abgrund. Der Humor funktioniert ebenfalls, vor allem die lockeren Sprüche von Vince – auch das leicht auf „Lebowski“-Coolness gedreht – in Richtung des immer mehr aus der Haut fahrenden Jake. Mit der Zeit wird deutlich, warum man die beiden in dieser Weise besetzt hat, denn unter der Oberfläche sind sie einander ähnlicher als erwartet.
Auch Geduld zahlt sich aus, denn ab etwa der Mitte der Serie zieht das Tempo noch einmal merklich an. Je auswegloser die Situation, desto spannender wird der Überlebenskampf; und jetzt setzen endlich auch überraschende Wendungen ein. Die meisten Figuren wirken zwar weiter wie Beiwerk, aber dafür entschädigt die von Law und Bateman meisterhaft zum Ausdruck gebrachte Chemie zwischen den Brüdern: Es fliegen die Funken, aber stets nimmt man ihnen auch die Verantwortung füreinander ab. Timing, a-chronologische Erzählstruktur, Intensität der Kamera (wackelig, nah, als schwitzten die Bilder selbst), das alles kann sich sehen lassen, auch das Finale ist konsequent. Es ist bedauerlich, dass Netflix beim Versuch, mit Macht den nächsten Hit zu kreieren, zu viel auf einmal wollte; es gibt keine Freiräume für den Irrsinn, der hier unverkennbar angelegt ist, dafür zu viele Standardideen. Die Serie „Black Rabbit“ hätte fliegen können, jetzt hoppelt sie nur.
Black Rabbit startet am Donnerstag bei Netflix.