Wirtschaftspolitik: Schrumpf das Wachstumspaket!

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Um der müden Wirtschaft aufzuhelfen, haben die drei Chefs der Ampel eine lange Liste an Reformen verabredet. 49 Punkte umfasst die sogenannte Wachstumsinitiative, die Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) in ihren Rollen als Kanzler, Vizekanzler und Vizevizekanzler im Sommer vorgestellt hatten. Nun soll der Bundestag diese Reformen beschließen. Doch hier tritt ein ampeltypisches Phänomen auf: Die Koalitionspartner mäkeln an den Beschlüssen herum und wollen trotz voriger Einigung dies, das und jenes nicht.

Sogar Kanzler Scholz macht mit. Er distanzierte sich in einem Fernsehinterview von der geplanten Prämie für diejenigen Bürgergeldempfänger, die durch einen Job die Grundsicherung hinter sich lassen. „Ich persönlich teile die Theorie vieler Leute nicht, dass man jemanden zur Arbeit locken muss“, sagte er RTL. In der Wachstumsinitiative steht jedoch: 1000 Euro Bonus vom Amt sollen ehemalige Bürgergeldempfänger nach einem Jahr beantragen können, wenn sie einen neuen Job antreten, mit dem sie so viel verdienen, dass sie sechs Monate lang auch zum Aufstocken kein Bürgergeld mehr brauchen.

Die 1000 Euro werden mittlerweile als „Hintern-hoch-Prämie“ verspottet. Sie soll ein komplexes Problem des Sozialstaats namens „Transferentzugsraten“ umgehen: Wer als Geringverdiener etwas mehr arbeitet, verliert oft staatliche Transferzahlungen und muss mehr Sozialabgaben zahlen. Trotz Mehrarbeit bleibt dann kaum mehr Netto. Der finanzielle Anreiz zum Arbeiten ist dahin. Die 1000 Euro, so der Gedanke dahinter, sollen das ausgleichen. Allerdings ist der Widerstand in der SPD gegen die Prämie hoch. Die Partei hat ohnehin mit dem Ruf zu kämpfen, zu großzügig zu Bürgergeldempfängern zu sein. Der grüne Wirtschaftsminister dagegen hat die Prämie verteidigt. Habeck nannte den Vorschlag sehr praktisch und pragmatisch.

Motiviert die Prämie tatsächlich Menschen, das Bürgergeld zu verlassen, ist die Rendite auf die 1000 Euro für die Steuerzahler gut: Mehr als 25 000 Euro kostet ein Bürgergeldempfänger rechnerisch die Gemeinschaft im Jahr – und das sind Zahlen für 2022, seitdem ist das Bürgergeld deutlich erhöht worden, und Mieten sind gestiegen.

Die Wirtschaftsreformen und der Haushaltsstreit sind miteinander verknüpft

Strittig bis chancenlos ist auch der Steuerrabatt für ausländische Fachkräfte. Die Idee aus der Wachstumsinitiative: Wer für einen besonders gesuchten Beruf nach Deutschland einwandert, soll im ersten Jahr 30 Prozent vom Brutto steuerfrei bekommen. Nachbarländer von Deutschland ziehen mit diesem Modell nachweisbar internationale Fachkräfte an. Doch der Vorschlag stößt in der SPD und den Gewerkschaften auf Widerstand. Und Finanzminister Lindner, der dafür geworben hatte, wird sich dafür nicht verkämpfen.

Schrumpft die Wachstumsinitiative, kann sie nächstes Jahr die Wirtschaft nicht wie geplant anschieben. Weniger Wachstum im Wahljahr 2025 ist für die Ampelparteien nicht nur politisch unangenehm, es erschwert auch die Einigung auf einen Haushalt. Denn auch die erwarteten Steuereinnahmen sinken. Der Haushalt soll Mitte November beschlossen werden. Die FDP will daher die Wirtschaftsreformen auf jeden Fall zusammen mit dem Haushalt für nächstes Jahr verhandeln und beschließen. Aus ihrer Sicht könnten gerne auch noch mehr Reformen dazukommen.

Aber noch sind ja nicht einmal die beschlossenen Punkte umgesetzt. „Kommen die Arbeitsmarktreformen nicht, würde das die Wachstumschancen deutlich reduzieren“, sagt Claus Michelsen, Chefökonom vom Verband der forschenden Pharma-Unternehmen, der die Folgen der Wachstumsinitiative für das Bruttoinlandsprodukt durchgerechnet hat. Langfristig haben die Arbeitsmarktreformen demnach den größten Effekt, weil sie den Fachkräftemangel mildern können.

Die Zahl der Arbeitslosen steigt zwar, aber viele Unternehmer suchen trotzdem noch passende Mitarbeiter. Können sie Bürgergeldempfänger einstellen oder Fachkräfte aus dem Ausland, hilft das – den Firmen und dem Wirtschaftswachstum. „Die Anschubprämie für Bürgergeldempfänger und der Steuerrabatt für ausländische High Potentials gehen in die richtige Richtung“, sagt daher Ökonom Michelsen, auch wenn beide Maßnahmen allein kurzfristig nicht die deutsche Wirtschaft retten würden.

Die Grünen sind skeptisch bei den Verschärfungen des Bürgergelds

Ebenfalls offen ist, was aus den geplanten Verschärfungen beim Bürgergeld wird. Die Sanktionen sollen wieder verschärft werden, zudem sollen weiter entfernte Jobs als zumutbar gelten. Die SPD-Linken und die Grünen tun sich schwer damit. Man könne nicht quasi allen Bürgergeldempfängern mit Sanktionen drohen, sagt Frank Bsirske von den Grünen. 99 Prozent der Bürgergeldempfänger bemühten sich auch so, in einen Job zu kommen.

Als „sehr problematisch“ bezeichnet Bsirske den Plan, eine monatliche Meldepflicht einzuführen: Bürgergeldempfänger sollen einmal im Monat persönlich ins Jobcenter kommen. „Das ist ein bürokratischer Irrweg, der die Jobcenter mit über einer Million zusätzlicher Termine lahmzulegen droht“, sagt Bsirske. Arbeitsmarktökonomen sehen die Meldepflicht differenziert: Wenn in den monatlichen Terminen intensiv gearbeitet wird, könnten diese etwas bringen. Doch ohne zusätzliches Geld für die Jobcenter wird dieser Mehraufwand wohl nicht gelingen.

Die FDP bangt noch um ein Projekt, das die Bürokratiekosten für Firmen senken soll. Laut Wachstumsinitiative sollen Unternehmen weniger streng nachweisen, dass ihre Zulieferer im Ausland die Menschenrechte achten. Zuständig ist das Arbeitsministerium von Hubertus Heil (SPD). Das Ministerium verweist darauf, dass man sich eng mit der EU-Kommission abstimme, „um eine möglichst EU-weit einheitliche Umsetzung zu gewährleisten und einen Flickenteppich an Regelungen für Unternehmen zu verhindern“. Was sich wohl übersetzen lässt mit: Das ist aufwendig und kann länger dauern als die Entscheidungen über den Haushalt Mitte November. Der Einfluss dieser Lieferkettenbürokratie auf die Wachstumsprognose ist jedoch gering.

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