Türkei: Die PKK verkündet eine „neue Ära“

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Nach einem halben Jahrhundert des Krieges reichen für den Frieden ein paar Sätze. Sie trete „in eine neue Ära“ ein, teilte die PKK am Montagmorgen mit, die „Arbeiterpartei Kurdistans“, jene Miliz, die seit den Siebzigerjahren gegen den türkischen Staat gekämpft hat – und der Staat gegen sie. Mehreren Zehntausend Menschen hat dieser Krieg das Leben gekostet, er hat die Türkei geprägt und die ganze Region.

Jetzt, so heißt es in der Erklärung der PKK nach ihrem Parteitag, sei der bewaffnete Kampf vorbei. Und nicht nur das. „Alle unter dem Namen der PKK stattfindenden Aktivitäten sind beendet“, heißt es. Die Organisation löst sich auf.

Es ist ein historischer Schritt, der nicht ganz überraschend kommt. Abdullah Öcalan, der die PKK damals in einem Dorf im Südosten der Türkei gegründet hatte, der seit 1999 auf einer Insel im Marmarameer in Haft sitzt, er hatte seine Kameraden im Februar genau dazu aufgefordert. Vorher war eine kurdische Delegation immer wieder zwischen dem inhaftierten Anführer und der türkischen Regierung in Ankara hin und her gereist und hatte vermittelt.

Historischer Öcalan-Auftritt

:Ein Anfang, vielleicht

Im kurdischen Qamischli, im Norden Syriens, verfolgen die Menschen die historische Rede des PKK-Gründers Abdullah Öcalan. Hat er gehalten, was sie sich von ihm versprochen haben? Ein Besuch.

Es war der türkische Ultranationalist Devlet Bahçeli, der den neuen türkisch-kurdischen Friedensprozess begann. Ein Mann, der früher leugnete, dass es eine kurdische Ethnie gibt, und dessen Forderung es lange Zeit war, dass Öcalan hingerichtet werde. Vor einigen Monaten nun gab Bahçeli im Parlament kurdischen Abgeordneten die Hand. Er ist der Koalitionspartner von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Dieser spricht selbst schon länger von einer „terrorfreien Türkei“.

Die Regierung ist nun gefragt, der kurdischen Minderheit etwas anzubieten

Aus Sicht der Regierung hat die PKK den Krieg ohnehin verloren, die Kämpfe fanden nur noch in den Bergen des Nordirak statt, wohin sich die Organisation zurückgezogen hatte. Zumindest öffentlich ließ sich Erdoğan deshalb auch nicht auf Zugeständnisse ein. Bis jetzt ist unklar, was er anbot, damit sich Öcalan zur Auflösung der PKK bereit erklärte. Aus Ankara hieß es, über politische Schritte werde man erst reden, wenn die Organisation sich an ihr Versprechen halte: Sich also auflöse und ihre Waffen abgebe.

 Präsident Recep Tayyip Erdoğan braucht die Stimmen der Kurden, aber auch die der Nationalisten.
Vor einem Balanceakt: Präsident Recep Tayyip Erdoğan braucht die Stimmen der Kurden, aber auch die der Nationalisten. (Foto: Antonio Masiello/Getty Images)

In deren Erklärung heißt es nun, ihr Kampf erst habe es ermöglicht, dass „die kurdische Frage nun durch demokratische Politik gelöst werden kann“. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass die kurdische Frage aus Sicht der PKK eben noch nicht gelöst ist. Dass die Regierung nun gefragt ist, der kurdischen Minderheit etwas anzubieten: das Recht auf ihre Sprache etwa. Oder auch, dass kurdische Häftlinge aus den türkischen Gefängnissen freikommen. Zum Beispiel der seit 2016 einsitzende Selahattin Demirtaş, der wohl populärste kurdische Politiker in der Türkei.

Für einen „dauerhaften Frieden“ sei es außerdem wichtig, lässt die PKK wissen, dass „Führer Apo“, so nennen sie Öcalan, den Friedensprozess leite. Ein Satz, der sich als Forderung lesen lässt, dass der Gefangene entweder freikommen muss oder sich wenigstens, anders als bisher, öffentlich äußern darf.

Enttäuschte Nationalisten sammeln sich jetzt rechtsaußen

Für Präsident Erdoğan ist das ein politischer Balanceakt. Einerseits will er den Frieden mit den Kurden, wobei ihm viele auch taktische Motive unterstellen: Er braucht deren Stimmen für eine mögliche Wiederwahl. Andererseits dürfte Erdoğan wissen, dass der Friedensprozess in weiten Teilen der Gesellschaft nicht sehr beliebt ist. Die meisten türkischen Männer haben als Wehrpflichtige in der Armee gedient und waren oft im Südosten eingesetzt, also im Kampf gegen die PKK. Die Familien der gefallenen Soldaten fragen auch öffentlich, wofür ihre Söhne gestorben sind, wenn der Staat sich nun auf Amnestien einlässt – vielleicht sogar für Öcalan selbst.

Erdoğan riskiert damit, dass er nationalistische Wähler verliert. Von ihm enttäuschte Nationalisten sammeln sich etwa in der „Zafer Partisi“, der „Partei des Sieges“, einer oppositionellen Rechtsaußenpartei, die in den Umfragen immer beliebter wird. Ihr Chef sitzt in Haft. Auch deswegen nehmen die Zafer-Anhänger an den aktuellen Straßenprotesten teil, die das Land seit der Verhaftung des Istanbuler Oberbürgermeisters İmamoğlu erlebt.

Ekrem İmamoğlus eigene Partei, die ebenfalls in Teilen nationalistische CHP, hat sich bisher nicht gegen den Friedensprozess gestellt, sie hat ihn sogar begrüßt. İmamoğlu gewann seine Wahlen in Istanbul stets mithilfe kurdischer Wählerinnen und Wähler.

So steht die Türkei vor einer Phase, in der sich die Politik neu sortiert. Und in der sich die Zukunft des Präsidenten entscheidet: Das Ende der PKK geschieht parallel zu den Protesten gegen Erdoğan; gerade am Wochenende kam die Führung der CHP zu einer Kundgebung in die kurdische Stadt Van im Osten des Landes. Dort wählte früher kaum jemand die Partei, die ihre Hochburgen in den Städten des Westens hat.

Die CHP will zeigen, dass auch kurdische Bürgerinnen und Bürger hinter İmamoğlu stehen, ihrem designierten Präsidentschaftskandidaten – und dass es echten Frieden erst gibt, wenn das Land zurück zur Demokratie findet. In der Erklärung der PKK fällt das D-Wort 29-mal.

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