Reporter in der Türkei: „Ich habe nur meinen Job gemacht“

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Als Joakim Medin am Mittwoch in Ankara vor Gericht aussagte, merkte man ihm an, dass er aus einem Land mit freier Presse kommt. „Ich bin Journalist“, sagte der Reporter der schwedischen Tageszeitung ETC. „Ich habe nur meinen Job gemacht.“ Klar, in Schweden, seinem Heimatland, würde Medin nicht in Untersuchungshaft sitzen, weil er etwas geschrieben hat, was der Regierung nicht gefällt. In der Türkei verhält es sich etwas anders.

Am späten Nachmittag verurteilte der Richter Medin zu etwas mehr als elf Monaten Haft, die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Allerdings läuft noch ein zweites Verfahren gegen ihn, deshalb bleibt er in Haft. Sein Chefredakteur, der zum Prozess angereist war, schrieb auf X, man sei der Freilassung zumindest „näher gekommen“. Und: „Moralische Siege“ könne man wohl „nicht erwarten, nicht in der Türkei.“

Ihm droht jahrelange Haft

Was mit dem 40-Jährigen geschieht, klingt wie aus einer düsteren Farce: Während der Demonstrationen, die nach der Absetzung und Verhaftung des Istanbuler Oberbürgermeisters Ekrem İmamoğlu stattfanden, wurden etwa zehn Journalisten aus verschiedenen Ländern festgenommen. All diese Reporter sind mittlerweile wieder auf freiem Fuß. Anders verhält es sich mit dem Schweden Joakim Medin, der gar keine Chance bekommen hatte, über die Unruhen zu berichten, weil er schon am 27. März bei seiner Einreise am Flughafen von Istanbul festgenommen wurde.

Bei dem Verfahren jetzt in Ankara ging es um angebliche Präsidentenbeleidigung. In Istanbul soll Medin bald der Prozess wegen angeblicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung und wegen Verbreitung terroristischer Propaganda gemacht werden. Ihm droht jahrelange Haft. In ihrer Anklageschrift stützt sich die Staatsanwaltschaft auf Artikel, Buchkapitel und Postings, die Medin verfasst hat.

 den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan.
Dem schwedischen Journalisten wird vorgeworfen, „terroristische Propaganda“ verbreitet und ihn beleidigt zu haben: den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. (Foto: Antonio Masiello/Getty Images)

Die Artikel erschienen in ETC, die Bücher sind nur auf Schwedisch in Schweden erschienen. In einem der drei inkriminierten Artikel hatte der Journalist über Bombenangriffe der türkischen Armee auf kurdische Gebiete im Nordosten Syriens berichtet. In den beiden anderen Artikeln ging es um politische Zugeständnisse der schwedischen Regierung an die Türkei: Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte sich lange gegen den schwedischen Nato-Beitritt gewehrt, weil Schweden PKK-Leuten Asyl gewährt habe, also Mitgliedern der verbotenen „kurdischen Arbeiterpartei“. Schweden änderte Erdoğan zuliebe seine Terrorgesetzgebung, außerdem fing die schwedische Sicherheitspolizei Säpo an, die kurdische Exilgemeinde in Schweden zu durchleuchten.

Selbst für türkische Verhältnisse ist das Vorgehen ungewöhnlich

Auch in seinen Büchern, die sich um das politische Problem des kurdischen Freiheitskampfes drehen, kritisiert Medin die schwedische Regierung dafür, Exilkurden an die Türkei ausgeliefert zu haben. Zudem liefert er Belege dafür, dass die Säpo eng mit der türkischen Geheimpolizei zusammengearbeitet habe.

In seinem Buch „Kurdspåret“ (Der kurdische Weg), in dem er Schwedens Natobeitritt nacherzählt, erklärt Medin, dass ein neues schwedisches Gesetz zur Auslandsspionage ihn zum Kriminellen machen könnte, da Schwedens Beziehungen zur Türkei durch seine Berichterstattung beschädigt werden könnten. Das war damals rein theoretisch gemeint, erweist sich jetzt aber als ziemlich hellsichtig.

Nimmt man die Vorwürfe ernst, müssten viele Journalisten inhaftiert werden, die sich kritisch über die Regierung des Landes geäußert haben, in dem sie ihre Arbeit machen. Er habe nun einmal über Schwedens Nato-Beitrittsprozess berichtet, sagte Medin am Mittwoch vor Gericht, natürlich habe er dabei auch über Erdoğan als „wichtigen politischen Akteur“ geschrieben, er habe den Präsidenten gewiss nicht beleidigt.

Als wäre es schon ein Indiz für PKK-Mitgliedschaft, wenn man über die PKK schreibt

Selbst für türkische Verhältnisse ist das Vorgehen gegen ihn ungewöhnlich. Das Land liegt auf der Rangliste der Pressefreiheit, die „Reporter ohne Grenzen“ herausgibt, auf Platz 158. In den vergangenen Jahren gab sich die Regierung aber zumindest ausländischen Journalisten gegenüber etwas milder. Man hoffte wohl auch auf ein besseres Verhältnis zu Europa, das Erdoğan im Kampf gegen die Wirtschaftskrise dringend braucht.

Manche türkische Medien zitierten aus der Anklage, darin heiße es, dass sich Medin zwar als Krisenreporter bezeichne, dann aber meist über Nordsyrien und „die Organisation“ berichtet habe. So wird die PKK in der Türkei oft genannt. Als wäre es schon ein Indiz für PKK-Mitgliedschaft, wenn man über die PKK schreibt. Medin gibt an, aus vielen Regionen berichtet zu haben. Erstaunlich ist der Vorwurf aber auch angesichts der Tatsache, dass die Türkei mit eben jener PKK gerade einen Friedensprozess begonnen hat; die will bald ihre Auflösung verkünden.

In Schweden fragt man sich, was also mit Medins Prozessen bezweckt werden soll. „Werden wir bald konkrete türkische Forderungen zur Freilassung des Schweden hören?“, fragt Dagens Nyheter. „Vielleicht die Auslieferung tatsächlicher oder mutmaßlicher PKK-Terroristen an Schweden?“ Aftonbladet vermutet ganz ähnlich, dass Erdogan Medin dazu benutzen will, „Druck auf die schwedische Regierung hinsichtlich der gemeinsamen Sicherheitskooperation der beiden Länder auszuüben“.

Medin war zu dem Termin in Ankara aus dem Gefängnis zugeschaltet, in dem er einsitzt, das Gefängnis bei Silivri in der Nähe von Istanbul. Es ist die Haftanstalt, in der die türkische Justiz auch Ekrem İmamoğlu gefangen hält und fast alle, die bei den Protesten verhaftet wurden. Seine Frau sei im siebten Monat schwanger, sagte Medin, und er wolle „nichts sehnlicher, als nach Hause zu kommen und die Geburt mitzuerleben“.

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