Als das Centre Pompidou im Jahr 1977 eröffnete, wurden dem avantgardistischen Kunst- und Kulturzentrum sogleich verhöhnende Spitznamen verpasst: „Raffinerie“, „Notre-Dame der Rohre“, „Gasfabrik“ oder „Pompidolium“ – in Anspielung auf den geistigen Begründer Georges Pompidou. Heute gehört das ikonische Gebäude von Renzo Piano und Richard Rogers – längst nur noch liebevoll „Beaubourg“ genannt – zu den Wahrzeichen von Paris. Am 22. September wird das Kulturzentrum für eine auf fünf Jahre angelegte Renovierung und innenarchitektonische Metamorphose geschlossen. Ein Gespräch mit dem Präsidenten Laurent Le Bon über die Zukunftspläne.
In welchem Geist entstand das Centre Pompidou vor fast fünfzig Jahren?
Es ging darum, erstmalig eine multidisziplinäre Institution zu schaffen, die sich der zeitgenössischen Kunst widmet und gleichzeitig eine historische Verankerung hat, da die Sammlung des Musée national d’art moderne integriert werden sollte. Neben dem Museum und den verschiedenen Ausstellungsgalerien beherbergt das Centre Pompidou zwei Bibliotheken, Säle für Filmvorführungen und Veranstaltungen der darstellenden Künste. Es sollte eine Architektur entworfen werden, die – in der Folge der 68er-Bewegung – einen Geist der Offenheit und Transparenz widerspiegelt. Am Ursprung des Centre Pompidou stand auch ein utopischer Geist der Interdisziplinarität, die Idee, eine Art Traummaschine zu schaffen, die es uns ermöglicht, die Herausforderungen der gegenwärtigen Gesellschaft zu verstehen und gleichzeitig die Kunstgeschichte neu zu interpretieren. Diese Dialektik spiegelt sich in der Programmierung wider. Das Centre Pompidou ist mit der Zeit von einem „Anti-Monument“ – so definierten es Renzo Piano und Richard Rogers – zu einem Klassiker geworden. Wir werden sogar bald das Label „historisches Denkmal“ erhalten. Heute sind wir nach außen hin aktiver als innerhalb unseres historischen Gebäudes. Wir sind mit jährlich 7000 Werken zum weltweit größten Leihgeber geworden. Mit Dependancen in Metz, Málaga und Shanghai sind wir auch der weltweit führende Museumsbetreiber. In den nächsten Jahren eröffnen wir weitere Standorte.

Warum wurde eine vollständige Renovierung notwendig?
Die Renovierung zwischen 1997 und 2000 reichte für eine grundlegende strukturelle Umgestaltung nicht aus. Vor allem steht nun eine Asbestsanierung bevor. Die architektonische Integrität des Gebäudes soll gewahrt bleiben, aber wir müssen es neuen Normen und dem Klimawandel anpassen. So werden beispielsweise alle Fassaden ersetzt, mit dem Ziel, den Energieverbrauch um vierzig Prozent zu senken. Aus Gründen der Effizienz schließen wir das gesamte Gebäude. Das ist eine große Herausforderung, aber sie bot uns eine historische Chance: Wir konnten das Centre grundlegend neu konzipieren. Der technische Teil wurde dem Büro AIA Life Designers anvertraut, während die architektonische und kulturelle Vision von den Architekturbüros Moreau-Kusunoki und Frida Escobedo Studio umgesetzt wird.
Wenn das Centre Pompidou 2030 wiedereröffnet, welche sichtbaren Veränderungen erwarten die Besucher?
Außen keine – aber innen ändert sich alles! Das Forum im Erdgeschoss wird umgestaltet. Ein großer Durchbruch mit breiten Treppen führt nach unten zur neuen Agora auf der Ebene -1. Dort entsteht auf einer Fläche von 10.000 Quadratmetern eine in Europa einzigartige Plattform mit zwei Theatern, zwei Kinosälen und vier „Boxen“ für multidisziplinäre Ausstellungen und ein vielfältiges Programm. Die Bibliothek wird komplett umgestaltet. Wir schaffen einen „Pôle nouvelle génération“ für Kinder und einen neuen Bereich mit Restaurant, Café und Buchhandlung. Das Museum auf den Ebenen 4 und 5 erhält eine modernisierte Szenographie. Ganz oben wird eine Dachterrasse mit phantastischem Blick auf Paris eingerichtet.
Wie wird der Umbau finanziert?
Die geschätzten Kosten belaufen sich auf 460 Millionen Euro, wobei 280 Millionen Euro vom Staat kommen. Von den verbleibenden 180 Millionen Euro haben wir bereits 100 Millionen Euro gefunden, und ich habe einen Finanzierungsplan über fünf Jahre für die restlichen 80 Millionen Euro vorgelegt.
Saudi-Arabien ist mit 50 Millionen Euro dabei – wie sehen die Gegenleistungen aus?
Dies ist Teil eines zwischenstaatlichen Abkommens. Frankreich arbeitet seit 2018 mit Saudi-Arabien an einem großen Kulturprojekt in der Oase Al-`Ula zusammen. Wir werden dort mit unserem Know-how den Aufbau eines Museums für moderne und zeitgenössische Kunst begleiten. Dieses Projekt wird nicht den Namen Centre Pompidou tragen. Wir denken außerdem über weitere Gegenleistungen nach und stellen uns vor, dass wir nach der Wiedereröffnung nach dem Prinzip des „Namings“ verfahren könnten, etwa für einen Raum oder eine Galerie im Pompidou.
Kann ein Programm während der Schließung fortgesetzt werden?
Wir haben ein Programm mit dem Titel „Constellation“ entwickelt. Es stützt sich zum einen auf unser Centre Pompidou. Wir haben einen Standort in Metz und öffnen Ende 2026 ein neues Centre Pompidou in Massy bei Paris. Im Ausland kommen im nächsten Jahr zu unseren Dependancen in Málaga und Shanghai zwei weitere Centre Pompidou in Seoul und Brüssel hinzu. An all diesen Orten können wir unsere Politik entfalten und unsere Sammlungen präsentieren. Auch die Projekte neuer Dependancen in Foz do Iguaçu in Brasilien und im amerikanischen Jersey City nehmen Form an, die Eröffnungen sind für 2027 und 2030 geplant. Zum anderen haben wir Partnerschaften mit Institutionen in Frankreich und im Ausland geschlossen. Für Wechselausstellungen werden wir über mehrere Jahre hinweg mit dem Grand Palais und La Monnaie in Paris, dem Tripostal in Lille und dem Grimaldi Forum in Monaco zusammenarbeiten. Außerdem haben wir ein umfangreiches Programm mit Kollaborationen für Einzelprojekte entwickelt. Was Deutschland betrifft, so ist derzeit eine Schau über den Surrealismus, „Rendez-vous der Träume“, in der Hamburger Kunsthalle zu sehen, und im März 2026 wird eine Ausstellung über Constantin Brâncuși in der Neuen Nationalgalerie in Berlin eröffnet.

Sie haben einen neuen Standort in Massy erwähnt, der Ende 2026 eröffnet . . .
. . . unsere Sammlung ist von 10.000 Werken im Jahr 1977 auf 150.000 angewachsen. Da das Centre Pompidou in Paris nicht über den erforderlichen Platz verfügt, mieten wir mittlerweile rund zehn Kunstdepots. Das Gebäude im südlich von Paris gelegenen Massy soll der einzige Ort für unsere Bestände werden. Wir nennen dieses neue „Centre Pompidou Francilien“ im Untertitel „Fabrique de l’art“, weil es auch einen konservatorischen und restauratorischen Laboraspekt hat. Aber es soll kein Kunstdepot-Bunker werden. Mit Ausstellungsflächen, einem Veranstaltungsraum und einem Restaurant öffnet es sich für Publikum und zur Stadt hin. Das entspricht unserer Philosophie und in diesem Sinn hat der Architekt Philippe Chiambaretta ein 30.000 Quadratmeter großes Gebäude entworfen.
Wie fühlen Sie und Ihre Teams sich am Vorabend der Schließung?
Es ist kein Vergnügen, schließen zu müssen. Aber dieses Projekt, das wir gemeinsam tragen – wir sind zweitausend Mitarbeiter – ist ein außerordentliches kollektives Abenteuer. Wir sind also melancholisch und glücklich zugleich.