Österreich: Ein Todesfall und viele Fragen

vor 6 Stunden 1

Wer eine Zeit lang in Österreich lebt, stößt irgendwann auf einen ganz bestimmten Todesfall. Er ereignete sich im Herbst 2023 an einem Seitenarm der Donau in der Wachau und bewegt seither das Land. Denn der Tote, der damals aus dem Wasser geborgen wurde, war einer der höchsten Justizbeamten. Als Sektionschef im Justizministerium hatte Christian Pilnacek eine Position, die es nur in Österreich gibt.

Das Strafrecht sieht nämlich vor, dass bei besonders öffentlichkeitswirksamen oder politisch brisanten Fällen nicht nur die jeweiligen Staatsanwaltschaften ermitteln, sondern sich eine ganze Weisungskette damit beschäftigen muss. Diese endet beim Minister oder der Ministerin höchstpersönlich und soll im besten Fall bewirken, dass es bei „clamorosen Causen“, wie das im schönsten k.u.k-Deutsch heißt, mehrere Kontrollinstanzen gibt. Im schlechtesten Fall sind Glieder der Weisungskette anfällig für politische Einflussnahme, weshalb diese Konstruktion seit Langem von juristischen Experten kritisiert wird.

Weit oben in dieser Weisungskette stand Christian Pilnacek. Eine Person der Zeitgeschichte, deren Tod in jedem Fall großes öffentliches Interesse nach sich gezogen hätte. Bei Pilnacek kommt hinzu, dass vieles an den Todesumständen des 60-Jährigen bis heute ungeklärt ist. Wie er ins Wasser kam und vor allem: warum. Die Ermittler konnten nur zweifelsfrei feststellen, dass Pilnacek ertrunken war und kein Fremdverschulden vorliege.

Eine solche Gemengelage ist der ideale Nährboden für Spekulationen. Derzeit vergeht kaum eine Woche, in der nicht Details über den Fall Pilnacek öffentlich werden. Das liegt auch daran, dass bei den Ermittlungen nach dem Tod des Sektionschefs nicht alles so lief, wie es sollte. So stellte die Polizei etwa Pilnaceks Handy nicht sicher, obwohl es „von besonderer Brisanz“ gewesen wäre, wie eine Staatsanwaltschaft festhielt.

Im Herbst könnte sich nun auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit dem Fall Pilnacek beschäftigen. Die Frage ist allerdings, ob dies der richtige Ort ist. Zum einen kann ein Untersuchungsausschuss nicht die Arbeit einer Staatsanwaltschaft erledigen, wird zu den Todesumständen also wenig Erhellendes zutage fördern. Zum anderen sieht man bereits am Antrag, den die extrem rechte FPÖ gestellt hat, wohin die Reise gehen soll. Vom „tiefen Staat“ ist da die Rede und von angeblichen politischen Netzwerken, die die Ermittlungen behindert hätten.

Es ist wichtig, diesen Fall aufzuklären und allfällige Fehler bei den Ermittlungen aufzuarbeiten. Es dient dem Vertrauen in den Rechtsstaat, und nicht zuletzt könnten die Angehörigen endlich abschließen. Aber es sollte nicht so passieren, wie es der FPÖ vorschwebt. Für sie scheint ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eine Art True-Crime-Format zu sein, in dem sie ihre Verschwörungserzählungen ausbreiten kann.

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