Österreich: Blaues Comeback im roten Wien

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Im kleinen Österreich war Wien schon immer ein Sonderfall. Eine Zwei-Millionen-Metropole, die sogar die zweitgrößte deutschsprachige Stadt nach Berlin ist. Dazu das bevölkerungsreichste Bundesland Österreichs, Wiener Kommunalwahlen sind daher im ganzen Land von Bedeutung. Nur große politische Überraschungen gibt es hier nicht: Die Stadt wird, Stichwort rotes Wien, seit 1945 durchgehend von den Sozialdemokraten regiert.

Doch bei dieser Landtags- und Gemeinderatswahl ist einiges anders. So erzielte Bürgermeister Michael Ludwig den Hochrechnungen zufolge mit 39,4 Prozent ein selten schlechtes Ergebnis für die Sozialdemokraten, das ist ein Verlust von mehr als zwei Prozent. Zwar wird er auch der nächste Bürgermeister sein und auf die altbewährten Themen setzen, sozialen Wohnungsbau, ein gutes Gesundheitssystem und die funktionierende Verwaltung – all die Dinge, deretwegen Wien in internationalen Rankings oft zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt wird. Von den absoluten Mehrheiten, die seine Partei in den vergangenen Jahrzehnten erzielte, ist Ludwig jedoch weit entfernt.

Es lag wohl auch an Herbert Kickl

Das liegt zum Teil auch an Ludwig selbst. Der Bürgermeister, der sich wie seine Vorgänger als leutseliger Stadt-Vater präsentiert, hat Anfang des Jahres durchgesetzt, dass die Wiener Wahlen vom Herbst ins Frühjahr vorverlegt werden. Es war die Zeit, als ein Kanzler Herbert Kickl in greifbarer Nähe schien  – seine extrem rechte FPÖ verhandelte damals mit den Konservativen über eine Koalition, und Ludwig wollte sich als Gegenpol im nach rechts gerutschten Österreich positionieren. Es kam anders, Österreich wird inzwischen von einer Koalition aus Konservativen, Sozialdemokraten und liberalen Neos regiert, und Ludwigs Wette auf ein tiefrotes Wien ging nicht auf.

Im Gegenteil: Die FPÖ hat ihr Ergebnis im Vergleich zum Jahr 2020 fast verdreifacht, sie liegt mit 20,4 Prozent auf Platz 2 hinter den Sozialdemokraten. Das hat nicht nur damit zu tun, dass die FPÖ aus einer schlechten Ausgangsposition kam. Die Partei war im Nachgang der Ibiza- und einer parteiinternen Spesenaffäre 2020 auf sieben Prozent gerutscht. Sondern es lag durchaus auch an Parteichef Herbert Kickl. Der war im Wiener Wahlkampf sehr präsent, noch am Donnerstag trat er auf einer riesigen Bühne in der Innenstadt auf, direkt vor dem Stephansdom. Das empörte manche Katholiken, die gerne in Ruhe um den Papst getrauert hätten. Doch für Kickls Wählerschaft war das genau das richtige Signal: Dieser Mann beansprucht das Herz der Stadt und damit auch des Landes für sich.

Die Wiener Kommunalwahlen sind insofern auch ein Stimmungstest für Herbert Kickl. Der wirkte beim Wahlkampfauftakt Ende März am Bahnhof Floridsdorf noch ein wenig angeschlagen, ersuchte seine Fans um Nachsicht, dass er nicht als „Volkskanzler“ zu ihnen sprechen könne, weil er die Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP hatte platzen lassen.

Zuletzt war er aber ganz der Alte, wetterte gegen Migranten und versprach eine „Umverteilung vom Ausländer zum Inländer“. Wobei es eine interessante Binnendifferenzierung gab: Weil in Wien auch sehr viele potenzielle FPÖ-Wähler Migrationshintergrund haben, schoss sich die FPÖ vor allem auf die neu angekommen Asylsuchenden aus Syrien ein. Die „gut Integrierten“ hingegen zählte Kickl durchaus „zur Familie Österreich“. Ein Wiener FPÖ-Funktionär ging dann auch zum Fastenbrechen in einen Moscheeverein, ein anderer bat türkische Medien zu einem Pressetermin, um auf diesem Weg türkeistämmige Wienerinnen und Wiener zu erreichen.

Die FPÖ-Spitze ist dementsprechend erfreut, der Wiener Spitzenkandidat Dominik Nepp brachte sich dann auch gleich als zukünftiger Koalitionspartner ins Spiel. Mit der FPÖ zu koalieren, hat Michael Ludwig aber immer kategorisch ausgeschlossen. Er sieht einer bequemen Regierungsbildung entgegen, die bis zum Sommer abgeschlossen sein soll. Sowohl die Grünen als auch die liberalen Neos, die auf 14,6 beziehungsweise 9,8 Prozent kamen, haben Bereitschaft signalisiert, zuletzt hatte Ludwig mit den Liberalen ein rot-rosa Bündnis gebildet, das in Wien „Punschkrapferl-Koalition“ genannt wurde.

Der größte Verlierer waren am Sonntag die Konservativen. Die sind in Wien traditionell schwach, hatten bei der vergangenen Wahl 2020 aber noch vom Kurz-Effekt profitiert. Die Beliebtheit des ÖVP-Bundeskanzlers Sebastian Kurz hatte auch auf die Wiener ÖVP abgestrahlt, die damals mehr als zwanzig Prozent der Stimmen erringen konnte. Jetzt ist sie mit knapp zehn Prozent wieder auf dem Boden der Realität des roten Wien angekommen.

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