Die Genossen haben entschieden
Erst heute steht fest, ob Deutschland wirklich eine schwarz-rote Regierung bekommt. 358.322 Mitglieder der SPD konnten zwei Wochen lang über den Koalitionsvertrag mit der Union abstimmen, um 23.59 Uhr in der Nacht schloss das digitale Wahllokal, am Vormittag gibt die Parteispitze das Ergebnis bekannt. Um die Spannung nicht künstlich hochzuhalten: Alles andere als ein Ja wäre eine Riesenüberraschung. »Das wird deutlich«, sagt mein Berliner Kollege Christian Teevs, der die Sozialdemokraten seit Jahren beobachtet.

SPD-Partzeivorsitzende Klingbeil, Esken
Foto: Leon Kuegeler / REUTERSNatürlich stürzen sich die 16,4-Prozent-Genossen nicht voller Euphorie ins Bündnis mit Friedrich Merz. Die Kritik gerade aus dem SPD-Nachwuchs ist laut und deutlich (lesen Sie hier mehr über die mit sich selbst hadernde Partei). Aber selbst die Gegner, sagt Christian, gingen davon aus, dass die Zustimmung höher als 2018 nach Kevin Kühnerts massiver NoGroKo-Kampagne ausfallen wird. Damals stimmten am Ende 66 Prozent für die Koalition mit CDU und CSU.
Sollten es weniger werden, wäre das unangenehm für Lars Klingbeil, den starken Mann der SPD – aber in ein paar Tagen wohl auch schon wieder vergessen. Entscheidender dürfte für den Parteichef und wohl künftigen Vizekanzler werden, bis zur Unterzeichnung des Koalitionsvertrages am kommenden Montag die Personalfragen vernünftig zu regeln: Wer führt künftig die Bundestagsfraktion? Wer zieht ins Kabinett ein? Und vor allem: Was wird aus Saskia Esken?
Mehr Hintergründe hier: Saskia Esken ist jetzt Lars Klingbeils Problem
Letzte Runde für Scholz und Co.
»Am Mittwochvormittag tagt das Bundeskabinett unter Leitung des Bundeskanzlers.« So nüchtern steht es im Terminkalender auf der Internetseite des Bundeskanzlers. Klingt nach Routine, ist es aber nicht. Denn heute um 11 Uhr kommen Olaf Scholz und seine nach dem Ampelbruch verbliebenen Ministerinnen und Minister aller Voraussicht nach zum letzten Mal dienstlich zusammen.

Bundeskabinett im Kanzleramt
Foto: dts-Agentur / picture allianceSeit ein paar Wochen ist die Regierung nur noch geschäftsführend im Amt. Nächste Woche Dienstag will sich Friedrich Merz im Bundestag zu Scholz’ Nachfolger im Kanzleramt wählen lassen. Womöglich am selben Tag wird Merz dann schon die erste Sitzung seiner Regierung leiten (lesen Sie hier mehr zu den künftigen Ministern der Union).
Der scheidende Kanzler wird sich heute wohl ein paar Abschiedsworte abringen, vielleicht haben die Kolleginnen und Kollegen ein Geschenk für den scheidenden Chef besorgt. Für Angela Merkel gab es seinerzeit vom Kabinett (also auch von ihrem damaligen Vizekanzler Scholz) Blumen und ein Hartriegelgewächs namens Cornus Controversa Carpe Diem. Größere Feierlichkeiten und »erweiterter Alkoholkonsum« seien für Scholz’ letzte Runde nicht vorgesehen, ließ eine Regierungssprecherin wissen.
Es wird ja auch noch gearbeitet: Das Kabinett segnet am Mittwoch eine Verordnung über die Rentenerhöhung im Juli ab. Und der Kanzler fliegt später gemeinsam mit seiner Frau nach Paris, um dem französischen Präsidenten Adieu zu sagen. Auch das ist ein letztes Mal: Weitere Auslandsreisen sind nicht geplant.
Mehr Hintergründe hier: Der verdruckste Abschied vom alten Kabinett
Erinnerung an den Vietnamkrieg und die Boatpeople
Am 30. April vor 50 Jahren marschierte der Vietcong in der südvietnamesischen Hauptstadt Saigon ein. Der Vietnamkrieg war zu Ende, nach zwei blutigen Jahrzehnten. In Ho-Chi-Minh-Stadt, wie Saigon jetzt heißt, wird die schmähliche amerikanische Niederlage heute groß gefeiert: mit einer riesigen Militärparade, Flugeinlagen, Drohnen-Lichtshow und Mega-Feuerwerk.

Vietnamesische Flüchtlinge auf einem Lastkahn (im März 1975)
Foto: APWas bei der Party nicht zur Sprache kommen wird: Nach der Wiedervereinigung des Nordens mit dem Süden mussten all jene um ihr Leben fürchten, die zuvor (vermeintlich oder tatsächlich) auf der Seite der geschlagenen südvietnamesischen Regierung gestanden hatten. Wer konnte, versuchte Folter, Mord und Internierungslagern zu entkommen. Rund drei Millionen Menschen flohen aus Vietnam, etwa die Hälfte von ihnen wagte in alten, überfüllten Kähnen und Booten den riskanten Weg übers Meer.
Meine Kollegin Katja Iken hat zwei der vietnamesischen Boatpeople getroffen, die seinerzeit von der Hilfsorganisation Cap Anamur gerettet wurden. Eindrücklich berichten My Huynh-Nguyen und Huan Nguyen, die sich heute Agnes und Thomas nennen, über ihre Ängste, ihre Flucht und ihr heutiges Leben in Hamburg. Und Katja erinnert daran, dass auch ein gewisser Alexander Gauland eine Rolle spielte, als die Bundesrepublik in den Siebziger- und Achtzigerjahren rund 40.000 Boatpeople aufnahm.
Die ganze Geschichte hier: »Wir hatten nur die Wahl zwischen Freiheit und Tod«
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Trump wird die Demokratie in Amerika nicht zerstören: Können Deutsche noch in die USA fahren? Ist das Land jetzt eine Diktatur? Wer Donald Trump mit Amerika gleichsetzt, tut Millionen Menschen Unrecht.
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Verlierer des Tages…
…ist Jeff Bezos. Kurz konnte man denken, der Amazon-Gründer komme nach seiner Anbiederung bei Donald Trump langsam wieder zu sich. Amazon, so hieß es in einem Bericht, könnte künftig explizit ausweisen, wie teuer die Zölle des US-Präsidenten seine Waren machen. Das Weiße Haus zürnte: »Ein feindlicher politischer Akt!« Trump persönlich knöpfte sich Milliardär Bezos am Telefon vor.

Jeff Bezos
Foto:Evan Agostini / Invision / AP
Nun versichert Amazon: War alles nie so geplant, wird es nicht geben. Und der Präsident lobt Bezos als netten, großartigen, guten Kerl, der das »Problem sehr schnell gelöst« habe. Peinlicher wird’s nicht.
Die jüngsten Meldungen aus der Nacht
Pakistanischer Minister spricht von angeblichen Angriffsplänen Indiens: Der Terroranschlag in Kaschmir mit vielen Toten hat die Spannungen zwischen Pakistan und Indien verschärft. Jetzt warnt die Regierung in Islamabad vor einem Militärschlag Indiens innerhalb der nächsten 36 Stunden.
Trump plant Erleichterungen bei Zöllen auf Autoteile: Der US-Präsident will es als »kleine Hilfestellung« verstanden wissen: Für Auto-Bauteile soll es einige Ausnahmen bei Importzöllen geben. Zuvor hatten Experten vor drastischen Konsequenzen gewarnt.
Künftiger Agrarminister hält sinkende Fleischpreise für möglich: Mit leicht höheren Preisen für Fleisch wollte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir das Tierwohl in Deutschland verbessern. Sein Nachfolger hat ganz andere Prioritäten.
Heute bei SPIEGEL Extra: Was tun mit meinem alten Riestervertrag?

Sascha Steinach / picture alliance / dpa