"Tatort" München: Ist schon gut, Matthias, du hast ja sehr nett geschrieben

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Ein Schachturnier mit einer Frau als Favoritin: Leider ist der neue Münchner "Tatort" kein neues "Damengambit", sondern verströmt den Charme einer Steuererklärung.

27. April 2025, 21:59 Uhr

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 Im "Tatort" heißt Schloss Elmau "Ammer Krone" und ist Schauplatz eines Schachturniers – Favoritin ist Natalie Laurent (Roxane Duran, rechts, mit den Kommissaren Leitmayr und Batic)
Im "Tatort" heißt Schloss Elmau "Ammer Krone" und ist Schauplatz eines Schachturniers – Favoritin ist Natalie Laurent (Roxane Duran, rechts, mit den Kommissaren Leitmayr und Batic) © BR/​Bavaria Fiction GmbH/​Linda Gschwentner

Vielleicht ist es auch zu viel erwartet, dass der Tatort München auf dem langen Weg zum Ende ein Feuerwerk an übertrieben guten Filmen abfackelt; dass es nur noch kluge, womöglich seriell gedachte Folgen gibt, die sich langsam steigern hin zum großen Finale. Zugzwang (BR-Redaktion: Cornelius Conrad) jedenfalls betreibt business as usual, also das, was München meistens war, bloß halt mit zwei Sympathieträgern: dem Ivo (Miro Nemec) und dem Franz (Udo Wachtveitl).

In gewisser Weise schließt Zugzwang (offiziell erst die 98. Folge, wurde aber früher fertig) an den letzten Münchner Tatort: Charlie (96. Folge) an. Wieder spielt der Film an einem exklusiven, auf jeden Fall attraktiven Ort: Schloss Elmau, das seit dem G7-Gipfel von 2015 mit dem legendären "How much is the fish"-Foto von Angela Merkel und Barack Obama verbunden ist. Ein Bild, das aus heutiger Sicht den starken Eindruck vermittelt, dass früher doch manches besser war; das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA zum Beispiel.

Schloss Elmau liegt südlich von, filmgeschichtlich gesprochen, Walchensee forever. Und noch viel südlicher vom schönen Ammersee, weshalb man sich durchaus innerbayerische Empörung vorstellen kann, wer da auf die Idee gekommen ist, das Schnösel-Reichen-Schloss nach der kulturvoll-unprätentiösen Gegend um den Ammersee zu nennen.

Im Tatort heißt Schloss Elmau nämlich "Ammer Krone" und ist der Schauplatz eines hochklassigen Schachturniers. Bei dem kommt Lilit Kayserian (Sabrina Schieder) zu Tode, die Sekundantin und Geliebte von Natalie Laurent (Roxane Duran) war. Natalie Laurent wiederum mischt die Männerwelt des Schachs auf, woraus der Krimi seinen Konflikt ziehen will. Es gibt einen fies-machistischen Schachverbandspräsidenten (Husam Chadat) aus Aserbaidschan, einen Gianni-Infantino-esken Turniermanager (Robert Dölle) und einen nerdig-alternden Favoriten (Max Befort), der wie ein unlässiger Magnus-Carlsen-Verschnitt entworfen ist.

Ein kerniges Setting, das die Handschrift von Drehbuchautor Robert Löhr erkennen lässt, der einen Auftritt als Barkeeper hat. Wie in Mord unter Misteln und Königinnen spielt der Film an einem einzigen Ort, sind die Charaktere klar erkennbar und mitunter am Rande zur Karikatur. Allerdings gerät die Entwicklung von Verdachtsmomenten zäh, weil kleinteilig. Auf den Tod von Kayserian, der lange wie ein Suizid aussieht, folgen zwei weitere Morde, die die Verwirrung eher steigern. Zuerst trifft es, fälschlicherweise, wie sich herausstellen wird, Sophie Jeong (Felicia Chin-Malenski). Die Mitarbeiterin vom Turniermanager führt den Pathologen Matthias Steinbrecher (Robert Joseph Bartl) immerhin zur Tatwaffe: einem Nervengift, das schnell und unsichtbar tötet wie beim Mord an Ex-Spion Sergei Skripal.

Dann muss auch Steinbrecher sterben, als er den nerdig-alternden Favoriten vor der Vergiftung bewahren will und dabei selbst in Kontakt kommt mit dem hochwirksamen Gift. Der Pathologe hat in Zugzwang viel Dialog. Er wird als Schachfan eingeführt, der als Zuschauer schon beim Turnier weilt, als Kayserian stirbt, und dem Ivo, dem Franz und dem Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) die Regeln des Spiels erklärt – und dem Publikum in einer zentralen Szene die Magie des Spiels aller Spiele.

Wenn Steinbrecher dann stirbt, ist das ein intensiver Moment, bei dem der Franz und der Kalli kurz aus der vor sich hinschnurrenden Routine ihrer Rollen treten – Wachtveitl und Hofer spielen das Entsetzen darüber, dass der Kollege da vor ihnen liegt, sehr konzentriert. Heftig ist dieser Moment auch, weil Stammpersonal im Tatort eher selten umkommt, die Kavallerie meist noch rechtzeitig zur Rettung eintrifft. Aber hier liegt Steinbrecher da, und es gibt eben keine Erste Hilfe oder lebensrettende Maßnahmen wegen des schnell wirkenden Gifts.

Die hochprofessionelle Tatwaffe deutet auf Zugang zu postsowjetischen Geheimdienst-Giftschränken hin. Aber der Schachverbandspräsident überlebt seine versuchte, wenig packend inszenierte Flucht aus Bayern auch nicht (Regie: Nina Vukovic), weil es am Ende einer seiner Bodyguards war. Dieser Timur (Bardo Böhlefeld) ist so sehr Fan von Natalie Laurent, dass er ihr den Weg an die Weltspitze freimorden will. 

Leider macht die Enthüllung den eh schon mühsamen Fall nicht spritziger; es muss dann nämlich in langen Rückblenden gezeigt werden, wie Timur das gemacht hat. Das ist kein gutes Zeichen, weil es bei der nachgereichten Erläuterung eben nicht darum geht, eine überraschende, ganz andere Lesart der Geschichte zu präsentieren, sondern endlich zu sortieren, was zuvor an Hinweisen breit gestreut wurde. Das verströmt eher den Charme einer Steuererklärung als Spannung.

Schachfan und Opfer: der Pathologe Matthias Steinbrecher (Robert Joseph Bartl) © BR/​Bavaria Fiction GmbH/​Linda Gschwentner

Und dann schließt sich auch noch ein längliches Finale an, bei dem Timur droht, den Wettkampfsaal in die Luft zu jagen, in dem er zuvor Sprengstoff deponiert hatte, um ihn per Fernsteuerung zünden zu können. Wie das verhindert wird, steht exemplarisch für die umständlichen Einfälle, die Zugzwang zusammenhalten: Der kaputte Störsender, der eine Kommunikation per Funk unmöglich machen soll (um Betrug beim Spiel zu verhindern), ist in letzter Sekunde repariert worden, und legt die Fernsteuerung von Timur lahm. Eine gestörte Funkverbindung ist allerdings etwas, das man nicht sehen kann, was in einem Film dann nicht so eindrucksvoll ist; die Erklärung muss auch hier nachgereicht werden vom Kalli.

Ein Problem dieser Tatort-Folge ist außerdem, dass die Figuren vage bleiben, weil das Drehbuch sie in der Schwebe hält, um als Verantwortliche für die Morde infrage zu kommen. Natalie Laurent ist etwa einerseits Opfer der Sexismen in der Männerwelt des Schachs, andererseits eine intrigante Betrügerin – wie soll man mit so einem Charakter fühlen? Wenn Laurent am Ende vielsagend Timur beim Abgeführtwerden zuzwinkert, um anzudeuten, dass sie in dessen tödlichen Liebesdienste irgendwie verwickelt war, dann löst das kein großes Aha aus, sondern eher Gähnen – wenn ein Charakter so unscharf und uninteressant ist wie diese Schachspielerinnenfigur, dann ist einem auch egal, was sie tut.

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