Die Lage am Morgen Alle reden übers Wetter, wir auch über den Merz
Heute geht es um den Koalitionsausschuss und den Streit über die Stromsteuer, die Hitze und den Klimawandel, Europas Bedrohung durch Russland und die Renaissance der Atomwaffen.
03.07.2025, 05.43 Uhr
Zu Beginn: das Wetter
Die erste Hitzewelle des Jahres ist durch, heute erwarten uns im Vergleich zu gestern mäßige Temperaturen, 20 bis 25 Grad. Geschafft. Einige meiner Nachbarn haben sich in den vergangenen Monaten Klimaanlagen einbauen lassen. Gestern konnten die Geräte ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen, ich war ein wenig neidisch.
Wir Menschen (in den reichen Ländern) gewöhnen uns eben an alles, auch an den Klimawandel. Oder?

Freibad im sächsischen Radebeul am Mittwoch
Foto: Sebastian Kahnert / dpa»Wenn der Asphalt weich wird und am Mittelmeer die Wälder in Flammen aufgehen, dann folgt das politische Bewusstsein verlässlich dem schwitzenden Sein: Ach ja, es ist Klimakrise«, kommentiert mein Kollege Jonas Schaible. Ihm ist aber aufgefallen, dass die politischen Reflexe gegenwärtig nicht mehr funktionieren. Zumindest in der neuen Bundesregierung nicht: »Überraschend ist doch, wie offensiv egal der schwarz-roten Koalition ökologische Fragen zu sein scheinen«. Es gebe kein wahrnehmbares Krisenbewusstsein, keinen Maßnahmenplan, nicht mal Lippenbekenntnisse.
Zum Beispiel: klimaschädliches Gas wird subventioniert; Bauern sollen beim Düngen weniger limitiert werden; die Wirtschaftsministerin stellt die Klimaziele infrage (weitere Beispiele lesen Sie hier ). Ich befürchte leider, diese Mentalität ist nicht allein auf die Bundesregierung beschränkt, sondern ist ein Trend: Laut einer Forsa-Umfrage zählen nur noch sieben Prozent der Deutschen das Klima zu einem der drei wichtigsten Themen.
Und die Tage soll es ja auch wieder regnen.
Mehr Hintergründe hier: Ökosystem in Gefahr – Das Mittelmeer ist ein Hotspot der Klimakrise
Auf den Kanzler kommt es an
Die ersten Wochen, die ersten Monate sind nicht leicht für neue Regierungsbündnisse. Einerseits ist da die Begeisterung über die gewonnene Macht, nach der man im Zweifel lange gestrebt hat, im Falle von Friedrich Merz sehr lange. Andererseits müssen die Beteiligten zueinanderfinden, die Koalitionsverhandlungen waren nur Trockenübungen. Und zum Finden gehört das Austesten: Wie weit kann ich gehen, wo liegen die politischen Schmerzpunkte des Gegenübers? Das gilt zwischen den Partnern, aber auch innerhalb der jeweiligen Lager.

Kanzler Merz: A bissel was geht immer
Foto: Clemens Bilan / EPADer Streit über die Stromsteuer illustriert all das. Eigentlich nur ein Spiegelstrich-Thema, ist es doch aufgepumpt mit Symbolik. Denn CDU-Kanzler Merz und SPD-Finanzminister Lars Klingbeil hatten sich entgegen früherer Versprechen darauf verständigt, dass Industriebetriebe sowie die Land- und Forstwirtschaft, nicht aber Privathaushalte entlastet werden. (Lesen Sie hier mehr über das Duo Merz-Klingbeil).
Der Gegenwind war heftig, insbesondere aus der Union – und einer setzte sich drauf auf die Bewegung, der Merz in den nächsten Jahren machtpolitisch noch gefährlich werden könnte: »Die Stromsteuer für alle und dauerhaft zu senken, ist das klare Ziel der Koalition«, verkündete Unionsfraktionschef Jens Spahn.
Und nun? Kommt es auf den Kanzler an? Oder wird der von den eigenen Leuten eingenordet? Beim Koalitionsausschuss gestern Abend setzte sich Merz (mit Klingbeil) durch: vorerst keine Nachbesserungen. Im Ergebnispapier klingt das so: »Weitere Entlastungsschritte« sollen folgen, »sobald hierfür finanzielle Spielräume bestehen«. Letzteres deutet darauf hin, dass sich die Spitzenvertreter von CDU, SPD und CSU die kritische finanzielle Lage wohl noch einmal ausführlich gegenseitig vorgerechnet haben – Infrastruktur-Sondervermögen und ausgebremste Schuldenbremse bei der Verteidigung hin oder her. Der nächste Teil der CSU-Wahlkampfserie Mütterrente soll dagegen schneller als geplant kommen, statt 2028 bereits 2027. A bissel was geht immer.
Mehr Hintergründe hier: Stromsteuer für private Verbraucher wird vorerst nicht gesenkt
Renaissance von Atomwaffen
»Jetzt ist die Zeit gekommen, nach einer Welt ohne Atomwaffen zu streben«, rief der Politiker in die Menge. Gut 200.000 Menschen lauschten seinen Worten, begeistert. Man dürfe nicht tatenlos der weiteren Verbreitung von Atomwaffen zusehen, müsse sie stoppen und die bestehenden Arsenale verkleinern.

Explosion einer Atombombe
Foto: Photographer: Markus Gann; http: / McPHOTO / IMAGOSo klang das im Sommer vor 17 Jahren, als US-Präsidentschaftsbewerber Barack Obama in Berlin an der Siegessäule sprach. Eine Welt ohne Atomwaffen? Tja. Kaum denkbar heute, der Trend geht in die andere Richtung. Die etablierte Nuklearmacht Russland hat sich von der europäischen Staatenordnung verabschiedet. Iran wird nun womöglich entschiedener nach der Bombe streben. Die Europäer derweil rätseln, wie sie Putin nuklear abschrecken sollen, wenn der große Bruder Amerika sein Nato-Schutzversprechen löchert.
Meine Kollegen Markus Becker und Bernhard Zand haben analysiert, welche vier Optionen Europa jetzt hat: Unter den nuklearen Schutzschirm Frankreichs schlüpfen; oder Deutschland entwickelt eigene Atomwaffen und wird nukleare Schutzmacht Europas; oder die Europäer einigen sich auf gar nichts und werden zum Spielball der USA, Russlands und Chinas; oder ein Trump-Nachfolger stellt die alte Welt wieder her und übernimmt den Schutz Europas. (Als Leserinnen und Leser der Lage können Sie die Szenarien hier bereits vorab studieren.)
Der frühere Außenminister Joschka Fischer forderte zuletzt im SPIEGEL-Interview die Integration der britischen und französischen Nuklearmacht in Europa. Er sehe »keine andere Chance, der nuklearen Erpressbarkeit durch die Russen entkommen zu können«.
Mehr Hintergründe hier: Joschka Fischer über die instabile Weltlage – »Wir können uns nur auf uns selbst verlassen«
Lesen Sie hier den aktuellen SPIEGEL-Leitartikel
Rückschritt in die Vergangenheit: Die Juryentscheidung im Prozess gegen den Rapper Sean Combs ist ein klarer Sieg für ihn und seine Verteidiger. Für das gesellschaftliche Klima in den USA verheißt sie nichts Gutes.
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Verliererin des Tages …

Szene aus dem Eröffnungsspiel der Schweiz gegen Norwegen
Foto: Markus Ulmer / Ulmer / Teamfoto / IMAGO… ist die Schweizer Fußballnationalmannschaft der Frauen. Sie hat das offizielle Eröffnungsspiel der Heim-EM 1:2 gegen Norwegen verloren. Die Norwegerinnen waren favorisiert, doch in der ersten Halbzeit gingen sogar die Schweizerinnen in Führung, waren das bessere Team. Aber eben nur eine Halbzeit.
Die jüngsten Meldungen aus der Nacht
Iran wirft inhaftierten Franzosen Spionage für Israel vor: Im Mai 2022 wurden Jacques Paris und Cécile Kohler in Iran festgenommen, derzeit befinden sie sich in Isolationshaft im berüchtigten Evin-Gefängnis. Offenbar wird ihnen vorgeworfen, für den Mossad tätig gewesen zu sein.
Astronomen entdecken mutmaßlich interstellares Objekt beim Flug durchs Sonnensystem: Es ist offenbar zehn bis 20 Kilometer breit und nähert sich der Sonne an: Astronomen haben möglicherweise ein interstellares Objekt ausgemacht. Schon bald kann man es wohl per Teleskop erkennen.
In Deutschland ist es zu heiß für Eis: Das Land stöhnt unter der Hitzewelle – da sollten die Eisdielen doch eigentlich brummen. Doch das stimmt laut einem Branchenverband nicht: Ab 30 Grad aufwärts seien andere Abkühlungen gefragt.
Heute bei SPIEGEL Extra: Warum Männer, die Migräne haben, es oft nicht wissen

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Migräne kommt immer dann, wenn sie am meisten stört. Ein Kopfschmerzexperte verrät, was seinen Patienten hilft, warum Migräne bei Männern oft übersehen wird, was es mit der sogenannten Aura auf sich hat und Ausschlafen am Wochenende nicht immer eine gute Idee ist .
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Sebastian Fischer, Autor im SPIEGEL-Hauptstadtbüro