Neandertaler: Knochenfett als Überlebensstrategie vor 125.000 Jahren

vor 7 Stunden 1

Neandertaler haben bereits vor 125.000 Jahren ausgeklügelte Praktiken entwickelt, um ihr Überleben zu sichern. Ausgrabungen in der Nähe von Halle legen nahe, dass sie in großen Mengen Knochenfett von Tieren für harte Zeiten einkochten, schreibt ein internationales Forschungsteam im Fachjournal »Science Advances« . Die Funde an der Grabungsstätte Neumark-Nord lassen vermuten, dass Neandertaler das Fett aus dem Mark zertrümmerter Knochen Hunderter Großsäuger wie Hirsche, Pferde und Auerochsen gewannen und dann verarbeiteten.

Das setzt ein gewisses Maß an Fertigkeiten und an strategischem Denken voraus, das Forscher in diesem frühen Stadium der Entwicklung bisher nicht vermutet hatten. Der bislang früheste klare Beleg für ein solches Vorgehen stammt vom Homo sapiens im heutigen Portugal und ist 28.000 Jahre alt – zu dieser Zeit waren die Neandertaler längst ausgestorben.

»Die Neandertaler gingen äußerst planvoll vor – von der Jagd über den Transport der Kadaver bis hin zur Fettgewinnung an einem speziell dafür genutzten Ort«, erklärte der leitende Archäologe Lutz Kindler vom Monrepos – Archäologisches Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution in Neuwied. »Sie wussten um den hohen Nährwert von Fett und verstanden, wie man es effizient zugänglich macht.« Demnach brachten die nächsten Verwandten des Homo sapiens einzelne Körperteile ihrer Beute an geschützte Lagerstellen, um sie später gezielt zur Fettgewinnung zu nutzen.

Fettgewinnung als Überlebensstrategie

Gerade bei Jäger-und-Sammler-Gesellschaften in kühleren Regionen gilt Fett als wertvoller Nährstoff, der insbesondere dann überlebenswichtig ist, wenn sonstige Nahrung knapp wird – etwa im Frühjahr und Winter. Fett kann aus Knochenmark gewonnen werden, indem man die Knochen zerschlägt, in Wasser erhitzt und das an die Oberfläche aufsteigende Fett abschöpft. Diese Technik wurde vom Homo sapiens seit Zehntausenden von Jahren genutzt, unter anderem auch von nordamerikanischen Ureinwohnern. Allerdings gelangte der moderne Mensch erst vor grob 50.000 Jahren nach Mitteleuropa, nach Amerika sogar erst vor rund 20.000 Jahren.

Die Forscher haben mit ihrer Entdeckung nun bewiesen, dass das Verfahren wahrscheinlich wesentlich älter ist. Auf einem kleinen Areal in Neumark-Nord bei Halle, das damals vermutlich an einem See lag, barg das Team mehr als 120.000 kleine Knochenfragmente sowie mehr als 16.000 Feuersteinwerkzeuge und andere Artefakte, das meiste davon auf einer Fläche von nur etwa 50 Quadratmetern.

»Die Produktion von Knochenfett ist die einzige Erklärung, die zu den Funden passt«, meinte Kindler. Hinzu kommt: Die Knochen stammen aus einer dünnen Fundschicht. Sie sammelten sich also in einem kurzen Zeitraum an – nach Einschätzung Kindlers vermutlich in einem einzigen Jahr, höchstens binnen weniger Jahre. Zwar fehlt ein direkter Beleg für das Auskochen von Knochen, der sei aber auch kaum möglich, sagte Kindler.

Gesamten Artikel lesen