Nachruf auf Max Bolkart: Der Sieger der Vierschanzentournee war ein Skisprung-Pionier

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Max Bolkart 1964 bei den Winterspielen von Innsbruck

Max Bolkart 1964 bei den Winterspielen von Innsbruck

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Horstmüller / IMAGO

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Der Gewinner der Vierschanzentournee erhält die Erfolgsprämie von 100.000 Schweizer Franken. Max Bolkart bekam für seinen Sieg einen Schnellkochtopf überreicht.

Es waren andere Zeiten, die Skispringer waren noch reine Amateure, damals 1960, als Max Bolkart am Rande der Tournee ganz oben stand, als erster westdeutscher Sieger dieser Veranstaltung, die bis heute das Nonplusultra des Skispringens abbildet.

Tod mit 92 Jahren

Bolkart war der älteste noch lebende Sieger der Tournee. Man muss das in der Vergangenheit formulieren, Max Bolkart ist im Alter von 92 Jahren gestorben. Zuletzt litt er an Demenz, seine Tochter sagt, der Tod sei »auch für ihn eine Erlösung« gewesen.

Die frühen Sechzigerjahre waren noch die Pioniertage der Vierschanzentournee. Sie wurde 1953 aus der Taufe gehoben, gesprungen wurde noch mit Pudelmütze und Pluderhose, die Arme im Flug weit vor sich gestreckt. Bei Bolkart kamen die weißen Fäustlinge noch dazu. Wer heute bei den Springen zuschaut, sieht eine andere Sportart.

In den ersten Jahrzehnten seiner Geschichte war der Skisprung von den Skandinaviern dominiert, aber so langsam kam auch die Zeit der anderen: der Österreicher um Josef Bradl, der die erste Auflage der Tournee gewann. Und der Deutschen. Um genauer zu sein: eines Westdeutschen und eines Ostdeutschen. Es kam die Zeit von Max Bolkart und Helmut Recknagel.

Die Wirren des Kalten Krieges

Die Geschichte von Bolkarts Triumph bei der Tournee 1960 ist auch die Geschichte von Recknagel. Es ist eine Geschichte aus dem Ost-West-Konflikt, eine Geschichte aus den Wirrungen der Sportpolitik und darüber, wie sie Gewinner und Verlierer produziert. Der Kalte Krieg holte den Wintersport ein.

Pudelmütze, Pluderhose, die Arme vorweg

Pudelmütze, Pluderhose, die Arme vorweg

Foto: Pressefoto Baumann / IMAGO

Der überragende Springer jener Zeit war Recknagel aus dem Thüringer Wald, ein Ästhet in der Luft, wenn er flog, die Arme vor sich, sah er aus wie Superman. Recknagel war nicht nur der erste Nicht-Skandinavier, der am Holmenkollen in Oslo siegte, er gewann auch die Vierschanzentournee 1958 und 1959. Wer anders als er sollte also auch 1960 triumphieren? Recknagel war in der Form seines Lebens.

Aber er war nun mal DDR-Sportler, und als solcher geriet er in die Mühlen der Funktionäre.

Vor der Tournee weigerten sich die Veranstalter im bayerischen, sprich westdeutschen Oberstdorf, die ostdeutschen Springer mit der DDR-Flagge zu präsentieren. Die »Spalterflagge«, wie sie damals hieß, werde nicht gehisst. Das entsprach einer Vorgabe der Bundesregierung von Kanzler Konrad Adenauer.

Rückzug der DDR-Springer

Die DDR-Funktionäre reagierten mit der pflichtschuldigen Empörung und zogen ihre Athleten, neben Recknagel waren es die Topspringer Harry Glass und Werner Lesser, aus dem Wettbewerb zurück. Die Verbände Polens, der Sowjetunion und der Tschechoslowakei schlossen sich an.

Zumal bekannt wurde, dass die bundesdeutsche Seite Druck auf Österreich ausgeübt hatte, die rigide Haltung gegenüber den DDR-Symbolen auch bei den Springen in Innsbruck und Bischofshofen anzuwenden, also auf österreichischem Boden. Der Topfavorit Recknagel war jäh raus.

Bolkart-Konkurrent Helmut Recknagel

Bolkart-Konkurrent Helmut Recknagel

Foto: Anonymous/ AP

Da darüber hinaus die Norweger und Finnen auf einen Start verzichtet hatten und sich lieber auf die nahen Olympischen Winterspiele in Squaw Valley vorbereiteten, war der Weg plötzlich frei für Max Bolkart. Die Tournee zu gewinnen, muss man trotzdem erst einmal schaffen.

Nur Bischofshofen fehlte

Der Oberstdorfer war damals 28, er war dreifacher (west-)deutscher Meister, Olympia-Vierter, aber ihn zum engen Favoritenkreis der Tournee zu zählen, wäre im Vorfeld vermessen gewesen. Jetzt aber, ohne den übermächtigen Recknagel im Nacken, sprang er befreit auf. Unter dem Jubel der Zuschauer gewann er das Auftaktspringen in seinem Heimatort und legte in Garmisch-Partenkirchen und in Innsbruck nach.

Der ganz große Triumph, der Gewinn aller vier Springen der Tournee, blieb ihm allerdings versagt. In Bischofshofen landete er auf Platz fünf, es siegte der Österreicher Albin Plank, und es sollte bis zu Sven Hannawald 2002 dauern, bis ein Springer alle vier Wettbewerbe des Jahres für sich entscheiden konnte.

Bolkart war der gefeierte Held im Westen, als Sieger der Tournee reiste er zu den Winterspielen in die USA, bei denen ein gesamtdeutsches Team antrat. Dort belegte er Rang sechs. Olympiasieger wurde Helmut Recknagel.

Für Bolkart war der Sieg bei der Tournee sein Karrierehighlight, bei den Winterspielen 1956 verpasste er eine Medaille als Vierter nur knapp. Nach den Spielen von 1964 beendete er seine Laufbahn. Einmal noch kehrte er auf die große olympische Bühne zurück: Bei den Spielen 1968 in Grenoble war er der Vorspringer. Das hatte sich Schanzenchef Heini Klopfer gewünscht – weil er Bolkarts Eleganz im Flug so schätzte.

Bolkart widmete sich von da an seiner Aufgabe als Chef des Hotels »Freiberg« in Oberstdorf. Manchmal griff er zum Schifferklavier, sein alter Rivale Recknagel, der zu seinem Freund wurde, schätzte an ihm auch, dass er »so ein großartiger Unterhalter« gewesen sei.

Das Kaminzimmer des Hotels wurde zum Museum. Hier sind für die Hotelgäste die Trophäen zu besichtigen, die Bolkart in seiner Laufbahn gewonnen hatte. Der Schnellkochtopf ist im Café Oberstdorf zu bestaunen.

1961 durfte Helmut Recknagel wieder bei der Vierschanzentournee starten. Natürlich gewann er sie.

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