Champions League: Spektakuläres Unentschieden zwischen Barcelona und Inter Mailand

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 Verteidiger auf Abwegen

Inters Dumfries: Verteidiger auf Abwegen

Foto: David Ramos / Getty Images

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Der Spaziergang des Superstars: In einem atemberaubenden Spiel mit sechs Treffern, jeder für sich das Eintrittsgeld wert, stach eine Aktion heraus. Es lief die 24. Minute im Olympiastadion von Barcelona, die Heimelf lag 0:2 gegen Inter Mailand zurück, als Lamine Yamal beschloss: So geht es nicht weiter! Er schnappte sich den Ball von Inters Marcus Thuram und lief einfach los, mit D-Zug-Geschwindigkeit zog er in den Strafraum, sah sich dort umzingelt von Mailänder Abwehrrecken und zog dennoch ab. Gefühlvoll verließ der Ball seinen Fuß und prallte vom linken Innenpfosten ins Tor. Spätestens da war Barça im Spiel, wenngleich es am Ende nicht zum Sieg reichte.

Lamine-Yamal-Sorge: Vor dem Spiel machte sich bei allen, die es mit dem FC Barcelona halten, kurz Verzweiflung breit. Lamine Yamal, mit nur 17 Jahren dem Status des Toptalents längst entwachsen, schritt rund 20 Minuten vor Spielbeginn vom Platz. Der so oft so überragende Europameister fasst sich kurz an den rechten Oberschenkel, schmiss sein T-Shirt weg. Wird er etwa nicht auflaufen können? Dieser Unterschiedsspieler, auf dessen schmalen Schultern schon jetzt die Erwartungen eines ganzen Fußballklubs lasten? Natürlich spielte er dann, von einer Verletzung war nichts zu merken.

Barcelona-Schock: Womöglich aber hat die Sorge um den Oberschenkel des Dribblers Barça doch etwas aus dem Konzept gebracht. Jedenfalls lief das Spiel gerade mal 30 Sekunden, als Inter zum ersten Mal jubeln durfte. Ein langer Ball hebelte den FC Barcelona aus, das hohe Pressing von Hansi Flick sorgt für Ballgewinn um Ballgewinn, es lässt sich aber auch recht leicht überspielen. Fans des FC Bayern dürften sich mit Schrecken an die Konteranfälligkeit der Münchner unter Flick erinnern. Jedenfalls verebbte die erste Angriffswelle von Inter noch, die Mailänder aber blieben dran, eine Flanke von Denzel Dumfries vollendete der Ex-Gladbacher Marcus Thuram mit der Hacke zum 1:0 (1. Minute). Noch nie fiel ein schnelleres Tor in einem Halbfinale der Champions League.

Teenager Yamal nach seinem Treffer

Teenager Yamal nach seinem Treffer

Foto: Albert Gea / REUTERS

Das nächste Traumtor: Inter verteidigte gewohnt konzentriert und ließ den hoch veranlagten Barça-Kickern lange keinen Platz für ihre feinen Pässe und Dribblings. Nach vorn ging wenig, aber das war egal, weil Inter eben aus zwei Chancen zwei Tore machte. Nach dem Blitztreffer von Thuram legte Dumfries nach, nicht weniger sehenswert. Francesco Acerbi gewann ein Kopfballduell nach einer Ecke, Dumfries setzte aus kurzer Distanz umgeben von zwei Gegnern zum Seitfallzieher an. Unkonventionell, aber wer trifft, hat recht (21.).

Krise ade? Nach dem Weiterkommen gegen die Bayern war Inter in einen bedenklichen Abwärtsstrudel gerutscht. Die Mailänder verloren drei Spiele in Folge, sind nicht mehr Tabellenführer und haben keine Chance mehr auf den Pokalsieg. In diesen drei Flautenspielen gelang ihnen kein Treffer. Und nun schicken sie sich an, das so formstarke Barcelona zu stürzen?

Die Maschine läuft: Es sah zunächst nicht danach aus. Barcelona kreiselte sich in der Mailänder Hälfte fest, erst traf Yamal in seinem 100. Pflichtspiel für Barça (ein gewisser Leo Messi erreichte diese Marke erst im Alter von 20 Jahren), dann legte Ferran Torres nach Vorlage von Raphinha das 2:2 nach (38.). Der Ausgleich war überfällig, Barcelona drohte Inter zu überrollen, zumal sich auch noch Toptorjäger Lautaro Martínez kurz vor der Pause verletzte.

Schlau, schlauer, Inter: Doch Inter stünde nicht im Halbfinale der Champions League, wenn es nicht auf fast alles eine Lösung fände. Barcelona fesselte Inter hinten? Die Mailänder ließen das zu, und wenn sie das Pressing der Katalanen mal überspielt hatten, ging es schnurstracks nach vorn, zwei Pässe, drei Pässe, und sofort wurde es gefährlich. Und wenn aus dem Spiel heraus nichts klappt, dann kann sich Inter ja auf seine Standardstärke verlassen, schon gegen die Bayern im Viertelfinale brachten zwei Ecken den Erfolg. Am Mittwochabend war es wieder so weit: Dumfries sprang höher als Olmo und traf nach einer Ecke aus rund vier Metern per Kopf zur erneuten Inter-Führung (64.). Inter hat nicht die fußballerischen Möglichkeiten von Barcelona, die Norditaliener aber sind die derzeit cleverste Mannschaft Europas.

Auch Barça kann Ecken: Der Treffer der Italiener hätte die frühe Schlusspointe in diesem spektakulären Spiel sein können, doch der FC Barcelona hatte etwas dagegen. Denn auch Hansi Flick lässt seine Mannen ganz offenbar Standards üben: Olmo brachte eine Ecke flach rein, Yamal ließ den Ball durch, Raphinha war da und donnerte den Ball an die Latte. Von dort sprang er an den Rücken des unglücklichen Inter-Keeper Yann Sommer und von dort ins Tor (65.). Den Ex-Bundesliga-Torhüter trifft keine Schuld, als Eigentor wird der Treffer dennoch in die Champions-League-Geschichte eingehen. »Das war tough«, sagte Sommer später bei DAZN, aber weniger über das Gegentor, sondern über das spektakuläre Spiel.

 Stark gespielt, und trotzdem drei Gegentore

Keeper Sommer: Stark gespielt, und trotzdem drei Gegentore

Foto: Lluis Gene / AFP

Keine Entscheidung: Das Spiel hätte danach noch kippen können: Barcelona kam nicht mehr so einfach durch, packte aber immer wieder das eine oder andere Kabinettstückchen aus. Und Inter jubelte tatsächlich, nach einem wieder mal klugen Angriff von Inter traf Henrikh Mkhitaryan, der Treffer des ehemaligen Dortmunders fand aber wegen einer knappen Abseitsstellung keine Anerkennung.

So geht es weiter: Inter empfängt am Samstag Hellas Verona und ist als Tabellenzweiter der Serie A fast schon zum Siegen verdammt, wenn es was werden soll mit der Meisterschaft. Barça tritt am Samstag als Spitzenreiter bei Real Valladolid an, alles andere als ein klarer Sieg käme überraschend. Beide Teams werden wohl Spieler schonen, dieses 3:3 hat Körner gekostet – und das Rückspiel am Dienstag dürfte kaum weniger anstrengend werden.

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