Migrationspolitik: Neun EU-Länder fordern Auslegung der Menschenrechte zu prüfen

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In einem offenen Brief kritisieren Staaten wie Italien, Österreich oder Polen den Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Kritik kommt von Amnesty und den Grünen.

23. Mai 2025, 13:49 Uhr

 Ein italienischer Polizeibeamter steht vor einem Flüchtlingszentrum in Albanien, das von Italien betrieben wird.
Ein italienischer Polizeibeamter steht vor einem Flüchtlingszentrum in Albanien, das von Italien betrieben wird. © Adnan Beci/​AFP/​Getty Images

In einem offenen Brief auf Initiative von Italien haben neun EU-Länder gefordert, die Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonventionen zu überprüfen. Neben Italien gehören Dänemark, Polen, Österreich, Belgien, Estland, Lettland, Litauen und Tschechien zu den Unterzeichnern. Das Büro von Italiens Ministerpräsidentin veröffentlichte den Brief nach einem Treffen zwischen Giorgia Meloni und der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen.

Die Länder hinterfragen in dem Schreiben auch die Arbeit des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und fordern "mehr Spielraum auf nationaler Ebene". Dabei geht es in dem Brief konkret um Abschiebungen von Straftätern und Überwachungsmöglichkeiten von Kriminellen, die nicht ausgewiesen werden können.

Unterzeichner: Internationale Lage hat sich "fundamental geändert"

Begründet wird das damit, dass sich die internationale Lage fundamental geändert habe und Menschen die Ländergrenzen in einer "komplett anderen Größenordnung" überschreiten würden. Es sei an der Zeit, eine Diskussion zu führen, wie die internationalen Konventionen den Herausforderungen der Zeit gerecht würden. 

Den Gerichtshof kritisierten die Staaten außerdem für seine Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Im manchen Abschiebefällen, sei dadurch der falsche Mensch geschützt worden. In dem Brief betonen die Länder, dass sie den Glauben an "europäische Werte, die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte" teilen.

Deutliche Kritik von Amnesty und den Grünen

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte den Vorstoß gegenüber ZEIT ONLINE deutlich. Die Länder wollten die Europäische Menschenrechtskonvention anpassen, um ihre "menschenrechtsfeindliche Migrationspolitik" zu legalisieren. "Das ist ein Frontalangriff auf die Rechte von Schutzsuchenden und den Kern der Menschenrechte", sagte Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland. Menschen, denen in anderen Ländern Gefahr für Leib und Leben drohe, hätten das Recht auf Schutz. "Dieses Recht einzuschränken, bedeutet die Universalität von Menschenrechten infrage zu stellen."    

Erik Marquardt, Europaabgeordneter der Grünen, sagte ZEIT ONLINE, der offene Brief sei ein "skandalöser Schritt", um Druck auf unabhängige Gerichte auszuüben. Die Menschenrechte seien auch in Europa ein Fundament von stabilen Demokratien zum Schutz der Bevölkerung. "Es ist nicht Auftrag der Politik, in die Rechtsprechung einzugreifen." Der Schritt reihe sich in eine Entwicklung der vergangenen Jahre ein, in der liberale Demokratien unter Druck geraten würden. "Das ist besorgniserregend. Menschenrechte sind keine Schönwetter-Rechte, sondern müssen verteidigt werden."

Marquardt appelliert an Kanzler Merz

Der Europarat und auch die Gerichte stünden schon länger unter Druck. "Die deutsche Bundesregierung und Kanzler Friedrich Merz sollten eine Gegeninitiative starten, in der sie sich für unabhängige Gerichte und für die Umsetzung der Urteile des Europäischen Menschengerichtshofs einsetzen", sagte Marquardt.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte zuletzt Fälle gegen Lettland, Litauen und Polen verhandelt, bei denen es um die angeblich rechtswidrige Behandlung von Migranten ging. Dänemark wurde zudem aufgefordert, seine Regelungen zur Familienzusammenführung zu ändern. Der Gerichtshof hatte außerdem Italien mehrfach wegen seiner Behandlung von Migranten verurteilt.

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