Wer in den Rewe-Märkten Richrath in Köln und Umgebung einkauft, kann eine Liveschalte zu glücklichen Schweinen verfolgen. »Tierwohl TV« heißt die Direktübertragung vom Hof des Landwirts Willi Steffens im nordrhein-westfälischen Brüggen. Auf dem Monitor sind rosarote Mastschweine zu sehen. Bei gutem Wetter dösen manche Tiere in der Sonne, andere galoppieren durch das Stroh.
Ihre früheren Stallgenossen lagern derweil gut gekühlt als Schnitzel, Filet oder Wurst in der Frischetheke von Rewe Richrath.
Aber es gibt noch andere Bilder aus dem Stall von Landwirt Steffens. Bilder, die kein Supermarktkunde zu Gesicht bekommt. Man sieht darauf Schweine, die tief im Kot stehen. Quiekende Tiere, die durch einen Gang getrieben und dabei von einem Mann mit einem langen, dünnen Gegenstand auf den Kopf geschlagen werden. Ein lahmendes Schwein, das von einem Arbeiter durch den Stallgang gescheucht wird und kaum mehr laufen kann. Es bleibt unbeachtet vor einer Boxentür liegen. Mit dieser schiebt der Mann es zur Seite, damit die anderen Schweine in den Gang laufen können.
Die Videoaufnahmen von diesem Hof und 20 weiteren Betrieben wurden dem SPIEGEL und dem ZDF-Politmagazin »frontal« von der Tierrechtsorganisation »Animal Rights Watch« (Ariwa) überlassen. Deren Angaben zufolge haben Aktivisten zwischen Juni 2024 und März 2025 in solchen Schweineställen gefilmt, die eine artgerechte Haltung propagieren: mehr Platz, Auslauf an die frische Luft, kurze Wege zum Schlachthof.
Landwirt Steffens schreibt auf seiner Website: »Auf dem Pötterhof steht das Tierwohl an erster Stelle.«
Tierwohl, dieses Wort prangt auf vielen Produkten. Wer bewusst Fleisch isst, achtet darauf, dass das Tier ein möglichst gutes Leben gehabt hat, bevor es zum Schlachthof musste. Doch der Begriff ist weder geschützt noch genau definiert. Es gibt keine zentrale Instanz, die regelt, was ein seriöses Tierwohl-Label ist. Bauern, Metzger, Händler und Verbände zimmern sich unzählige eigene Systeme. Die Kriterien unterscheiden sich teils erheblich, bei der Kontrolle versagt der Staat.
Die Organisation Ariwa spricht von einer »Tierwohl-Label-Industrie«. Konsumenten würden getäuscht, sagt Ariwa-Agrarreferentin Anna Schubert. »Unsere Bilder belegen, dass die Zustände auf den Höfen nicht dem entsprechen, was sich Verbraucher:innen unter glücklichen Schweinen im Stroh vorstellen.«
Das Problem: Jeder Landwirt kann seinen Betrieb einen Tierwohlstall nennen, solange er sich an gesetzliche Mindeststandards hält. Grundlage dafür ist das Tierschutzgesetz. Der Mindeststandard bei Mastschweinen bedeutet: Die Tiere leben im geschlossenen Stall, jedes Schwein hat 0,75 Quadratmeter Platz, zur Beschäftigung etwas Stroh oder Sägemehl.
Unter Tierwohl verstehen viele Verbraucher aber mehr. Wohl auch deshalb hat der Handel 2019 die freiwillige Haltungsformkennzeichnung eingeführt. Der bunte Hinweis auf der Verpackung soll offenlegen, wie Schweine, Rinder, Hühner und Puten gehalten wurden – vom Mindeststandard in Stufe 1 bis zur Bio-Stufe 5.
Große Händler haben angekündigt, ihr Frischfleischsortiment bis spätestens 2030 ausschließlich auf Haltungsform 3 oder höher umzustellen. Das bedeutet mindestens Außenklima für die Tiere, etwa durch einen offenen Stall. Aldi etwa wirbt deshalb mit »mehr Tierwohl«.
Verbraucherschützern ist das viel zu wenig. Sie fordern: Zusätzliche Kriterien müssen einbezogen werden, etwa die körperliche Verfassung der Tiere oder die Umstände bei Tiertransport und Schlachtung.

Ariwa-Demo in Würzburg im Mai 2023
Foto:HMB-Media / IMAGO
»Ich distanziere mich klar von Tierquälerei.«
Willi Steffens, Schweinehalter
Weil bei den Siegeln Wildwuchs herrscht, sollen die Filmaufnahmen aus den Ställen zeigen, dass selbst auf Betrieben, die eine bessere Haltung versprechen, »systematisches Tierleid« zu finden ist, so stellt es Ariwa dar. In den Videos sind Schweine auf kotverdreckten Betonspaltenboden zu sehen, Sauen mit Schulterverletzungen in Kastenständen, halb verweste Ferkel, kranke Tiere, die von Artgenossen malträtiert werden. Es sind teils verstörende Bilder.
Allerdings gibt es ein Dilemma. Ariwa setzt sich für die Abschaffung der Nutztierhaltung ein. Viele Aufnahmen sind im Halbdunkel nächtlicher Aktionen in Ställen entstanden, andere mit versteckten Kameras. Die Aktivisten handeln dabei im legalen Grenzbereich. Allein das lässt die Tierrechtler und Landwirte unversöhnlich gegenüberstehen.
Bauern werten das Eindringen der Aktivisten in ihre Ställe als Einbruch, der grundsätzlich als Hausfriedensbruch strafbar ist. In ähnlichen Fällen wurden Tierrechtler vor Gericht mal verurteilt, mal aber auch freigesprochen – mit Verweis auf den Tierschutz, der seit 2002 als Staatsziel im Grundgesetz verankert ist.
Ariwa argumentiert, es gebe keine andere Wahl. Behörden kämen ihrer Verpflichtung nicht nach, Tierschutzverstöße zu verhindern. Darum wolle man die Zustände in den Ställen für die Öffentlichkeit dokumentieren.
Veterinärämter sind kaum in der Lage, Höfe engmaschig zu kontrollieren. Laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) wurden im Jahr 2023 nur 19 Prozent der 404.205 kontrollpflichtigen Nutztierhaltungsbetriebe überprüft. In rund einem Viertel dieser Betriebe wurden Verstöße gegen das Tierschutzrecht festgestellt.
Um Druck auf die Behörden zu machen, hat Ariwa Aufnahmen aus 21 Betrieben ausgewertet. In dreien davon sei nichts zu beanstanden gewesen. In sechs Betrieben sahen Aktivisten demnach zwar Missstände, für eine Anzeige hätten diese aber nicht ausgereicht. Gegen zwölf Betriebe hat die Organisation nach eigenen Angaben Anzeige bei den zuständigen Veterinärämtern und Staatsanwaltschaften erstattet.
Unter ihnen ist auch der Betrieb von Willi Steffens, wo gefilmt wurde, wie Schweinen im Stall auf den Kopf geschlagen wird. Der SPIEGEL und das ZDF haben ihm und weiteren Landwirten ausgewählte Szenen zugänglich gemacht.
Steffens ist im Telefonat mit dem SPIEGEL hörbar angefasst. »Es passieren auch Fehler. Das rechtfertigt nicht den rauen Umgang mit den Tieren, der auf den Videos zu sehen ist. Das ist nicht Tagesgeschäft bei uns, das ist auch nicht in meinem Sinne«, sagt Steffens zu den Szenen, die im Dezember 2024 mit versteckter Kamera gefilmt wurden.
Der Mitarbeiter habe eine Abmahnung bekommen, er habe das Video ausführlich mit ihm besprochen. Vor Weihnachten seien besonders viele Tiere zum Schlachthof gebracht worden, »das ist keine Entschuldigung. Und ich distanziere mich klar von Tierquälerei. Aber ich versuche, die Zusammenhänge zu sehen«, sagt Steffens. Er schickt ein Schreiben einer Amtstierärztin, wonach diese am Schlachthof bei seinen Schweinen nie Schlagstriemen festgestellt habe.
2500 Schweine mästet Steffens auf seinem Hof. Die Tiere leben auf Stroh und haben Ausläufe, im Sommer bringt eine Hochdruck-Nebelanlage Abkühlung. Das Fleisch verkauft der Landwirt seit 15 Jahren direkt an den Rewe-Händler Peter Richrath. 1995 habe er angefangen, ein alternatives Haltungskonzept für Schweine zu entwickeln, erzählt er. »Ich bin der Pionier und Überzeugungstäter.«

Rewe-Händler Peter Richrath
Foto:David Klammer / DER SPIEGEL
Auch für Aufnahmen, die ein zähflüssiges Kot-Urin-Gemisch in den Boxen zeigen, hat Steffens eine Erklärung: Gezeigt werde nicht der Fress-Liege-Bereich der Tiere, sondern die Kotecken. Steffens wirft den Aktivisten vor: »Es wurden nur Bilder gefilmt, die für Negativschlagzeilen taugen.«
Der psychische Schaden sei enorm, sagt der Landwirt. »Wenn ich jetzt in den Stall gehe, scanne ich mit den Augen die Wände und Decken nach Kameras ab. Wir sind total verunsichert.«
Sein Betrieb sei regelmäßig ohne Beanstandungen kontrolliert worden. Auf die Anzeige von Ariwa hin habe es eine vierstündige unangekündigte Kontrolle des Veterinäramtes gegeben. Er selbst habe den Behörden das Video der Aktivisten gezeigt. Das Veterinäramt habe nichts beanstandet. Die Behörde bestätigt Überprüfungen, nimmt aber »aus datenschutzrechtlichen und verfahrenstaktischen Gründen« zu laufenden Verfahren und Kontrollergebnissen keine Stellung.
Werden Landwirte von Tierrechtlern vorschnell an den Pranger gestellt oder sind die Vorwürfe über systematische Missstände berechtigt?
Ein nüchterner Bürokomplex in Berlin-Mitte. Hier hat die Bundestierärztekammer ihren Sitz. Präsident Holger Vogel hat sich bereit erklärt, die Aufnahmen aus den Schweineställen fachlich einzuordnen. Vogel leitet in Mecklenburg-Vorpommern ein Veterinäramt, war als Tierarzt auf Rinder- und Schweinebetrieben tätig und hat auf einem Schlachthof die Anlieferung von Tieren sowie Fleisch und Organe kontrolliert.
An einem Apriltag sitzt er vor dem Laptop und schaut sich anonymisierte Bilder von sieben Höfen an. Auch die Aufnahmen von Steffens' Hof sind darunter. Das Schlagen der Tiere beim Treiben sei inakzeptabel. »Das muss abgestellt werden«, sagt Vogel. Auch die teils stark verschmutzten Boxen seien erklärungsbedürftig.
In der Gesamtschau der Videos sagt Vogel: »Die Bilder sind zum Teil verstörend, manches ist eben auch tierschutzwidrig.« Zumindest in einigen Ställen gebe es Kontrollbedarf. Der schwerwiegendste Missstand ist aus seiner Sicht der Umgang mit gehunfähigen Tieren. Sie hätten zu wenig Aufmerksamkeit bekommen.
Die verdeckten Aufnahmen von Tierrechtlern sieht Amtstierarzt Vogel zwiespältig. »Es ist gut, dass dadurch Verstöße aufgedeckt werden. Aber ob das Einbrüche in Ställe rechtfertigt, ist eine andere Frage«, so Vogel. Tieren sei nur geholfen, wenn Missstände zeitnah gemeldet würden.
Die Bilder seien nur Anhaltspunkte, dass es Tierschutzverstöße gebe. Entscheidend sei, ob solche Zustände dauerhaft oder wiederkehrend seien, sagt der Experte. »Mir geht es nicht darum, die Branche zu kriminalisieren.«
Landwirt Norbert Dyckers produziert unter dem Label Tierwohllupe.de. Sein Hof wird dort mit der Höchstbewertung einsortiert – das soll mit Bio-Standard vergleichbar sein. Allerdings gibt Tierwohllupe keine Mindestkriterien für Landwirte vor. Begründung: Das funktioniere nicht in jedem Betrieb. Landwirte können aus Kriterien auswählen, die zu ihrem Hof passen.

Landwirt Dyckers vor Strohausläufen seines Stalls beim Fototermin für den SPIEGEL
Foto:Michael Englert / DER SPIEGEL
Auch in Dyckers’ Stall waren Aktivisten, auch hier haben sie Strafanzeige gestellt. Auf nächtlichen Aufnahmen, die laut Ariwa aus dem vergangenen September stammen, sind Schweine zu sehen, die in der Dunkelheit im Regen in einem Auslauf stehen. Der Boden ist bedeckt von braunem Kotmatsch. Eine Person filmt, wie sie durch diesen Brei aus Kot waten.
Im Stallinneren gibt es kein Stroh, sondern Spaltenböden. Durch Schlitze im Boden sollen Kot und Urin direkt in die Kanalisation gelangen. Das erspart dem Landwirt Arbeit und soll für mehr Hygiene sorgen. Doch auf den Aufnahmen ist zu sehen, wie Gülle die Spalten bedeckt und Maden in dem Fäkalienbrei herumkriechen.

Aufnahme von Schweinen nach Ariwa-Angaben im Innenbereich des Stalls von Norbert Dyckers
Foto:Animal Rights Watch e.V.
Auch diese Aufnahmen schaut sich Amtstierarzt Vogel an. »Die Bilder sind auf den ersten Blick verstörend«, sagt er. Die Frage sei, ob es Gegenmaßnahmen gebe und wie lange Verschmutzungen bestehen.
Das zuständige Veterinäramt teilte mit, man habe sowohl aufgrund der Ariwa-Anzeige als auch auf Mitteilung des Landwirts hin unmittelbar eine »tierschutz- und tiergesundheitsrechtliche Kontrolle« durchgeführt. »Während der Kontrolle wurden geringgradige Mängel hinsichtlich des Mist- und Einstreuintervalls festgestellt und besprochen. Eine Abstellung dieser Mängel wurde durch den Tierhalter zugesagt.« Dies werde zeitnah geprüft.
Ein Dienstag Mitte April. Schweinemäster Dyckers hat den SPIEGEL zum Treffen eingeladen. Er trägt eine braune Latzhose, schwarze Arbeitsstiefel und zieht zwischendurch angespannt an einem Zigarillo.
Von Dreck ist nichts zu sehen. 1900 Tiere hält Dyckers auf seinem Hof in Korschenbroich. Haltungsstufe 4 + gibt er auf seiner Website – analog zu den Abstufungen im Handel von 1 bis 5. Zu jeder Schweinebucht gehört ein Strohauslauf, der an die frische Luft führt.
Am Morgen wurde ausgemistet. Junge Tiere tapsen neugierig durch goldgelbes, frisches Stroh ans Gitter. Weiter hinten dösen Schweine im Stroh friedlich vor sich hin. Mit der Schnauze können die Tiere eine kleine Tür aufstoßen und ins Stallinnere gelangen. Dort haben sie eine Bucht mit Betonspaltenboden. Auch dort wirkt alles sauber.
Jeden zweiten Tag werde ausgemistet, sagt Dyckers. Er deutet in die rechte hintere Ecke einer Außenbucht, wo das Stroh deutlich schmutziger ist. »Das ist die Kotecke«, sagt Dyckers. »So sieht die nach wenigen Stunden schon aus.« Nach zwei Tagen sei das Stroh ganz verdreckt, noch dazu, wenn es regne. Bei Starkregen werde unmittelbar danach ausgemistet, damit die Tiere trockenes Stroh haben. Ihnen ergehe es besser als Wildschweinen im Wald. Seine Erklärung für die Bilder vom verkoteten Auslauf: Die Aktivisten hätten dort schlicht in der Nacht vor dem Ausmisten gefilmt.

Aufnahme von Schweinen nach Ariwa-Angaben im Innenbereich des Stalls von Norbert Dyckers
Foto:Animal Rights Watch e.V.
Die Gülle, die durch die Spalten im Boden nach oben drückte, sei eine »Momentaufnahme« gewesen, verursacht wohl durch verstopfe Güllekanäle, das komme »seltenst« vor. Die Maden in der Gülle seien sogar ein positives Zeichen und zeigten, dass der Betrieb keine Antibiotika einsetze. Sonst würden die Maden gar nicht überleben. Der Landwirt bringt zudem ins Spiel, die Aktivisten könnten Wasserhähne aufgedreht haben, um Gülle überlaufen zu lassen.
Aber Dyckers hat noch einen ganz anderen Verdacht. Er hat nach eigenen Angaben Anzeige wegen Hausfriedensbruch und Vergiftung der Schweine gestellt.
Sein Fall zeigt, dass sich Bauern und Tierrechtler gegenseitig inzwischen alles zutrauen.
Es geht um Bilder, die Aktivisten im März auf Dyckers' Hof aufgenommen haben. Mehrere tote Schweine liegen im Flur des Stalles, eine Blutspur führt aus einer Bucht dorthin. Zu sehen sind auch grob zugenähte Bäuche. Diese Bilder deuteten auf eine Untersuchung hin, um die Todesursache von Tieren zu klären, sagt Amtstierarzt Vogel dazu.
Einer schriftlichen Dokumentation von Dyckers zufolge sind ab 14. März binnen weniger Tage mehr als 20 Tiere gestorben. Die Tiere hätten Symptome wie Erbrechen, Durchfall und Zittern gezeigt. Die Ursache ist laut dem Landwirt bis heute nicht geklärt. Dyckers deutet eine Verbindung zu den Aktivisten an.
Der hinzugerufene Hoftierarzt notierte in seinem Bericht, dass die beobachteten Symptome eher zu einer Vergiftung als zu einer klassischen Schweine-Erkrankung passen könnten. Ein dem SPIEGEL vorliegender Untersuchungsbericht von zwei toten Schweinen beschreibt hingegen deutliche Infektionszeichen bei beiden Tieren. Ein bestimmter verursachender Erreger konnte aber nicht sicher festgestellt werden, geht aus dem Bericht des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamtes Rhein-Ruhr-Wupper hervor.
Ariwa weist zurück, etwas mit dem Tod der Schweine zu tun zu haben. »Die Behauptung, Tierrechtsaktivist*innen würden Schweine vergiften oder Haltungsbedingungen manipulieren, ist vollkommen unbegründet und widerspricht ihrem grundlegenden Ziel, systembedingtes Tierleid aufzudecken und nicht zu verursachen«, heißt es. Es werde »nichts beschädigt oder absichtlich herbeigeführt«. Die Aktivisten versichern, sie seien im März nur in der Nacht in Dyckers' Stall gewesen, als die Schweine bereits tot waren.
Zwischen der Visite des Tierarztes und dem Auftauchen der Aktivisten sind einer Rekonstruktion des SPIEGEL zufolge nur wenige Stunden vergangen.
Für Dyckers Beleg dafür, dass Aktivisten den Tierschutz missachteten. Er verweist auf eine Einschätzung des Tierarztes und selbst ernannten »Schweineflüsterers« Kees Scheepens. »Ein Einbruch unmittelbar nach einer tierärztlichen Behandlung kann mit den Grundsätzen des Tierschutzes schwerlich vereinbart werden«, heißt es darin.
Ariwa teilt dazu mit, sollte eine Behandlung kurz zuvor stattgefunden haben, sei dies für die Aktivisten nicht erkennbar gewesen. Wer ernsthaft am Tierschutz interessiert sei, solle sich »eher mit den dokumentierten Zuständen befassen als mit konstruierten Ablenkungen«.
Auch ein anderer Landwirt, Michael Heinrichs, erhebt Manipulationsvorwürfe gegen Ariwa. Heinrichs betreibt zusammen mit seinem Vater laut Tierwohllupe.de in Heinsberg »einen der wohl komplexesten und privat finanzierten Höfe für Tierwohlforschung in ganz Europa«. Dort haben Aktivisten nach Angaben von Ariwa in fünf Nächten gefilmt und über mehrere Tage mit versteckter Kamera aufgenommen. Die Täter hätten »erkennbar nichts Skandalisierbares vorgefunden und deshalb 'nachgeholfen'«, schreibt Heinrichs’ Anwalt.
Gemeint sind etwa Sequenzen, in denen mehrere tote Ferkel zu sehen sind. Ein Kadaver steckt halb verwest in einer Spalte zwischen Wand und Stallboden. Der Anwalt schreibt, der Kadaver sei »offenbar eigens in eine Spalte geklemmt worden«. Der Landwirt hat dazu die Einschätzung einer Tierärztin angefordert, deren Mail dem SPIEGEL vorliegt. Sie kommt allerdings zu keinem eindeutigen Ergebnis.
Zu Bildern von zwei kotverschmierten toten Ferkeln in einer Bucht schreibt der Anwalt, auch bei diesen lasse ihr Zustand erkennen, dass sie »aus dem Kadaverbehälter entnommen und in Stallabteile gelegt worden sind, um sie dort zu filmen«.
Für einen Teil des Bildmaterials zieht er pauschal in Zweifel, dass die Aufnahmen tatsächlich aus Heinrichs Ställen stammen, konkrete Anhaltspunkte hierfür haben die Recherchen aber nicht ergeben.
Ariwa weist jegliche Manipulationsvorwürfe zurück. »Glaubwürdigkeit ist unser höchstes Gut«, sagt Agrarreferentin Schubert. »Nach solchen katastrophalen Zuständen in Ställen müssen wir gar nicht lange suchen.«
Die Tierrechtsorganisation hat auch gegen Heinrichs Strafanzeige gestellt. Die Staatsanwaltschaft Aachen teilte mit, es werde wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz ermittelt. Das zuständige Veterinäramt habe eine Durchsuchung durchgeführt. Derzeit werde ein Gutachten abgewartet.
Die verstörenden Bilder und die Kontroverse zwischen Aktivisten und Landwirten zeigen vor allem das eine: Beim Tierschutz ist noch viel zu tun.
Letztlich können sich nur Behörden einen umfassenden Zugang zu den Höfen verschaffen, um mutmaßliche systematische Missstände aufzudecken. Verbraucherschützer fordern, die gesetzlichen Tierhaltungsstandards anzuheben.
Amtstierarzt Vogel plädiert dafür, auffällige Betriebe gezielt herauszufiltern, indem Gesundheitsdaten wie Verletzungen oder Organbefunde an Schlachthöfen erfasst und durch Behörden ausgewertet werden. Solche Daten könnten auch mehr über Tierwohl aussagen. »Stroh und Frischluft allein sind kein Garant für eine gute Tierhaltung.«
Mit den Vorwürfen von Ariwa müssen jetzt auch die Rewe-Händler Peter und Lutz Richrath umgehen. Die Brüder betreiben 16 Filialen in Köln und Umgebung. Frisches Schweinefleisch kommt exklusiv vom Hof von Willi Steffens.

Rewe-Händler Lutz, Peter Richrath
Foto:David Klammer / DER SPIEGEL
»Kritik hat die Branche oft auch ein Stück weitergebracht.«
Lutz Richrath, Rewe-Händler
Seit mehr als zehn Jahren setzen die Richraths auf das Thema Tierwohl. Die selbstständigen Kaufleute zahlen an Steffens jährlich einen mittleren sechsstelligen Betrag, um etwa die höheren Kosten für Haltung auf Stroh mitzutragen.
Und nun also die Bilder von Schlägen auf Steffens’ Hof. »Wir haben über Konsequenzen gesprochen und vertrauen, dass es keine weiteren Zwischenfälle gibt«, sagt Lutz Richrath.
Die Einbrüche auf den Höfen sehe er kritisch, auch wegen der Belastung für die Landwirte. Und doch hätten die umstrittenen Videos etwas Gutes. »Kritik hat die Branche oft auch ein Stück weitergebracht.«