Ein kurzes Update in Sachen schwedischer Moderne kann nicht schaden vor dem Besuch der Market Art Fair in Stockholm. Gelegenheit dazu bietet die Sammlung des renommierten Moderna Museet. Dort fallen die um 1917 geschaffenen Farbformen von Nell Walden, der Frau des Berliner Galeristen Herwarth Walden auf. Diese Werke galten einmal als früheste nordische Abstraktion, bis Hilma af Klint 2013 im selben Museum triumphal wiederentdeckt wurde. Porträt, Interieur, Landschaft – die Bestände des Museums haben mehr zu bieten als das Faszinosum der außergewöhnlichen Symbolistin af Klint, die Stippvisite lohnt sich.
Auf der 19. Ausgabe der Kunstmesse zeigt sich dann nämlich in diversen Kojen, wie die skandinavische Moderne bis heute auf der Leinwand fortlebt, auch wenn atelierfrische Bilder wie „Die Sonne“ von Niklas Delin am Stand der Stockholmer Galerie Saskia Neuman (zum Preis von 18.500 Euro) nicht unbedingt den Nerv der Gegenwart treffen.
Den bekommt in seiner ganzen Zwiespältigkeit der in Grönland lebende Künstler Inuuteq Storch zu spüren. Seine Schwarz-Weiß-Fotos zeigen den insularen Alltag und den Einfluss des „dänischen Kolonialismus“, wie seine Galeristin Christina Wilson (Kopenhagen) anmerkt. Die Bedrohungen durch den Krieg in der Ukraine und die Machtansprüche eines Donald Trump wirbelten in ihrem Land und in Grönland einen „Tsunami an Gefühlen“ auf. Der Künstler fürchte, zu seiner anstehenden Ausstellung im New Yorker Museum PS 1 im Oktober nicht einreisen zu können (seine Fotografien kosten je 8500 Euro).
Solche Verunsicherung kommt am Rande der Messe immer wieder zur Sprache wie auch der Vorsatz der Galerien, in dieser Lage zusammenstehen zu wollen. Darin äußert sich eine Art regionaler Identitätspolitik, die man in diesem Fall unbedingt begrüßen kann. Im Rahmenprogramm fällt auf, dass der Erlös für ein Gemälde von Aki Turunen der Organisation Human Rights Watch zufließen soll. Auf der Messe wird der Maler aus Helsinki von der Berliner Galerie Schwarz Contemporary repräsentiert.
Der Horizont erweitert sich
Unter der Leitung von Sara Berner Bengtsson hat die Market Art Fair in den vergangenen Jahren die Anzahl ihrer Aussteller fast verdoppelt und bleibt mit 52 Galerien dennoch überschaubar, vergleichbar mit der Kopenhagener CHART. Vom strikten Kurs des „nordischen Fokus“ rückt die Regionalmesse behutsam ab, weshalb mit der Company Gallery nun auch ein New Yorker Aussteller an den Start gehen kann und unter anderem Zeichnungen von Barbara Hammer von 1969 und 1970 für je 8500 Euro anbietet. Björn Wetterling, Veteran unter den Stockholmer Galeristen, zeigt eine Auswahl an Selbstporträts der Amerikanerin Amy Simon, die dem Betrachter stets den Hinterkopf zuwenden. Die Künstlerin verbirgt ihr Gesicht und offenbart ihr Temperament allein in der akribischen Zeichnung mit dem Farbstift.
Dass sämtliche Stände einem kuratorischen Konzept folgen müssen, um zugelassen zu werden, sieht man ihnen nicht durchweg an; viele fallen kunterbunt aus. Da sticht eine exzentrische Skulptur von Gustav Gaston bei der Galerie aaaa Nordhavn (Kopenhagen) direkt ins Auge: Der junge schwedische Bildhauer verarbeitet Bauteile, die überall im öffentlichen Raum vorkommen, aber selten eigens wahrgenommen werden, etwa Dachantennen oder Dämmmaterial. Daraus macht er ein expressives, widerspenstiges Gebilde (22.000). Davon könnte die Messe mehr gebrauchen. In Ambiente und Anmutung in der historischen Liljevalchs Konsthall ist sie beschaulich. Eine „Boutique Fair“ nennt sie die Direktorin.
Eine ungewöhnliche Werkbiographie verbirgt sich hinter den großformatigen, farbleuchtenden Abstraktionen am Stand der Stockholmer Galerie Larsen/Warner. Gemalt hatte sie das ehemalige finnische Model Iria Leino (1932 bis 2022), das um 1970 fernab der Öffentlichkeit in New York ein umfangreiches Œuvre hervorbrachte und den Maler Larry Poons als Inspirationsquelle angab. Auf der Messe und in der Galerie in der Stadt kann man in feinfühlige Farbräume eintauchen (12.500 bis 50.000). Auch sie verdienen es, entdeckt zu werden. Nordlicht mit amerikanischem Einfluss – zumindest in der Kunst ist das eine lohnende Allianz, wie das lange übersehene Werk bezeugt.
Market Art Fair, Stockholm, Liljevalchs Konsthall, bis 18. Mai, Eintritt umgerechnet knapp 15 Euro