Eine neue Verordnung soll EU-weit einen Rahmen für die effiziente Erteilung von Zwangslizenzen in grenzüberschreitenden Krisen- oder Notsituationen wie Pandemien oder Naturkatastrophen schaffen. Auf einen gemeinsamen Entwurf haben sich Verhandlungsführer des EU-Parlaments, des Ministerrats und der Kommission am Mittwochabend geeinigt. Die Initiative solle im Notfall "die Verfügbarkeit krisenrelevanter Produkte wie Impfstoffe oder Computerchips" sicherstellen, teilten die Abgeordneten mit. Die EU werde so in der Lage sein, bei grenzüberschreitenden Notfällen Sondergenehmigungen für die Herstellung patentgeschützter Waren zu erteilen, ohne dass hierfür die Zustimmung des Rechteinhabers erforderlich ist.
Für klar definierte Aufnahmesituation
Ein solcher Schritt ermögliche die sofortige Produktion etwa von Arzneimitteln auch durch andere Unternehmen als den Patentinhaber, verdeutlicht das Parlament. Diese Sondergenehmigung in Form einer Zwangslizenz könne die Kommission nur in klar definierten Notfällen wie einer grenzüberschreitenden Gesundheitskrise oder einer Zwangslage auf dem Binnenmarkt mit festgelegtem Umfang, räumlicher Abdeckung und Dauer erteilen. Zuvor hatten die Volksvertreter während der Corona-Pandemie 2021 in einer Resolution an die Brüsseler Regierungsinstitution appelliert, die Option für ein solches Instrument auf EU-Ebene auszuloten. Die Exekutivinstanz machte daraufhin 2023 einen Gesetzesvorschlag im Rahmen eines größeren Patentpakets.
Eine Zwangslizenz werde nur als letztes Mittel und nur in Fällen eingesetzt, in denen keine freiwillige Einigung zwischen Rechteinhaber und Lizenznehmer erzielt werden kann, betonen die beteiligten Gremien. Das gelte etwa, wenn ein Unternehmen mit relevanten Patenten sich weigere, ein Arzneimittel zu lizenzieren, oder unerschwingliche Preise für Nutzungsrechte verlange. Zudem müsse das Erfordernis der Dringlichkeit erfüllt sein. Um endlose Verhandlungen zu vermeiden, erklären die EU-Staaten, müssten die bevorzugten freiwilligen Vereinbarungen "innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens getroffen werden".
Verteidigungssektor bleibt außen vor
Die verabredete Verordnung gilt nicht für Produkte im Verteidigungsbereich. Im Zuge der Einleitung des Zwangslizenzverfahrens muss die Kommission alle damit verbundenen Immaterialgüterrechte und deren Inhaber ermitteln. Rechteinhaber haben ferner einen Anspruch auf eine angemessene Vergütung für die Nutzung ihrer Patente. Die Höhe und den Zeitraum der Zahlung soll die Kommission festlegen. Geschäftsgeheimnisse müssen Firmen nicht offenlegen. Ein Beratungsgremium muss die Notwendigkeit der Erteilung einer EU-Zwangslizenz beurteilen; seine Stellungnahme ist aber nicht bindend.
Die neuen Regeln sind auch mit Pflichten für die Lizenznehmer verknüpft. So dürfen diese unter Zwangslizenz nicht mehr Produkte als eine festgelegte Höchstmenge herstellen und müssen diese kennzeichnen. Bei Verstößen wie einem rechtswidrigen Export kann die Kommission eine Geldbuße von bis zu 300.000 Euro verhängen, bei kleinen und mittleren Unternehmen von bis zu 50.000 Euro.
Buschmann beklagte "Form der Enteignung"
Derzeit können die EU-Länder nur im Alleingang Zwangslizenzen erteilen. Die damit verknüpfte Fragmentierung führt laut Beobachtern zu Unsicherheit und Verfahrensverzögerungen in EU-weiten Krisen, in denen ein rasches und koordiniertes Handeln erforderlich wäre. Ex-Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) kritisierte das Instrument als "Form der Enteignung". Im Streit über eine Freigabe von Impfstoff-Patenten seien immer wieder Rufe nach Zwangslizenzen aufgetaucht. Damit hänge ein "Damoklesschwert" über Investitionen in gewerbliche Schutzrechte und so auch über Innovationen.
Der parlamentarische Berichterstatter, Adrián Vázquez Lázara von der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), hält dagegen: Der Kompromiss schaffe einen Ausgleich zwischen dem Schutz von Immaterialgüterrechten und der Gewährleistung, "dass in Krisenzeiten wichtige Technologien und Produkte rasch in der gesamten Union verfügbar gemacht werden können". Das Parlament und der Rat müssen den Entwurf noch billigen, was als Formsache gilt. Die Verordnung tritt dann einen Tag nach ihrer Veröffentlichung im EU-Amtsblatt in Kraft.
(mho)