Ein italienischer Präsident übt sich in Melancholie und Francis Ford Coppola hält eine Blitzwürdigung auf Werner Herzog: Das Filmfestival von Venedig hat begonnen.
28. August 2025, 5:34 Uhr
Ehrlich gesagt fühle er sich ein bisschen unvorbereitet für diese Frage, sagte der US-amerikanische Regisseur Alexander Payne (About Schmidt, The Holdovers) in Venedig. Die Frage galt seiner persönlichen Haltung zum Geschehen in Gaza, und natürlich wird Payne, Jurypräsident der 82. Filmfestspiele, gewusst haben, dass das Thema auf der Jury-Pressekonferenz aufkommen würde.
Im Vorfeld des Festivals hatten mehr als 1.500 Filmschaffende von den Organisatoren der Biennale in einem offenen Brief verlangt, "den Genozid, der live vom Staat Israel in Palästina verübt wird", klar zu verurteilen. In einem weiteren Brief wurde unter anderem gefordert, die israelische Schauspielerin Gal Gadot vom Festival auszuladen, die aber offenbar gar nicht vorhatte, nach Venedig zu kommen. Alberto Barbera, der Leiter des Festivals, lehnte auf der Pressekonferenz beides ab, nicht ohne "unsere große Traurigkeit" angesichts "des Todes von Zivilisten und besonders Kindern" zu erwähnen. Für kommenden Samstag ist auf dem Lido ein propalästinensischer Protestmarsch mit Pressekonferenz vor dem roten Teppich geplant.
Ein bisschen unvorbereitet zu sein, ist eine salomonische Antwort auf eine Frage, bei deren Beantwortung sich ein Jurypräsident nur um Kopf und Kragen reden kann. Womöglich ist es die einzig richtige Reaktion auf Fragen, die weniger nach Antworten als nach Bestätigungen suchen. Mangelnde Vorbereitung als utopische Haltung in einer Welt der scheinbar vollumfänglich Vorbereiteten. Er freue sich, in Venedig 22 Filme zu sehen, von denen er nichts wisse, sagte Alexander Payne.
Ein Film über ein getötetes palästinensisches Mädchen
Es ist die Leinwand, es ist das Kino, es sind die Filme, in denen auf einem Festival wie Venedig die Wirklichkeit verhandelt wird, auch wenn es zunehmend geboten scheint, die Sprachmacht der Bilder zu verteidigen. In den kommenden Tagen werden in Venedig unter anderem Filme von Luca Guadagnino, Noah Baumbach, Park Chan Wook, Yorgos Lanthimos und Laura Poitras zu sehen sein. Die tunesische Regisseurin Kaouther Ben Hania (Olfas Töchter) rekonstruiert in ihrem Wettbewerbsfilm The Voice of Hind Rajab die Tötung des gleichnamigen fünfjährigen palästinensischen Mädchens durch die israelische Armee.
Die Oscar-Gewinnerin Kathryn Bigelow erzählt in ihrem Actionfilm White House Dynamite von einem von Unbekannten verübten Raketenangriff auf das Weiße Haus. Der polnische Regisseur Michal Kosakowski hat in seinem Essayfilm Holofiction Ausschnitte aus mehr als 3.000 Spielfilmen zwischen 1938 und der Gegenwart montiert, die den Holocaust zeigen. Jude Law wird in Le Mage du Kremlin in der Rolle von Wladimir Putin zu sehen sein, laut seinem Regisseur Olivier Assayas ein Film über die perversen Methoden einer Politik, die uns alle als Geiseln hält.
Der einsame, wissende Mann der Macht
Eröffnet wurde das Festival mit einem Heimspiel. Der italienische Regisseur Paolo Sorrentino inszeniert seinen Lieblingsschauspieler Toni Servillo in dem Film La Grazia als Präsident der italienischen Republik. Dieser Präsident ist müde und melancholisch. Sechs Monate vor dem Ende seiner Amtszeit und seiner politischen Laufbahn hat er die Rituale und Zeremonien über. Mehr oder weniger lustlos empfängt er Staatsoberhäupter aus Portugal und Litauen oder besucht ein Festival für modernen Ausdruckstanz. Immer noch trauert er um seine vor acht Jahren verstorbene Frau und fragt sich, mit wem sie ihn wohl vor 40 Jahren betrogen hat. Seine Tochter und engste Mitarbeiterin verordnet ihm eine Diät, Quinoa statt Pizza. Außerdem versucht die versierte Juristin, ihren Vater dazu zu bewegen, zwei Gnadengesuche sowie ein progressives Gesetz zur Euthanasie zu unterzeichnen. Aber der Präsident zögert. Hin und wieder raucht er eine Zigarette auf dem Dach des Quirinalspalastes und blickt über die Dächer von Rom.
Sorrentinos Film ist getragen von der – leicht wehleidigen – Identifikation des Regisseurs mit dem einsamen, wissenden Mann der Macht. Politisch scheint in Italien und in der Welt nichts los zu sein, oder der Präsident interessiert sich in seinem Palast, in dem kein Lüftchen zu wehen scheint, nicht mehr dafür. Manchmal möchte man diesem müden Helden zurufen, die Politik doch einfach zu lassen, sich ein Hobby zu suchen oder sich einen Hund zu kaufen. Und doch ist dieses Porträt eines leisen, besonnenen Politikers und dessen stiller Eleganz auch verführerisch. Der Präsident, ein brillanter Jurist und ehemaliger Richter, durchblickt und durchdringt das Gesetzesvorhaben zur Euthanasie, das er trotz persönlicher Zweifel unterzeichnen soll, er ist gewissermaßen übervorbereitet. Doch mit seiner Entscheidung folgt er seiner Tochter, der nächsten Generation und damit der Zukunft.
Auch auf der Bühne war die Eröffnungsgala ein Abend älterer Herren, die einmal die Zukunft waren. Gleich zu Beginn wurde der Goldene Ehrenlöwe an Werner Herzog verliehen. Die Laudatio auf seinen 82-jährigen Kollegen hielt der 86-jährige Francis Ford Coppola. Es war eine Blitzwürdigung, kaum begonnen, war sie auch schon wieder vorbei. Coppola sprach von Herzogs "einmaligen Filmen, die aber auch sehr unterschiedlich sind". Er rühmte die "grenzenlose Kreativität" und Herzogs "überwältigendes Werk". Gemeinsam habe man in Coppolas Haus in San Francisco großartige Gespräche geführt, und er, Coppola, sei es gewesen, der Werner Herzog seine jetzige Frau Lena vorgestellt habe. Außerdem würde er seinen Hut aufessen, wenn irgendjemand Werner Herzog toppen könne.
Der Preisträger wiederum betrat die Bühne sichtlich bewegt. In seiner ebenfalls superkurzen Dankesrede sprang er vom geflügelten Ehrenlöwen zu seinem Film Ghost Elephants, der am Donnerstag auf dem Festival Premiere feiert. Im Haus von Francis Ford Coppola, den er seit einem halben Jahrhundert kenne, habe er das Drehbuch zu seinem Film Fitzcarraldo geschrieben, sagte Herzog. Im Übrigen sei er nicht drei Jahre mit seiner Frau zusammen, wie überall zu lesen ist, sondern 29 Jahre, 11 Monate und 9 Tage. Das Leben sei in dieser Zeit gut zu ihm gewesen. "Ich bin ein glücklicher Mensch", sagte Werner Herzog, und man glaubt es ihm.