„Conference of the Parties“, COP, ist der offizielle Name der Weltklimakonferenzen der UN, die jedes Jahr an einem anderen Ort stattfinden, diesen November im brasilianischen Belém. Mit den „Parties“ sind die Unterzeichnerstaaten des Weltklimaabkommens gemeint – wie selbstverständlich sind es die verschiedenen Nationen, die den Planeten gemeinsam retten sollen. Dass das aber überhaupt nicht selbstverständlich, sondern im Gegenteil ein Unterfangen von höchst geringer Erfolgsaussicht ist, ist der ebenso einfache wie überzeugende Gedanke des Essays „Die Welt und die Erde“, den der belgische Autor David Van Reybrouck gerade bei Suhrkamp veröffentlicht hat.
Eine Welt, die aus lauter Nationen mit unterschiedlichen, oft widerstreitenden Interessen besteht, könne gar nicht in der Lage sein, gemeinsam über das Schicksal der Erde zu entscheiden. Das zu glauben, beruhe auf einer Vermischung der ganz verschiedenen Kategorien. Die Bedrohung des Erdballs erzwinge von der Diplomatie nach ihrer bilateralen und multilateralen Phase einen entscheidenden weiteren Entwicklungsschritt: Eine „planetare Diplomatie“ sei gefragt; aus der Staatsräson müsse eine „Erdräson“ werden.
Der souveräne Erzähler Reybrouck, den seine Bücher über Indonesien und Kongo bekannt gemacht haben, führt das plastisch durch eine Erinnerung an seinen Kinderglobus vor. Je nachdem, ob er dessen Beleuchtung an- oder ausknipste, wurde die eine oder die andere Bedeutung der Kugel sichtbar. „Licht aus: Ozeane, Flüsse und Gebirgszüge. Blau bis dunkelblau getönt das Meer, dunkelgrün bis hellorange das Land. Licht an: Die ‚Politische Einteilung‘ der Welt! Jedes Land in einem anderen Farbton. Brasilien Gelb, Argentinien Rot, Chile Grün.“ Als Kind habe er Erde und Welt für ein und dasselbe gehalten, heute wisse er, dass das ein folgenschwerer Irrtum ist.
Was aber folgt daraus, wie lässt sich diese Einsicht in eine „Erdpolitik“ übersetzen? Ohne eine „Relativierung nationalstaatlicher Souveränität“ werde es nicht gehen, schreibt Van Reybrouck, doch hergebrachte Utopien wie eine Weltregierung, einen Weltstaat hat er dabei nicht im Sinn. Stattdessen lässt er den großen Anspruch etwas unvermittelt in das vergleichsweise bescheidene Konzept einer „Global Citizens’ Assembly“ münden, dem zufolge die internationalen Verhandlungen durch Versammlungen von im Losverfahren ausgewählten gewöhnlichen Bürgern aus aller Welt ergänzt werden sollen. Der Essay bekommt da etwas Aktivistisches: Auch die Präsidentschaft des diesjährigen COP30 macht sich die seit Jahrzehnten von Bürgerräten propagierte Idee zu eigen, sie verspricht eine „COP of People“.
Schon früher hatte Van Reybrouck die Repräsentation per Los als Belebungschance für die Demokratie empfohlen (in dem Band „Gegen Wahlen“ von 2016), doch als Ausdruck von so etwas Universellem wie einer „Erdpolitik“ fußt der Vorschlag auf Voraussetzungen, die er selbst nicht diskutiert. Die unausgesprochene Idee dahinter ist ja offenbar, dass diese ausgelosten Menschen nichts als Menschen seien und daher unmittelbar zur Erde, ganz anders als die Lobbyisten und Staatsrepräsentanten mit ihren nationalen und wirtschaftlichen Interessen. Aber gibt es solche Erdwesen in der Wirklichkeit überhaupt? Wie übersteigen sie die unterschiedlichen Perspektiven ihres Herkommens und ihrer sozialen Schicht? Van Reybrouck erwähnt kulturelle Traditionen aus China (Alles unter dem Himmel), Indien (Die Welt ist eine Familie), Indonesien (Dorfversammlungen!) und Afrika (Ich bin, weil wir sind), die der Erdräson entgegenkämen, aber nur so kurz, dass dies reine Behauptung bleibt. Wie genau funktionieren die Versammlungen, wie kommt ein Konsens zustande, wie geht man mit Abweichungen um? Und wie können diese Diskurse Macht gewinnen? Solche Fragen müssten diskutiert werden, damit der Vorschlag mehr ist als eine rhetorische Figur. Er würde es verdienen.