Das entscheidende Problem der Hamburger Profis ist nach dem sonntäglichen 1:2 gegen den Karlsruher SC endgültig lokalisiert: Es liegt im Kopf. Die sich daraus resultierenden Fragen sind: Wie kann es gelöst werden? Und: Durch wen? Bei der Aufarbeitung am Montag war auch Sportvorstand Stefan Kuntz dabei.

Will mit seiner Erfahrung Hilfestellungen geben: HSV-Sportvorstand Stefan Kuntz. picture alliance/dpa
Der 62-jährige Saarländer hat in seiner Profikarriere sämtliche Drucksituationen erlebt, stand in Abstiegs- und Titelkämpfen, in einem Pokal- und Europameisterschaftsfinale. Am Montagmorgen ist im Rahmen der Analyse des Vortages auch Kuntz vor die Mannschaft getreten. Es geht in den Tagen bis Darmstadt um Hilfestellungen und nicht um Aktionismus. Er sagt: "Wir werden die Abläufe so normal wie möglich halten." Und sie werden in dieser Woche in der Führungsetage, anders als an anderen Zweitligastandorten, auch nicht reflexartig die Karte Trainerwechsel ziehen. Stattdessen beschwört der Boss die Kraft der Köpfe.
Teampsychologin ist nah dran, der Boss erwartet die entscheidenden Schritte von den Profis
Seit seinem Dienstantritt hat er intern immer wieder analysiert, dass große Teile dieses Kaders in den Vorjahren dabei waren, wenn der Weg über die Ziellinie verpasst wurde. Gezielt wurden deshalb mit Davie Selke und Daniel Elfadli Mentalitätsspieler dazu genommen. Reicht das womöglich nicht? Kuntz jedenfalls sagt zu dem sichtbar werdenden Kopfproblem: "Ich bin nicht so richtig überrascht." Und er unterstreicht: "Jeder kann jetzt etwas für seine Zukunft tun - beim HSV, aber auch in seinem späteren Leben." Er will damit ausdrücken, dass nun der Moment gekommen sei, in dem der Einzelne seine Vergangenheit bewältigen kann. Und muss.
Man kann Menschen und Spieler begleiten bis zu einem gewissen Punkt, aber ab einem gewissen Punkt muss jeder den Kampf mit seinen Gedanken selbst führen.
Die Teampsychologin Chiara Behrens de Luna ist wie im zurückliegenden Jahr nah an der Mannschaft, Kuntz aber verdeutlicht: "Es ist wie im normalen Leben: Du kannst zum Psychologen gehen und dir Hilfestellungen geben lassen, aber entscheidend ist, dass du es annimmst und in deinem Leben etwas ändern möchtest. Und genau das ist das Thema, bei dem wir die Jungs unterstützen: Dass sie etwas verändern, der Situation Herr werden und danach auch ihre Karriere mit einem Erfolg weiterführen. Man kann Menschen und Spieler begleiten bis zu einem gewissen Punkt, aber ab einem gewissen Punkt muss jeder den Kampf mit seinen Gedanken selbst führen."
Dass nicht mehr das (machbare) Restprogramm und die (immer noch komfortable) Ausgangsposition entscheidend im Aufstiegskampf sind, sondern allein der Kopf, ist gegen Karlsruhe so deutlich sichtbar wie nie zuvor in dieser Spielzeit geworden. Und Kuntz versucht erst gar nicht, dieses offensichtliche Problem beiseite zu schieben oder klein zu reden. "Der Kopf ist das A und O und mehr wert als Talent in dieser Phase. Aber entscheidend ist: Wir sind keine Opfer. Wir sind diejenigen, die das Heft des Handelns in der Hand halten." Entscheidend wird sein, ob Trainer und Spieler auch wieder zu jener mentalen Verfassung finden, dass in besagtem Heft die monatelang klare und jüngst verwackelte Handschrift nochmal sichtbar wird.
Sebastian Wolff