Die Kolumne „Küchenhilfe“: Das Leibgemüse der Menschheit

vor 8 Stunden 4

Das existenzielle Dilemma des fanatischen Spargelessers beginnt genau jetzt: Ein Drittel der Saison ist vorüber, und bisher sind wir unerschütterlich standhaft geblieben. Wir haben den König der Gemüse immer so puristisch zubereitet, wie es seiner Vornehmheit gebührt, jede Mahlzeit, jede Stange ein Hochamt des authentischsten Geschmacks. Etwas Salz, eine Prise Zucker, wenige Flocken Butter, ein Spritzer Zitronensaft, mehr haben wir nicht an unseren weißen Spargel gelassen. Gekocht, gedämpft, manchmal auch gebraten oder in der Folie im Ofen gegart: So haben wir ihn zubereitet, damit ja nichts sein feines Aroma und edles Gemüt beeinträchtige. Doch jetzt steht uns ketzerisch der Sinn nach Variation, nach Flucht aus dem königlichen Palast des Purismus.

Die ­Liebe des Zwei-Sterne-Kochs Stefan Gschwendtner zum Spargel erwachte erst spät.Die ­Liebe des Zwei-Sterne-Kochs Stefan Gschwendtner zum Spargel erwachte erst spät.24passion

So geht es der Menschheit seit Jahrtausenden, denn der Spargel begleitet uns seit Anbeginn der Zeiten. Im Ägypten der Pharaonen war er die Leibspeise der besseren Stände und ein beliebter Proviant auf der Reise mit Charon ins Reich der Toten. In der Antike rühmte Plinius seinen Geschmack und Hippokrates seine segensreiche Wirkung auf Leib und Seele. Der berühmte Senator Marcus Porcius Cato war sich nicht zu schade, eine Anleitung zum Spargelanbau zu verfassen, der Erzschlemmer Apicius schrieb das erste bekannte Spargelrezept nieder, und der spargelliebende Kaiser Augustus beschloss seine Befehle gerne mit der Wendung „citius quam asparagus coqunatur“ – der Befehl möge schneller ausgeführt werden, als das Garen des Spargels dauert. Jahrhunderte später sollte die größte Lebensleistung des Sonnenkönigs Ludwig XIV. nicht der Bau von Versailles, sondern die Verbreitung des Spargels in ganz Europa werden. Und Giacomo Rossinis persönliche Sternstunde war, wie er einem Verehrer offenbarte, keinesfalls die Uraufführung des „Barbiers von Sevilla“, sondern „die Entdeckung eines neuen Spargelrezepts, das mir soeben gelungen ist“.

Die Verehrung des Spargels – noch erheblich verstärkt dank seiner strikten Saisonalität – ist kein Wunder, denn kaum ein anderes Gemüse tut uns so viel Gutes. Er besteht zwar zu 92 Prozent aus Wasser, aber der Rest ist eine wahre Wundertüte an Wohltaten. Spargel ist blutreinigend, harntreibend, reich an Kalium, Calcium, Magnesium, Phosphor, Eisen und den Vitaminen A, B, C, E, er lindert Rheuma und Arthritis, hilft bei Leiden der Niere, Blase, Milz. Und deswegen darf der Asparagus ganz offiziell den Namenszusatz officinalis ­tragen, der in der Botanik eigentlich ­Arzneipflanzen vorbehalten ist. Die ­Liebe des Zwei-Sterne-Kochs Stefan Gschwendtner zum Spargel konnte erst spät erwachen, denn als Kind verbrachte er mit seinen Eltern einige Jahre in Saudi-Arabien, und dort gab es nur Spargel im Glas, wie sich der Chef der „Speisemeisterei“ in Stuttgart mit Schaudern erinnert. Dafür kostet er jetzt jede Spargelsaison umso gargantuesker aus – mit Rezepten jenseits des Purismus, ganz so, wie es seinem Rang als Spitzenkoch gebührt. Der Bärlauch ist dabei seine Hommage an den Frühling, und das Garen des Spargels mit Rindermark im Vakuumbeutel zieht er dem Kochen im Wasser allemal vor. „So bekommt er einen schönen festen Biss, statt latschig weich zu werden, wobei ihn das Fett des Marks zusätzlich aromatisiert. Und der Vakuumbeutel verhindert, dass der Spargel bitter wird“, sagt Gschwendtner, für den der größte Reiz des Spargels aber seine Saisonalität ist – die beste Methode, um wieder Demut vor den Schätzen der Natur zu lernen.

Rezept Spargel mit Bärlauchcreme

4 Stangen geschälten Spargel (die Zahl kann natürlich beliebig erhöht werden) in 100 g ausgelassenem und geräuchertem Rindermark (beim Metzger kaufen) mit 2 g Salz und 2 g Zucker bei 85 Grad im Vakuumbeutel 15 Minuten garen. Zum Räuchern Buchenspäne in einer Metallwanne anzünden, Rindermark abgedeckt für 10 Minuten in einem Sieb darüberstellen.

Das Rindermark aus dem Vakuumbeutel auffangen und daraus eine Hollandaise herstellen: Dazu 150 g Weißwein, 150 g Weißweinessig, 25 g Noilly Prat, 1 fein geschnittene Schalotte in einem Topf bei kleiner Hitze auf 120 g reduzieren. Dann 120 g Eigelb, 75 g der Reduktion, 1 g Salz, 1 g Zucker über dem Wasserbad aufschlagen. 100 g Rindermark und 30 g ausgelassene Butter auf 60 bis 65 Grad temperieren und langsam in die aufgeschlagene Eigelb-Reduktion-Mischung laufen lassen. Am besten sofort servieren.

Für die Bärlauchcreme 100 g Rapsöl, 4 g Salz, 100 g Bärlauch, 120 g kurz blanchierten Spinat, 250 g gemahlene Mandeln gut mixen.

Für die Salzzitronenvinaigrette 50 g Salzzitronenwasser (es entsteht bei der Herstellung der Salzzitronen), 30 g gehackte Salzzitronen, 80 g weißen Balsamico und 80 g Sushi-Essig gut verrühren, nach Belieben mit etwas Xanthan abbinden.

Für die Bärlauchkapern 1 Teil Wasser, 1 Teil hellen Essig und 1 Teil Zucker mit etwas Senfsaat aufkochen und heiß über die gewaschenen Bärlauchkapern in einem Einmachglas gießen. Das Glas verschließen und im heißen Wasserbad noch mal für 15 Minuten ziehen lassen. In den Kühlschrank stellen, hält sich mehrere Monate.

Die Perlzwiebeln schälen und genauso einlegen wie die Bärlauchkapern.

Für das Brunnenkresse-Öl 450 g Rapsöl auf 80 Grad erhitzen, 300 g Brunnenkresse einmixen. Dann durch ein sehr feines Sieb passieren und herunterkühlen.

Zum Anrichten Spargel anbraten und mit der Salzzitronenvinaigrette überziehen. Bärlauchcreme auf dem Spargel verteilen. Darauf die Bärlauchkapern und die geviertelten Perlzwiebeln anrichten. Mit Brunnenkresse, Kapuzinerkresse, Affillakresse garnieren. Dazu die Hollandaise und das Brunnenkresse-Öl reichen.

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