Helsing und Stark Defence: Wer will deutsche Kampfdrohnen?

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Savage bringt den Tod aus der Luft. Seit Monaten arbeitet der Soldat der 68. Jägerbrigade in einem Kontrollzentrum nahe Pokrowsk, im Südwesten des Frontbogens, der sich durch die Oblast Donezk zieht. Savages echter Name bleibt aus Sicherheitsgründen geheim. Von hier aus weist der Mittdreißiger den Drohnenpiloten seiner Einheit Ziele zu. Sobald die gegnerischen Truppen, Systeme oder Stellungen in Reichweite sind, ergeht der Befehl zum Angriff. Dann stürzt sich ein „Vampir“, so der Name der unbemannten Nachtbomber, auf sie.

Keine Drohnen, keine Ukraine

Wie viele Menschen Savage hat sterben sehen, seit er letztes Jahr in die Armee eintrat, weiß er nicht – nur, dass seine Kameraden in den Stellungen ohne die Drohnen aufgeschmissen wären. „Unersetzlich“ seien sie. Über eine Million Drohnenjäger soll allein die Ukraine eingesetzt haben. 70 Prozent aller Treffer gehen mittlerweile auf ihr Konto. Andere Aufgaben wie Aufklärung oder die Versorgung von Infanteristen in der vordersten Linie sind da noch nicht mitgerechnet. All das lässt sich im vierten Kriegsjahr auf eine simple Formel herunterbrechen: Keine Drohnen, keine Ukraine.

Drohnen gibt es seit Jahrzehnten. Doch erst mit dem Ukrainekrieg sind sie zum Symbol für eine neue Ära der Kriegsführung geworden. Während die Front sich in weiten Teilen kaum verschiebt, tobt im Hintergrund ein Wettlauf zwischen Tüftlern, Ingenieuren und Militärs. Manche Erfahrung aus der Nacht wird in der Ukraine am nächsten Morgen an den Geräten direkt adaptiert. Nichts beschleunigt Innovation stärker als der Kampf ums eigene Überleben.

Deutschland ist auf einen Drohnenkrieg kaum vorbereitet

In Deutschland ist der Krieg noch fern. Von der Landesgrenze bis zum nächstgelegenen Frontabschnitt sind es über 1200 Kilometer. Sicherheitspolitisch ist das kein Grund, sich in Sicherheit zu wiegen. Als NATO-Mitglied ist die Ostflanke des Bündnisses entscheidend. Finnland und die baltischen Staaten grenzen an Russland. Dort testen russische Drohnen bereits seit längerer Zeit den Luftraum der Allianz, ohne, dass jeder Vorfall sich herumspricht. Aus Sicherheitskreisen der betroffenen Länder heißt es, über adäquate Verteidigungsoptionen verfüge man kaum. Dabei drohen die Nadelstiche nur der Anfang zu sein. Europäische Geheimdienste warnen: Bis zum Ende des Jahrzehnts könnte Russland in der Lage sein, einen konventionellen Krieg gegen das Bündnis zu führen – auch mithilfe von Drohnenschwärmen.

Die NATO ist auf sie ebenso wenig vorbereitet wie die Bundeswehr. Das zeigt schon der Blick in den eigenen Bestand: 2024 verfügten die deutschen Streitkräfte gerade einmal über 618 Drohnen, die allesamt nicht für ein solches Szenario vorgesehen sind. Davon fünf bewaffnungsfähig – und selbst diese noch ohne Munition als Folge jahrelanger politischer Verzögerungstaktiken.

Eine neue Gründerzeit in der Rüstungsbranche

Die Politik will das nun ändern. Die Absichtserklärungen in Deutschland sind Legion. An Geld scheitert es nicht mehr, seitdem die Regierung die Schuldenbremse für den Wehretat de facto außer Kraft gesetzt hat.

In der deutschen Rüstungsbranche ist derweil eine neue Gründerzeit angebrochen. Zwei Start-ups stehen dabei im Zentrum der Aufmerksamkeit: Helsing und Stark Defence. Die Hoffnungen, die mit ihnen verknüpft werden, sind groß. Noch während sie sich im Aufbau befinden, werden sie bereits als Garanten für die Bündnis- und Landesverteidigung gehandelt. Im Beschaffungsamt der Bundeswehr in Koblenz testen Mitarbeiter ihre Systeme fleißig. Die Unternehmen hüllen sich in Schweigen. Doch ist es offenkundig, dass mit zumindest einer der beiden Kampfdrohnen das Fundament für die Drohnenbewaffnung der deutschen Streitkräfte gelegt werden soll. Und die führenden Vertreter beider Firmen tun mit forschem Auftreten ihr Übriges, um diesen Anspruch zu verstärken.

 6000 Stück für die Ukraine sind bestelltDie sogenannte Resilience Factory von Helsing: 6000 Stück für die Ukraine sind bestelltHelsing

„Zum Schutze unserer Demokratien“ prangt in großen Lettern auf der Homepage von Helsing. Das Münchner Unternehmen ist der ältere der beiden Anbieter. Als Softwarefirma 2021 gegründet, hat es mittlerweile schon zwei Kampfdrohnen entwickelt. Für die erste, die HF-1, arbeitete Helsing noch mit einem ukrainischen Partner zusammen. Für den Nachfolger, die HX-2, setzt man ganz auf sich. Laut Unternehmensinformationen ist der X-Flügler in der Lage, bei einem Gewicht von zwölf Kilogramm bis zu 100 Kilometer weit und bis zu 220 Kilometer in der Stunde schnell zu fliegen. Durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz soll die HX-2 immun gegen gegnerische Störmaßnahmen sein und mithilfe entsprechender Munition auch geschützte Ziele wie Panzer treffen können. 6000 Stück produziert Helsing für die Ukraine. Doch die Erwartungen sind deutlich ambitionierter.

Mit einer Bewertung von fünf Milliarden Euro zählt Helsing inzwischen zu den wertvollsten Start-ups Europas. Der Kurs zielt klar auf Wachstum. Die erste „Resilienzfabrik“ auf deutschem Boden wurde im Süden Deutschlands in Betrieb genommen, weitere sollen folgen, um im Konfliktfall Zehntausende Einheiten pro Monat produzieren zu können. Die Liste der ausgeschriebenen Stellen auf der Homepage ist entsprechend lang und reicht von A wie „AI Research Engineer“ bis V wie „V&V Systems Engineer“.

2024 gegründet und schon enorme Nachfrage

Die Geschichte von Stark Defence, einem Ableger der Firma Quantum Systems, ist noch kürzer. Das Technologieunternehmen, erst im vergangenen Jahr gegründet, verfügt bis heute über einen puristischen Internetauftritt. Auf Außenwirkung kann das Rüstungs-Start-up freilich verzichten, denn die Nachfrage ist auch ohne sie enorm. Mit OWE-V („One Way Effector – Vertical“) Virtus haben die Münchner ihre erste Kampfdrohne entwickelt. Äußerlich lässt sie sich für den Laien kaum vom Konkurrenzprodukt von Helsing unterscheiden. Wie die HX-2 kann auch sie Ziele in einer Distanz von bis zu hundert Kilometern erreichen. Allerdings verfügt sie über einen entscheidenden Vorteil. Die Virtus muss nicht zwingend ein Ziel finden. Sie kann senkrecht starten – und auch wieder landen. Sie muss also nicht zwingend als Kamikazedrohne eingesetzt werden, sondern kann ein Gebiet oder ein Ziel auch einfach aufklären und anschließend zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren.

 Kampfdrohne Stark OWE-V Virtus von Stark Defence, ebenfalls MünchenKann senkrecht starten und auch wieder landen: Kampfdrohne Stark OWE-V Virtus von Stark Defence, ebenfalls MünchenStark Defence

Mit ihren Kamikazedrohnen bewegen sich die beiden Hersteller in einem engen Segment, irgendwo zwischen den störanfälligen Wegwerfdrohnen, die hunderttausendfach in der Ukraine zum Einsatz kommen, und sehr viel teureren und reichweitenstärkeren Langstreckenkampfdrohnen, die bereits an der Schwelle zum Marschflugkörper zu verorten sind.

Mittlerweile sind auch die großen europäischen Rüstungskonzerne in den Drohnenrausch eingestiegen. Allerdings warnen Fachleute davor, die Rolle der unbemannten Flugkörper zu überschätzen. Bestellungen sind bislang Mangelware, und auch aus dem NATO-Hauptquartier in Brüssel gibt es keinerlei Zeichen, dass strategische und operative Planungen für die Verteidigung des Bündnisses grundsätzlich verändert würden. Der deutsche Militärforscher Christian Mölling zeigt sich davon wenig überrascht. „Die kleinen Kampfdrohnen sind kein Allheilmittel und eigentlich ein Notnagel – weil der Westen nicht ausreichend Artilleriegranaten geliefert hat. Die Ukraine war gezwungen, auf die schlechtere, aber verfügbare Drohnenmunition auszuweichen“, sagt er im Gespräch mit F.A.Q.

Eine Geschichte aus dem Frankfurter Allgemeine Quarterly, dem Zukunftsmagazin der F.A.Z.

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Auf der taktischen Ebene könnten sie das Set der eingesetzten Systeme künftig zwar ergänzen, ebenso wie Aufklärungsdrohnen und Drohnenabwehrsysteme. Entscheidend aber bleibe, dass die NATO so kämpfen könne, wie sie es wolle: in Bewegung, im Gefecht der verbundenen Waffen. Der Stellungskrieg in der Ukraine, ein solches Szenario gelte es zu vermeiden. Ein „Drohnenwall“, der mit Hunderttausenden vorproduzierten – und rasch veraltenden – Geräten auf einen aufmarschierenden Gegner wartet, von so einer Vorstellung hält Mölling nichts. Und auch Savage sagt, bei der Geschwindigkeit, in der sich die Drohnentechnologie aktuell verändert, würde er vor allzu großer Lagerhaltung warnen. Wenn überhaupt, ließen sich Bauteile wie Kommunikationsmodule, Batterien oder Bewaffnung horten und wie Lego bei Bedarf schnell zusammenbauen – oder eben austauschen.

Mit den Drohnen der deutschen Start-ups hat Savage noch nicht gearbeitet. Bei den Versprechen der Hersteller, mithilfe von Künstlicher Intelligenz autonom ihre Ziele ausfindig machen zu können, ist sein erstes Urteil eindeutig: „Das klingt gut.“ Auf einen dauerhaften Erfolg der deutschen Modelle würde er aber ebenso wenig wie Mölling setzen. Gegen kleine Kampfdrohnen, da sind sich der Soldat in der Ukraine und der deutsche Militärforscher einig, gibt es effektivere Mittel als eigene Drohnen: Tarnnetze, Kanonen – und künftig wohl auch Laser. Vielleicht steht die nächste Revolution bereits bevor. 

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