Harvard-Professor Bronski über Trump: „Man darf einem Bully nicht nachgeben“

vor 2 Tage 11

Herr Professor Bronski, Sie forschen an der Universität Harvard über Aktivismus und die Geschichte politischer Bewegungen. Der Konflikt zwischen Harvard und der Regierung von Donald Trump hat sich in den letzten Wochen stark zugespitzt. Zuletzt wurde behauptet, der Brief mit den Forderungen an Harvard könnte versehentlich in der bekannten Fassung versendet worden sein. Inzwischen klagt die Hochschule gegen die Regierung.

Ich glaube nicht, dass große Unklarheit darüber herrscht, ob die Briefe versehentlich verschickt wurden oder nicht. Mir scheint jedenfalls klar, dass diese Behauptung der Regierung schlicht und ergreifend eine Lüge ist. Alles, was die Regierung nach dem Versand des Briefes getan hat, wie die Drohungen gegen internationale Studenten, entspricht völlig dem Inhalt und der Absicht des ursprünglichen Briefes. Deshalb ist die Klage der Universität gegen die Regierung so dringend notwendig.

Wie ist die Stimmung an der Universität?

Seit Präsident Garber sich gegen die Regierung gestellt hat, ist die Stimmung sehr gut, sehr kämpferisch. Heute gab es eine große Kundgebung, und an diesen Protesten nehmen Professoren und Studenten aus unterschiedlichen Fakultäten teil. Das ist ein sehr gutes Zeichen. Ich denke, es ist gut, wenn wir als Fakultäten geschlossen hinter der Universität stehen. Andererseits ist die Lage für die Studenten und auch für die Professoren sehr belastend. Niemand weiß, wie das Ganze ausgehen wird, vor allem mit der neuen Drohung, dass Harvard keine internationalen Studenten mehr aufnehmen dürfen soll. Wobei ich glaube, dass das nur eine weitere leere Drohung ist.

Wie wirkt sich die Politik der Regierung auf Ihre Forschung und Lehre aus?

Es kommt immer darauf an, welchen Teil der Bedrohung man sich anschaut. Nehmen wir das Einfrieren der Finanzierung: Trump kürzt Harvard 2,2, am Ende möglicherweise bis zu neun Milliarden US-Dollar an staatlichen Geldern. Das betrifft zu einem großen Teil die medizinische Fakultät. Meist geht es da um mehrjährige Verträge. All das kann auf lange Sicht verheerend sein, aber nichts davon beeinflusst den täglichen Unterricht unmittelbar, zumindest noch nicht heute. Die eigentliche Belastung besteht darin, dass Professoren wie Studenten jeden Tag mit diesem unnötigen Stress leben müssen. Wir alle sorgen uns weniger um das Geld. Nach allgemeiner Meinung besteht die realistische Chance, dass die angedrohten Maßnahmen von Richtern wieder aufgehoben werden. Nehmen Sie die Drohung, Harvard die Steuerbefreiung zu entziehen. Die Regierung hat überhaupt kein Recht, das zu tun. Es ist unvorstellbar, dass Harvard die Steuervergünstigungen verlieren könnte, während gleichzeitig zahlreiche Kirchen, die sich politisch äußern, und christliche Universitäten ihre Steuerbefreiung behalten.

 Michael BronskiGeschult im Widerstand: Michael Bronskiprivat

Wie geht es Ihren Studenten?

Ich habe ein Seminar mit sechzig Studenten, und ich glaube, drei davon sind internationale Studenten. Ich weiß, dass es sehr, sehr belastend für sie ist. Wir hatten letzte Woche ein Treffen am Institut, be dem empfohlen wurde, dass wir die Türen zu unseren Seminarräumen geschlossen halten sollen, weil ICE (die Einwanderungsbehörde) ohne Durchsuchungsbefehl nicht reinkommen darf. Es soll nächste Woche ein weiteres Treffen geben, bei dem es darum geht, was zu tun ist, falls ICE tatsächlich kommt. Das ist natürlich extrem belastend, besonders für die ausländischen Studenten.

Wie äußert sich dieser Stress bei Ihnen selbst, Ihren Kollegen und Ihren Studenten? Was hören Sie von ihnen?

Nun, ich höre viel Wut von den Leuten – und wissen Sie, Wut ist gut. Sie führt zu Widerstand. Andererseits geht im Moment viel Energie verloren für das, was wir eigentlich tun sollten: forschen, lehren, schreiben, oder einfach mit Studenten über andere Dinge sprechen.

Trump will im Grunde die kritische Geschichtsschreibung abschaffen, die auch Sie mit Büchern wie „The Queer History of the United States“ betreiben. Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Forschung davon betroffen ist oder sein wird?

Ich unterrichte gerade einen Kurs mit dem Titel „Power to the People, Black Power, radikaler Feminismus und Gay Liberation“. Meine Forschung hängt nicht von großen Fördergeldern ab. Und ich veröffentliche bei einem sehr liberalen Verlag. Niemand wird mir sagen, dass ich etwas nicht sagen darf. Allerdings macht mich die Lage extrem sensibel dafür, wie ich kontextualisiere. Wenn ich zum Beispiel über die Rechte von Transgender-Personen schreibe oder spreche, setze ich das bislang Erreichte nicht mehr als selbstverständlich voraus. Und auch Studenten, die trans sind, sind extrem belastet. Harvard hat hier in gewisser Hinsicht nachgegeben und ich weiß nicht, wie sie das hätten vermeiden können. Sie haben Sportlerinnen und Sportler, die trans sind, von den Teams ausgeschlossen. Und im Februar hatte der Harvard Gesundheitsdienst ein Panel über die medizinische Versorgung von Personen, die trans sind, abgesagt. Die Veranstaltung fand dann doch statt. Aber es ist klar, dass queere Studenten sich fühlen, als müssten sie ständig auf der Hut sein.

Sie sagen, niemand wird Ihnen vorschreiben, was Sie sagen dürfen. Das klingt, als hätten Sie großes Vertrauen in die Meinungsfreiheit, die Freiheit der Wissenschaft, letztlich die Institutionen. Sie wirken nicht panisch.

Ich bin besorgt und ich glaube nicht, dass irgendetwas an dieser Situation gut ist. Aber Panik ist keine hilfreiche Reaktion. Was mich wirklich beunruhigt – nicht in Panik versetzt, aber zutiefst beunruhigt – ist, dass das alles so planlos und willkürlich abläuft. Man weiß einfach nicht, was Trump als Nächstes sagen oder fordern wird. Der Columbia Universität hat er Ultimaten gestellt, sie haben nachgegeben, dann kam er mit noch härteren Ultimaten. Harvard hat Nein gesagt, und daraufhin hat er ein noch absurderes Ultimatum hinterhergeschoben. Kein College wird zum Beispiel freiwillig seine Studentendaten an die Regierung aushändigen.

 Studenten, Dozenten und Mitglieder der Harvard-Universität versammeln sich am 17. April in Cambridge.Feindbild Orange: Studenten, Dozenten und Mitglieder der Harvard-Universität versammeln sich am 17. April in Cambridge.dpa

Haben Sie weiterhin Vertrauen, dass die Universitäten Widerstand leisten werden, dass sie nicht gezwungen werden können, und dass letztlich die Institutionen funktionieren – zum Beispiel die Gerichte, die Trump bremsen könnten?

Ja, das glaube ich. Ich denke, es gibt viel Widerstand. Ich will nicht zu naiv klingen, aber ich halte es für wichtig, sich auf die positiven Entwicklungen zu konzentrieren und nicht im Sumpf der Hoffnungslosigkeit zu versinken. Jetzt schließen sich andere Universitäten Harvard an, auch Columbia hat den Ton geändert. Das erste Gesetz auf dem Schulhof lautet: Man darf einem Bully nicht nachgeben. Und ich bin optimistisch. Ich sehe gar keine andere Möglichkeit als Optimismus.

Viele amerikanische Colleges immatrikulieren auch Menschen ohne Papiere, darunter sogenannte „Dreamers“, die als Kinder hergekommen sind. Kennen Sie solche Studenten, die vermutlich jetzt am meisten Angst haben, und wissen Sie, was die Hochschule für sie tut?

Ich weiß, dass wir hier eine ganze Reihe von „Dreamers“ haben. Ich kenne allerdings keine persönlich aus meinem eigenen Seminar, auch deshalb, weil es keinen Anlass gibt, so etwas offen zu deklarieren. Aber ja, das sind genau die Studenten, die jetzt in besonderer Gefahr sind. Auch wenn wir uns selbst vielleicht nicht so viele Sorgen um direkte Zensur unserer Forschung machen müssen, so müssen wir uns doch sehr um diejenigen sorgen, die am verletzlichsten sind: Einwanderer, Transgender-Personen und andere marginalisierte Gruppen.

Viele der Bewegungen, die Sie erforscht haben standen auch vor scheinbar unüberwindbaren Hindernissen. Können diese Bewegungen uns etwas darüber lehren, wie man mit der aktuellen Situation umgehen sollte, und wie eine Protestbewegung, die gerade erst anfängt, aussehen könnte?

Ja, das glaube ich. Ich habe ich mir für dieses Semester vorgenommen, mich auf die Bewegungen und das Material zu konzentrieren. Ich werde das, was gerade passiert, nicht explizit ansprechen, auch wenn natürlich die Parallelen in jedem Moment offensichtlich sind. Ich habe beispielsweise über das Konzept des Terrorismus gesprochen, darüber, wie die Black Panther Party und Black Lives Matter als Terroristen bezeichnet wurden. Und gestern kamen zwei Studenten zu mir und sagten, was ihnen am meisten an dem Kurs bedeute, sei, dass er sie wirklich dazu gebracht habe, systematisch darüber nachzudenken, wie Bewegungen funktionieren. Ich glaube nicht, dass sie dabei konkrete Taktiken gelernt haben. Aber die Auseinandersetzung mit den Bewegungen hat ihnen einen systematischen Blick auf Politik und Aktivismus eröffnet.

Können Sie ein Beispiel dafür geben, was Menschen heute aus diesen Bewegungen lernen könnten?

Man muss immer laut sein. Man muss immer konfrontieren. Keine Bewegung hat jemals etwas erreicht, weil die Mächtigen freiwillig auf ihre Macht verzichtet hätten. Man muss Wege finden, sich die Macht zurückzuholen. Ich möchte, dass meine Studenten lernen, wie sie ihre eigene Macht verstehen, wie sie diese Macht steigern können, wie sie das Gefühl entwickeln, dass sie das Recht haben, Macht zu besitzen. Denn Macht existiert nicht einfach so. Macht existiert, weil wir daran glauben, dass wir sie haben.

Manche Wissenschaftler sagen, dass es sich jetzt schon um eine Form von Faschismus handelt. Stimmen Sie dem zu? Und wenn ja, wie könnte man dagegen Widerstand leisten?

Es ist sehr verführerisch, Begriffe wie Faschismus zu verwenden. Auch ich verspüre diese Versuchung, aber ich versuche, ihr zu widerstehen, weil diese Begriffe sehr spezifisch historisch geprägt sind – etwa durch Deutschland oder Italien. Begriffe wie Faschismus sind so stark aufgeladen und so mächtig, dass sie auf lange Sicht wenig hilfreich sind. Ähnlich ist es mit dem Begriff Apartheid, wenn er auf Israel angewendet wird. Auch wenn es im Westjordanland vielleicht Parallelen gibt, verwirrt der Begriff oft mehr, als er klärt, weil Apartheid so eng mit Südafrika verbunden ist. Und ich empfinde das auch beim Wort Faschismus so.

Welchen Begriff verwenden Sie stattdessen für Trumps Regierung?

Autoritarismus. Das ist ein weniger spezifischer, aber sehr treffender Begriff.

 Proteste gegen staatliche Einflussnahme in Cambridge am 12. April„Aufstehen gegen Mobber“: Proteste gegen staatliche Einflussnahme in Cambridge am 12. AprilReuters

Sehen Sie die Gefahr von Gewalt beim Widerstand gegen autoritäre Regierungen? Einige sagen, Trump warte nur auf einen Anlass, um das Kriegsrecht auszurufen, etwa, wenn ein Protest gewaltsam wird.

Darüber wird viel gesprochen, und das ist auch berechtigt. Ich glaube, dass er tatsächlich auf so eine Gelegenheit wartet. Ich wähle meine Worte hier sehr sorgfältig: Gewalt sollte niemals als bevorzugte Strategie betrachtet werden. Und ich glaube auch nicht, dass Gewalt im Großen und Ganzen viele Probleme löst. Das eigentliche Problem ist, dass die Wahrnehmung einer drohenden Gewalt von Seiten der Minderheiten sehr viel präsenter ist als das tatsächliche Gewaltpotential dieser Gruppen. Wenn man zum Beispiel an die Black Panthers denkt – sie werden bis heute als gewalttätige Gruppe erinnert, obwohl sie sich nur zur Selbstverteidigung bewaffnet haben. Wir sehen bereits jetzt, wie das, was als Gewalt gilt, umdefiniert wird. Jemand zündet Teslas an, und das wird als Hassverbrechen eingestuft. Aber ganz gleich, wie man das Abbrennen von Autos bewertet – es ist kein Hassverbrechen. Ein Hassverbrechen richtet sich gegen Menschen oder Gruppen, nicht gegen Sachen. Die eigentliche Gefahr wird sein, wie die Regierung auf das reagiert, was sie als Gewalt wahrnimmt. Trump könnte tatsächlich auf ein Ereignis warten, das er als Provokation oder Bedrohung deuten kann, um dann härter durchzugreifen und die Lage zu eskalieren.

Was sollte eine Institution wie Harvard als nächstes tun? Die Hochschule klagt ja jetzt.

Ich bin eigentlich kein großer Fan von Klagen, aber das ist nun einmal der Weg, auf dem man diese Dinge bekämpft. Und es stimmt, die Gerichte sind im Moment das Wichtigste. Aber wir sollten uns nichts vormachen: Auch Gerichte und andere Institutionen werden durch öffentliche Proteste beeinflusst. Denke wir an den Vietnamkrieg: Selbst das Militär hat sich letztlich durch die anhaltenden Demonstrationen beeinflussen lassen, obwohl es sich anfangs strikt dagegen gewehrt hat. Es gibt das Gericht der öffentlichen Meinung. Es ist sehr wichtig, dass immer mehr Menschen sich zeigen und Widerstand leisten. Dafür gibt es viele Wege: Demonstrationen, offene Briefe, Petitionen, Regionalpolitik. Zum Beispiel hatte der Stadtrat von Cambridge Präsident Garber vorher offiziell aufgefordert, sich gegen Trump zu stellen. Es wäre ein Fehler, alles den Juristen zu überlassen – aber vieles davon wird am Ende doch vor Gericht ausgefochten werden.

Wie bewerten Sie es, dass in dem Kampf, den Trump gegen die Universitäten führt, Antisemitismus als Argument eingesetzt wird?

Es gibt keinen Zweifel daran, dass Antisemitismus existiert. Aber für Trump und seine Regierung ist das ganz klar ein Vorwand. Ich finde es sehr aufschlussreich, dass selbst führende Persönlichkeiten nationaler jüdischer Organisationen inzwischen sagen, dass Antisemitismus als Waffe benutzt wird. Wenn es Trump wirklich um Antisemitismus ginge, müsste er ein Viertel seiner eigenen Regierung entlassen – all die Leute, die entweder selbst antisemitische Aussagen gemacht haben oder Gäste in ihren Sendungen auftreten lassen, die solche Dinge sagen. Die meisten Leute an Harvard und die Mehrheit der Amerikaner können gut unterscheiden zwischen Antisemitismus und legitimer Kritik an der israelischen Politik. Natürlich ist Antisemitismus auf dem Campus ein Thema, über das man reden muss. Aber ganze Institute als antisemitisch zu bezeichnen, wie es die Regierung tut, ist nicht hilfreich. Es ist einfach nur nützlich für deren politische Agenda.

Wie blicken Sie in die Zukunft? Haben Sie jemals selbst das Gefühl, das Land verlassen zu wollen?

Nein, ganz und gar nicht. Ich plane, hier weiterhin zu unterrichten, und ich habe fest vor, das auch noch mindestens fünf weitere Jahre zu tun.

Kann sich das Land von dem, was gerade passiert, wieder erholen?

Ja, das glaube ich. Ich glaube nicht, dass Trump eine Chance auf eine dritte Amtszeit hat. In eineinhalb Jahren stehen die Midterm-Wahlen an. Es gibt also nicht nur die Möglichkeit zur Veränderung, an die ich ohnehin immer glaube, sondern es gibt auch einen festgelegten Zeitplan für Veränderung innerhalb des Systems. Das Problem ist: Viele Menschen werden in der Zwischenzeit leiden. Und das ist, ehrlich gesagt, der eigentliche Horror an der Sache: das Ausmaß an menschlichem Leid, ob es nun Einwanderer sind, Menschen, die trans sind, oder ausländische Studenten. Oder Studenten, die das Gefühl haben, im Unterricht nicht mehr frei sagen zu können, was sie möchten. In Harvard sind wir überzeugt, völlige Redefreiheit zu haben. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das an staatlichen Universitäten ebenso gilt – und an religiösen Hochschulen erst recht nicht.

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