Die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt in Deutschland hat im vergangenen Jahr deutlich zugenommen. Innenministerien und Landeskriminalämter der 16 Bundesländer gaben laut »Welt am Sonntag« an, dass bundesweit mehr als 266.000 Opfer von der Polizei registriert wurden. Das entspricht einem Anstieg von etwa vier Prozent gegenüber dem Jahr 2023. Als Täter werden Partner, Ex-Partner und Familienangehörige erfasst. Zwei Drittel der Opfer sind Frauen.
Die Dunkelziffer ist hoch, weil sich viele Betroffene nicht trauen, Anzeige zu erstatten. Zugleich können die Zahlen auch dadurch steigen, dass mehr Opfer als zuvor die Gewalttaten auch anzeigen und sich das tatsächliche Gewaltbild damit stärker offenbart.
Da die Minister Alexander Dobrindt (Inneres, CSU) und Karin Prien (Familie, CDU) gerade ihr Amt angetreten haben, werden die Zahlen voraussichtlich erst im Sommer offiziell vorgestellt. Diese fließen in das Lagebild »Häusliche Gewalt 2024« ein, das vom Bundeskriminalamt (BKA) erstellt wird.
Eine Auswahl der Länder zeigt teils deutliche Unterschiede. So verzeichnet Niedersachsen den stärksten Zuwachs, Mecklenburg-Vorpommern einen Rückgang.
Starke Anstiege:
Niedersachsen plus 12,3 Prozent (30.209 Opfer)
Schleswig-Holstein plus 8,8 Prozent (9342 Opfer)
Baden-Württemberg plus 8,7 Prozent (27.841 Opfer)
Thüringen plus 7,5 Prozent (7040 Opfer)
Brandenburg plus 7,4 Prozent (6790 Opfer)
Sachsen-Anhalt plus 6,0 Prozent (8735 Opfer)
Geringste Anstiege:
Rückgänge:
Mecklenburg-Vorpommern minus 1,6 Prozent (5249 Opfer)
Saarland minus 2,7 Prozent (3890 Opfer)
Bremen/Bremerhaven minus 3,7 Prozent (3514 Opfer)
Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) sagte der Zeitung dazu: »Die steigende Zahl der Fälle häuslicher Gewalt treibt mich massiv um. Gewalt in den eigenen vier Wänden ist keine Privatsache – es sind Straftaten, gegen die der Staat entschieden vorgehen muss.« Auch Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) sieht die Entwicklung bei der häuslichen Gewalt mit großer Sorge. »Wir müssen als Gesellschaft hinschauen und handeln.« Nur gemeinsam sei dem Tabu-Thema zu begegnen und die Stigmatisierung von Opfern zu beenden.
Elektronische Fußfessel könnte für ganz Deutschland kommen
Hessen und Sachsen setzen bereits eine elektronische Fußfessel für Täter ein. Niedersachsen gehört zu den Bundesländern, die dies bald gesetzlich verankern wollen. Vorbild ist Spanien: Dort müssen Gewalttäter eine Fußfessel tragen. Mithilfe von GPS-Empfängern, die der Täter und auch die bedrohte Person mit sich führen, wird die räumliche Distanz zwischen ihnen überwacht. Kommt der Täter dem potenziellen Opfer zu nahe, wird ein Alarm ausgelöst und die Polizei informiert.
Für ganz Deutschland fehlt bisher eine solche Regelung auf Bundesebene. Das will die neue schwarz-rote Regierungskoalition von Kanzler Friedrich Merz (CDU) nun ändern. »Das Bundesjustizministerium muss kurzfristig einen praktikablen Entwurf vorlegen«, fordert Günter Krings, der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion. Nötig sei eine »bundeseinheitliche Regelung, damit Familiengerichte das Tragen einer Fußfessel für Täter anordnen können.« Das Gewaltschutzgesetz, das diese Möglichkeit bisher nicht enthalte, müsse entsprechend geändert werden.
Elke Ronneberger, Vorständin Sozialpolitik bei der Diakonie, bezeichnet den erneuten Anstieg von häuslicher Gewalt als erschreckend. »Dies macht deutlich, wie wenig tragfähige Präventionsmaßnahmen von der Bundespolitik in den vergangenen Jahrzehnten umgesetzt wurden«, sagte sie der Zeitung.
Die Diakonie sehe den Einsatz einer Fußfessel allerdings kritisch. Im Einzelfall könne diese zwar »als ergänzende Maßnahme« sinnvoll sein, aber sie wirke erst zu einem »sehr späten Zeitpunkt«. Erforderlich ist laut Ronneberger vor allem ein besser ausgebautes Hilfesystem mit Frauenhäusern und Fachberatungsstellen.
Auch die Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Eva Maria Welskop-Deffaa, bedrückt die erneut gestiegene Opferzahl. Es brauche »einen gesellschaftlichen Konsens, dass Gewalt in Paarbeziehungen kein Kavaliersdelikt ist«.