"Tag der Befreiung": Steinmeier beklagt Geschichtsvergessenheit in Deutschland

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"Nicht aus unserer Geschichte zu flüchten", forderte der Bundespräsident zum Weltkriegsgedenken. Die Politik Russlands und der USA sei ein "doppelter Epochenbruch".

8. Mai 2025, 16:48 Uhr Quelle: ZEIT ONLINE, AFP, dpa, KNA,

 Anke Rehlinger, Ministerpräsidentin des Saarlands und amtierende Bundesratspräsidentin, Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, Bundeskanzler Friedrich Merz und Stephan Harbarth. An der Neuen Wache legten sie einen Kranz nieder.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier steht zwischen den Repräsentantinnen und Repräsentanten der Verfassungsorgane des Bundes: Anke Rehlinger, Ministerpräsidentin des Saarlands und amtierende Bundesratspräsidentin, Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, Bundeskanzler Friedrich Merz und Stephan Harbarth. An der Neuen Wache legten sie einen Kranz nieder. © Bernd von Jutrczenka/​dpa

Anlässlich des 80. Jahrestages des Weltkriegsendes hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) auf aktuelle politische Herausforderungen aufmerksam gemacht. Den Angriffskrieg Russlands und den "Wertebruch" der USA unter Präsident Donald Trump bezeichnete Steinmeier in der Gedenkstunde im Bundestag als "doppelten Epochenbruch". Dieser markiere das Ende des "langen 20. Jahrhunderts".

"Aber dass sich nun ausgerechnet auch die Vereinigten Staaten, die diese Ordnung maßgeblich geprägt haben, von ihr abwenden, ist eine Erschütterung von ganz neuem Ausmaß", fügte der Bundespräsident hinzu. Man sehe mit Schrecken, "dass selbst die älteste Demokratie der Welt schnell gefährdet sein kann, wenn die Justiz missachtet, die Gewaltenteilung ausgehebelt, die Freiheit der Wissenschaft angegriffen wird".

Der russischen Regierung warf der Bundespräsident "Geschichtslügen" vor, weil er seinen Krieg gegen die Ukraine als "Fortsetzung des Kampfes gegen den Faschismus" deklariere. "Putins Angriffskrieg, sein Feldzug gegen ein freies, demokratisches Land, hat nichts gemein mit dem Kampf gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft im Zweiten Weltkrieg", sagte Steinmeier.

Zugleich würdigte der Bundespräsident in seiner Rede den Beitrag der Roten Armee zur Befreiung Deutschlands: "All das vergessen wir auch nicht." Er sprach über den Verdienst von "Russen, Ukrainern, Weißrussen, allen, die in ihr gekämpft haben".

Steinmeier warnte vor "extremistischen Kräften" in Deutschland

Die Lehre für Deutschland sieht der Bundespräsident in einem stärkeren militärischen und diplomatischen Engagement. "Wir müssen militärisch stärker werden, aber nicht um Krieg zu führen, sondern um Krieg zu verhindern", sagte er. "Nicht um Diplomatie zu ersetzen, sondern um sie glaubhaft zu machen – mit einer aktiven Außenpolitik, die Diplomatie nicht denen überlässt, die nur eigennützige Machtinteressen verfolgen."

Allerdings gewännen auch in Deutschland und Europa "die Faszination des Autoritären und populistische Verlockungen" Raum, warnte Steinmeier. "Extremistische Kräfte" vergifteten die Debatten, "spielen mit den Sorgen der Menschen" und hetzten sie gegeneinander auf.

Ohne die AfD namentlich zu nennen, warnte das Staatsoberhaupt vor Geschichtsvergessenheit in Deutschland. Er selbst wundere sich manchmal über die Hartnäckigkeit, "mit der manche, leider auch in diesem Hause, einen sogenannten Schlussstrich unter unsere Geschichte und unsere Verantwortung fordern", sagte Steinmeier. "Flüchten wir nicht aus unserer Geschichte. Werfen wir ihre Lehren gerade dann nicht über Bord, wenn sie uns etwas abverlangen."

Klöckner macht auf sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe aufmerksam

Auch Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) sprach anlässlich der Gedenkstunde. Sie hob das Leid der Frauen und Mädchen hervor. "Sie sind häufig die übersehenen Opfer eines jeden Krieges", sagte Klöckner. Auch in Deutschland hätten sie "viel Leid ertragen, sexuelle Übergriffe, im und auch nach dem Krieg".

"Natürlich waren Frauen im Zweiten Weltkrieg nicht frei von Schuld", sagte die CDU-Politikerin weiter. Dennoch müsse ihnen im Gedenken an die Gräuel des Krieges Raum gegeben werden. Klöckner betonte "auch die unglaubliche Kraft, mit der diese Frauen ums Überleben kämpften und entscheidend zum Wiederaufbau beitrugen".

Klöckner zog zudem Parallelen zum derzeitigen Krieg in der Ukraine. Russlands Präsident Wladimir Putin rechtfertige seine Aggression mit dem Kampf gegen den Faschismus von damals, sagte sie. "Was für ein Missbrauch der Geschichte." Auch in der Ukraine würden heute wieder "Mädchen und Frauen zu Opfern sexualisierter Gewalt, eingesetzt als Kriegswaffe", sagte Klöckner.

In Westeuropa wird der 8. Mai 1945 in Erinnerung an die Kapitulation der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus gefeiert. In Russland gilt der 9. Mai als Tag des Sieges über Nazideutschland, er wird alljährlich mit einer Militärparade in Moskau gefeiert.

Weiteres über die offiziellen Gedenkfeierlichkeiten zum Weltkriegsende können Sie in unserem Liveblog mitverfolgen.

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