Geschichte wiederholt sich nicht, aber sicher ist sicher. Wenn sich ab Sonntag die Staats- und Regierungschefs von sieben großen Industrienationen (G 7) in Kanada versammeln, ist von vornherein klar, was es nicht geben wird: eine hochtrabende Abschlusserklärung. 2018, als zuletzt ein G-7-Gipfel in Kanada abgehalten wurde, war das gründlich schiefgegangen. Der US-Präsident, auch damals Donald Trump, hatte erst zugestimmt, und kurz darauf per Twitter alles widerrufen. Diesmal wollen die Gastgeber nichts riskieren. Nur ein paar Erklärungen zu Sachthemen sind geplant.
Damals entstand ein ikonografisches Foto. Es zeigt Donald Trump, der mit verschränkten Armen hinter einem Tisch sitzt. Ihm gegenüber die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich dem US-Präsidenten stehend entgegen lehnt, mit dem Blick einer Lehrerin, die einem bockigen Achtklässler gleich mal ordentlich die Leviten zu lesen gedenkt.
Dass Friedrich Merz gelegentlich sehr ähnliche Gefühle heimsuchen, wenn seine Gedanken zu Trump und dessen ersten Monaten im wieder errungenen Amt schweifen, ist gut möglich. Dass er ihnen nachgeben wird, wenn er am Sonntag ins kanadische Kananaskis aufbricht, darf dagegen als ausgeschlossen gelten.
Trump soll dazu bewegt werden, Druck auf Präsident Putin auszuüben
Schon bei seinem Besuch in Washington vor zwei Wochen hat der Kanzler die vermutlich einzig taugliche Taktik im Umgang mit dem unberechenbaren US-Präsidenten recht erfolgreich getestet: keinen Streit anfangen, die eigene Position klarmachen, wenn sich dazu eine günstige Gelegenheit ergibt, ihn ansonsten aber reden lassen. Auch wenn es zu dem, was er sagt, einiges anzumerken gäbe.
„Das Wichtigste ist, dass wir es schaffen, als G7 ein Signal der Einigkeit zu senden“, heißt es nun in deutschen Regierungskreisen. Nachdem das Treffen von Merz und Trump im Weißen Haus „harmonisch verlaufen“ sei, stehe jetzt der nächste Test an: „wie es in einer Teamsituation aussieht und wie gut es den G7 gelingt, diesen Teamgeist auch nach außen zu tragen“. Ein wenig Sorge herrscht, ob die diversen Sitzungen die Geduld und Konzentrationsfähigkeit Trumps nicht allzu sehr strapazieren. Der Teamgeist dürfte ohnehin auf eine harte Probe gestellt werden. Seit dem israelischen Angriff auf Iran ist die internationale Lage noch einmal angespannter. Außerdem bleibt Trump unberechenbar, wenn es um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geht.
Das Ziel der Kanadier und Europäer ist es, Trump zu Druck auf Kremlchef Wladimir Putin zu bewegen. Die EU-Kommission arbeitet an einem 18. Sanktionspaket, aber wenn nicht auch die USA mitziehen, wird seine Wirkung wohl verpuffen. Der US-Senat wiederum, so wird es in Berlin gesehen, wird seine aktuelle Sanktionsinitiative nur dann durchbringen, wenn Trump dafür grünes Licht gibt. Wichtig wäre darüber hinaus, dass sich die G7 auf eine Senkung des Ölpreisdeckels verständigten. Bislang gilt eine Obergrenze von 60 US-Dollar je Barrel für russische Öl-Exporte. Diese solle nach dem Willen der Europäer auf 45 Dollar gesenkt werden, was Russland empfindlich treffen könnte.
Die US-Zollpolitik ist der wirtschaftspolitische Elefant im Raum
Geplant ist während des Gipfels auch ein Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij. Das dürfte für einen heiklen Moment sorgen. Nach dem Rauswurf Selenskijs aus dem Weißen Haus Ende Februar sind sich die beiden Präsidenten zwar bereits am Rande der Beerdigung von Papst Franziskus ein weiteres Mal begegnet. Trump ist dem Vernehmen nach aber immer noch nicht gut zu sprechen auf den Ukrainer. Eine gemeinsame Stellungnahme zur Ukraine ist bislang nicht vorgesehen.
Die „international spannenden und bewegten Zeiten“, von denen in Regierungskreisen im Vorfeld des G-7-Treffens die Rede war, darf man jedenfalls getrost als Euphemismus für „Es brennt so gut wie überall“ begreifen. Das Gipfel-Programm ist eine Entsprechung dieser Lage; bis hin zum kanadischen Vorstoß, die Problematik echter, physischer Waldbrände zu thematisieren. Es ist ein Versuch, den in Trumps Maga-Welt bekanntlich nicht existierenden Klimawandel über diesen Umweg auf der G-7-Bühne zu halten.
Traditionell spielen wirtschaftspolitische Themen bei den Treffen der sieben großen Industriestaaten eine zentrale Rolle. Dieses Mal soll es etwa um künstliche Intelligenz und Quantentechnologie gehen. Und um Energiesicherheit, wozu auch Gäste aus Nicht-G-7-Staaten eingeladen sind. Außerdem darum, einseitige Abhängigkeiten bei kritischer Rohstoffen, etwa von China, zu verringern.
Der wirtschaftspolitische Elefant im Raum aber ist natürlich Trumps rabiate Zollpolitik. Am 9. Juli läuft die Frist für die angedrohten Strafzölle gegen die EU aus. Zuständig für die Verhandlungen mit Washington ist die EU-Kommission, die in Gestalt ihrer Präsidentin, Ursula von der Leyen, auch in Kanada dabei sein wird. In Berlin hieß es jedoch, dass die G7-Mitglieder den Amerikanern ebenfalls „sachdienliche Hinweise“ geben würden, wie man schneller zu einer Einigung kommen könne.
In der Bundesregierung wurde vor Merz’ Abflug der „Etappencharakter“ des Treffens betont. Nicht nur, weil der Erfolg in kleinen Schritten gemessen werden wird – zum Beispiel daran, ob man die Amerikaner in Sachen Ukraine im Verhandlungsprozess halten und bei der militärischen und finanziellen Unterstützung wenigstens den Status quo sichern kann. Sondern auch, weil eine Woche später mit dem Nato-Gipfel schon das nächste entscheidende Treffen ansteht.