Es war genau der richtige Kanzler für diese superheiße Nacht der vorgezogenen Hundstage. Er bot leichte Kost bei Maischberger, erfüllte alles in allem das Bedürfnis, bei dieser Hitze unterhalten statt angestrengt zu werden. Immer wenn die Anrede „Frau Maischberger“ kam, wusste man, wo man dran war: Dann war Friedrich Merz auch der Kanzler der Moderatorin, der halbgar gestellte oder ihm einfach nicht genehme Fragen dadurch außer Kraft setzte, dass er einfach die Regie im Studio übernahm. „Nun legen Sie doch nicht jedes Wort auf die Goldwaage“, sagte er dann und die leise Rückfrage der Moderatorin „Wohin denn sonst?“ machte die Sache nur noch schlimmer. „Sie wissen doch, worum es geht“, gab der Kanzler zurück. Das klang wie: Stellen Sie sich bei diesem Wetter doch nicht so an! Um die Sache dann zu einer Frage des Auffassungsvermögens zu machen: „Frau Maischberger, ich weiß gar nicht, warum das so schwer ist“, kurzum: „Was ist daran so kompliziert?“
Immer wieder gerne bewertete Friedrich Merz eine Frage mit: „Das ist zu einfach!“ Um dann, wenn nichts weiter half, Frau Maischberger mit dem Abwehrsatz „Die einen sagen so, die anderen so“ zu kommen. Merz immunisierte sich gegen Kritik, gerade indem er sich als eine Stimme unter vielen ausgab: „Sie werden für jedes einen Zeitzeugen finden, der das so sieht oder der das so sieht. Der Zeitzeuge Merz sagt: Einfache Beitragserhöhungen lösen das Problem nicht“ (es ging um die Krankenkassenreform). So einfach lässt sich die Einfachheit bei Bedarf als zu einfach überführen. Den Kanzler kostet es ein Lächeln. Als netter Versuch wird auch das etwas unbedarft aufgetragene Provinzklischee zurückgereicht: „Vermissen Sie Berlin nach einem Wochenende im Sauerland?“, hat Maischberger auf ihrem Zettel stehen. „Nein, umgekehrt: Ich vermisse das Sauerland nach einer Woche in Berlin.“ Der war gut. Für wie blöde hält denn die Moderatorin ihren Gast?
Jetzt zeigte Merz, wo der Hammer hängt
Ins Unwegsame führte die Frage nach der Fliegerei. Hier sollte das nächste Klischee angezapft werden: Merz, der Abgehobene. Der da oben vor sich hin fliegt, während die Leute, die er regiert, unten mit Sorgen zu kämpfen haben, von denen der elitäre Kanzler keinen blauen Dunst hat. Die Fangfrage lautete: „Als Kanzler dürfen Sie alleine fliegen?“ Merz, ahnend, worauf es hinauslief, ließ Maischberger erst einmal kommen: „Wer sollte mir das verbieten?“ Sie: „Die Security?“ Er: „Ich bin und bleibe ein freier Mensch.“ Sie: „Hm, hm.“ Er: „Ja, hm, hm.“ Hörte man hier schon die Gereiztheit heraus, die sich aber erst nach dieser Anschlussfrage entlud: „Und dass es (das Fliegen) abgehoben wirkt auf manche Menschen?“
Jetzt zeigte Merz, wo der Hammer hängt. Ungefähr so steuerte der Kanzler auf ein letztlich dann doch wieder beiseite gelegtes Abbruch-Skript los: Ich mache das bei Ihnen ja alles gerne mit, so schien in diesem Skript zu stehen, aber irgendwann stellt sich dann doch auch mal die Substanzfrage. Mit dem Krawallsignal „Frau Maischberger“ legte Merz los: „Frau Maischberger, wollen wir die Sendung so weitermachen? Wollen wir wirklich über diese Themen sprechen (siehe oben, d. Red.) oder aber über Themen, die wirklich wichtig sind für die Welt, für Europa, für Deutschland.“ Mit anderen Worten: Machen Sie ruhig so abgehoben weiter wie bisher, Frau Maischberger, Sie werden schon sehen, zu welchem Absturz das führen wird. Eine Fundamentalopposition zeichnete sich ab, der weitere Verlauf der Sendung stand auf der Kippe.
In dieser Situation unerlief Frau Maischberger eine spektakuläre Fehlleistung, dem Schock geschuldet, zweifelsohne, aber von Merz dann gnadenlos zum Fall gemacht. Frau Maischberger meinte offensichtlich, ihre vorigen Fragen vom Verdacht des Läppischen befreien zu müssen, rechtfertigte die Sachen Fliegen, Sauerland und überhaupt das Abfragen von Klischees mit dem übergeordneten öffentlichen Interesse, wissen zu wollen, „wer das Land regiert und welchen wirtschaftlichen Hintergrund er hat“, soweit die politische Relevanzfrage in trockene Tücher gebracht habend, für eine öffentlich-rechtliche Sendung kein Kinkerlitzchen.
Doch dann eben entfuhr der Frau Maischberger jene fatale Übersprungsbemerkung, augenscheinlich von der stressigen Erwartung diktiert, der Kanzler könne nun gleich aufstehen und das Studio verlassen. Sie sagte: „Aber wir können auch gleich zu Donald Trump kommen, da ist es ja ähnlich gestaltet.“ Stein des Anstoßes wurde dieser kryptische Zusatz „Da ist es ja ähnlich gestaltet“ (als tertium comparationis, als Vergleichspunkt im Verschiedenen, müssen herhalten: ein Regierender aus den oberen Zehntausend, Erfahrungen in der Finanzwelt, reich). Merz ging jetzt kurzerhand aufs Ganze. Er fragte: „Wie bitte?“. Und er fragte: „Was haben Sie gerade gesagt?“ Und er sagte, das Signalwort voranstellend: „Frau Maischberger, jetzt wird’s aber spannend mit Ihrer Sendung.“ Eine Sendung, die allein mit dieser Bemerkung des Kanzlers auf ihre Kontingenz, ihre Zufälligkeit zurückgeworfen wurde, auf ihren Status, eine unter vielen Talk Shows zu sein und dabei, so die hier ausgespielte Suggestion, nicht so recht aus dem Knick des Hausbackenen zu kommen. Erst ein Skandal, so versteht man, wie der Vergleich zwischen ihm, dem fliegenden Merz, und dem Golf spielenden Trump bringt Pfeffer in die Sendung, nimmt ihr die Fadheit, macht sie spannend. Das ist die Kunst des Zungenschlags, wie der Kanzler sie draufhat, wenn er eine öffentlich-rechtliche Sendung mit dem Stigma des Privatistischen versieht: „Jetzt wird’s aber spannend mit Ihrer Sendung.“
Wie sich Merz im Folgenden von Trump absetzte, konnte man auch als Absetzbewegung seitens Friedrich Merz von Medienschaffenden lesen. Die Erwartung, ihm könne es als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland überhaupt je um Schmeichelei und Devotheit gehen, nannte er abwegig. Mit dem „notwendigen Respekt“, aber auch mit dem „notwendigen Selbstbewusstsein“ bewege er sich im Oval Office, aber so eben auch in Fernsehstudios. Da wusste Frau Maischberger bereits, wie das gemeint war.
Merz ist nicht ein Opfer ungezügelter Emotionen
Zu Beginn der Sendung, als sie noch unbefangen war, kolportierte Frau Maischberger den Vorwurf, der neue Bundeskanzler habe sich emotional nicht immer im Griff. Sie zitierte in diesem Zusammenhang aus einer Biographie den erwähnten Begriff der Halsschlagader. Ob ihm schon bald wieder der Kragen platze, wollte die Moderatorin von Merz angesichts einer anstehenden politischen Entscheidung wissen. Das ist aber bei Merz gar nicht der Punkt, als sei ihm etwas geplatzt, wenn er mit einer Äußerung mal wieder übers Ziel hinaus geschossen ist. Merz ist nicht ein Opfer ungezügelter Emotionen, wie das Bild vom geplatzten Kragen nahelegt. Wenn schon ist er ein Opfer seines Perspektivismus mit den entsprechenden Ausfallerscheinungen. Er hat dann einen einzigen Aspekt vor Augen, ihn stellt er übergroß heraus, alle anderen Aspekte bleiben ausgeblendet, werden schlicht vergessen. Was bei Merz als emotionales Problem gehandelt wird, wäre demnach in Wahrheit ein epistemisches, ein erkenntnistheoretisches Problem. Der Mann hat sich so was von im Griff, wie auch dieser kontrolliert eigenmächtige Auftritt bei Maischberger eindrucksvoll zeigte. Aber der Mann sieht eben auch nicht alles. Dafür einiges übergroß. Das haut er dann raus.
Es ist, mit anderen Worten, ein Vorgang der Selbstaffektion, der bei Merz zum Tragen kommt. Gemeint ist die jedesmalige Freude darüber, überhaupt noch etwas zu spüren in einem politisch-medialen Komplex, der weitgehend auch ohne Gespür funktioniert. Wenn man den Amtsinhaber aus dem Sauerland psychologisieren möchte, so führt das Phantasma der perspektivischen Verzerrung weiter als der geplatzte Kragen. Man sollte sich die Dinge bei der Hitze dann doch nicht zu einfach machen.