„No risk, no fun.“ Den Satz hat Heike Hempel tatsächlich gesagt. Vor 650 Filmschaffenden auf dem ZDF-Empfang beim Filmfest München. Da ging es darum, dass das ZDF glaubt, endlich die Formate für die Zielgruppe gefunden zu haben, die das ZDF sonst meidet. Die Jugendlichen fänden Gefallen an „Doppelhaushälfte“, das in die vierte Staffel geht, „Späti“ werde fortgesetzt und ebenso „Crystal Wall“.
Der Spagat zwischen „Der Bergdoktor“ und „Lena Lorenz“
Im Gespräch mit der F.A.Z. erzählt Heike Hempel, dass die Serie „Crystal Wall“, die von einer Mixed-Martial-Arts-Kämpferin handelt, die Bodyguard eines Millionenerben wird, am Reißbrett entstanden sei: „Wir wollten für Frauen, die serienaffin sind, mit nicht so hohem formalem Bildungsgrad, im Alter zwischen 25 und 35 und sonst nicht das ZDF schauen, eine Serie anbieten. Das haben wir mit ,Crystal Wall’ geschafft.“ Sie wisse um den Spagat, den es zu bewältigen gelte zwischen den älteren ZDF-Zuschauern und den neuen hippen Kunden. Deswegen würden Serien wie „Der Bergdoktor“ und „Die Bergretter“ modernisiert, für die Jüngeren gebe es „Dr. Nice“ und „Lena Lorenz“.
In ihrer Doppelfunktion als Arte-Chefin und ZDF-Hauptredaktionsleiterin hatte Hempel nichts weniger als die „neue Weltordnung“ im Sinn: „Wir müssen die Demokratie schützen und die Eigenheiten bewahren“, sagt sie, und „wir müssen agiler werden, denn das Geld ist weniger geworden und der Markt verändert sich gerade.“ Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk komme „von denen, die ohne eine informierte Öffentlichkeit regieren möchten“. Sie formulierte das ZDF-Mantra, das auch für Arte gelten soll: „Das Verbindende zählt. Wie können wir vom Gelingen erzählen?“
Eine kulturelle und mediale Verteidigungsgemeinschaft
Arte will sie „zu einer europäischen Plattform für alle Europäer weiterentwickeln, zu einer kulturellen und medialen Verteidigungsgemeinschaft“. Dass skandinavische Länder wie Finnland, Norwegen und Schweden dabei seien, reiche noch nicht. Hempel ist sich der politischen Unterstützung sicher, seit sie die französische Kulturministerin Rachida Dati und Kulturstaatsminister Wolfram Weimer habe. Nun hofft sie auf mehr Geld für Arte.
Wie ernst es dem ZDF mit den Herausforderungen der neuen Zeit ist, zeigt nicht nur die Gründung einer Audience-Abteilung, die laut Hempel „unsere Programme distribuiert und uns sagt, auf welchen Kanälen wir möglichst effektiv unseren Content ausspielen“, sondern auch ein Workshop mit der Schauspielerin Gesine Cukrowski und der Autorin Silke Burmester. Dafür habe sie „sogar einen Film sausen lassen“, sagt Cukrowski. Das Anliegen, um das es geht, sei ihr wichtig: Frauen zwischen 50 und 60, mit Kleidergröße 42/44 und ihren normalen Anliegen, fänden im Programm nicht statt. „Entweder sie tragen 34 und sind extrem dürr oder sie sind mollig. Die Lebensrealität dieser Zielgruppe wird bislang ausgeblendet.“
Der Hagel vernichtete Morettis Zucchini-Ernte
Das zu ändern, sei ihr Anliegen, das habe man beim ZDF wohl auch verstanden. Einen Abstecher zum Münchner Filmfest unternahm auch der Tiroler Teilzeitbauer Tobias Moretti. Der Hagel habe gerade seine Zucchini-Ernte vernichtet, „zu hundert Prozent“, erzählt er. Als Schauspieler könne er nur arbeiten, weil ihm seine Frau Julia den Rücken freihalte. Er ist gerade bei Dreharbeiten und probt danach den „Zerbrochenen Krug“.
Das Münchner Filmfest bleibt für die meisten eine große Bühne für Eigenwerbung, die „Akte X“-Star Gillian Anderson nutzt, um ihren Film „Saltpath“ zu promoten. Julia Koschitz ist diskreter. Sie spielt in dem Film „Das verschwundene Kind“ von Susann Bernardi, den viele auf dem Festival für preiswürdig halten. Ganz glücklich sind ein ganz junger und ein älterer Schauspieler: Leon Klein (25) erzählt, dass er nur gute Zeiten kenne, und diskutiert mit Kara Edenberg darüber, wie sich Tiktok-Content gut versilbern lasse, „besser als bei Insta“. Edgar Selge (77) wandert durch den Garten des Institut Francais und sagt, er genieße es, nicht mehr so viel drehen zu müssen. „Ich habe in den letzten Jahren nur zwei Filme gemacht. Der eine davon – „Leibnitz“ kommt jetzt bald ins Kino. Das reicht mir aber auch. Wirklich.“