Frankreichs Haushalt: Die Superreichen sollen helfen

vor 15 Stunden 1

Mit den großen Zahlen ist es so eine Sache: Den meisten Menschen sagen sie nichts, sie lassen sich ja auch schlecht fassen. In Frankreich ist gerade die Zeit der ganz großen Zahlen. Sie werden von Politikern und in den Talkshows verhandelt, und es sind keine guten Zahlen. Der französische Staatshaushalt ist dramatisch aus den Fugen geraten. Michel Barnier, der neue Premier, wird am Donnerstag im Ministerrat seinen Plan vorstellen, wie er ihn wieder in den Griff bekommen will. Er muss. Aber kann er auch?

3228 Milliarden Euro Schulden, so viele waren es noch nie. Misst man den Betrag an der gesamten Wirtschaftsleistung Frankreichs, sind das 111 Prozent. Zur Erinnerung: In der EU gilt eigentlich die Regel, dass es nicht mehr als 60 Prozent sein sollten. Die Italiener und die Griechen haben noch mehr Schulden angehäuft als die Franzosen, aber das ist kein Trost. Wenn Paris jetzt Kredite mit einer Laufzeit von zehn Jahren aufnimmt, bezahlt es dafür mehr Zinsen als Spanien. Und nur noch knapp weniger als Griechenland. Sagt man, das Vertrauen der Gläubiger in die politische Stabilität und Vorhersehbarkeit Frankreichs sei angeschlagen, ist das eine Untertreibung. Früher hieß es immer: Wenn es nötig ist, hebt Frankreich mal rasch die Steuern an. Und da der Staat gut ist beim Eintreiben des Geldes, ist die Krise schnell behoben.

Diesmal nicht. Diesmal ist nichts wie sonst. Das stabile System ist ins Wanken geraten, seit Präsident Emmanuel Macron im vergangenen Juni das Parlament aufgelöst und die Franzosen zu einer vorzeitigen Wahl genötigt hat. Das neue Parlament ist in drei Blöcke zerrissen und dermaßen zersplittert, dass Premierminister Barnier ohne Mehrheit regiert und bei jedem Parlamentsgeschäft stürzen kann. Insbesondere beim Haushalt, dem Geschäft aller Geschäfte.

3 228 000 000 000 Euro – der Schuldenberg wird immer höher

Der Premier, so hört man, habe sogar darauf verzichtet, die Dienstwohnung in seinem Amtssitz, dem Hôtel Matignon im 7. Arrondissement, zu beziehen. Der Umzug könnte sich nicht lohnen. Barnier weiß ja nicht, ob er in ein paar Wochen noch im Amt ist.

Viel hängt an diesem Haushalt für 2025. Barnier wiederholt bei allen seinen Auftritten, Frankreich stehe „am Abgrund“, ein „Damoklesschwert“ hänge über seinen Kindern und Enkeln. Es hört sich so an, als wolle er die Franzosen auf Blut und Tränen vorbereiten, auf einen Etat voller Opfer. Die Frage aber ist, ob sie das verstehen und verstehen wollen. Und ob die linke und die extrem rechte Opposition ihn damit durchkommen lassen. Selbst die Partner aus dem Zentrum, die Macronisten, drohen schon.

3228 Milliarden also, eine Zahl mit 13 Ziffern, davon neun Nullen. France 2, der große staatliche Fernsehsender, erklärte seinen Zuschauern neulich in den 20-Uhr-Nachrichten, wie ihr Land sich in diese missliche Lage manövriert hat – heruntergebrochen auf ein Familienbudget, mit möglichst einfachen Worten und Zahlen. Frankreich verhalte sich so, als würde eine Familie mit einem monatlichen Einkommen von 3500 Euro jeden Monat 4900 Euro ausgeben, sagte der Wirtschaftsjournalist, der wie ein Lehrer vor der einfachen Grafik stand. Die Differenz, diese 1400 Euro, nenne man Defizit. Summiere man die, Jahr für Jahr, werde der Berg der Schulden halt immer höher.

Frankreich hatte in den vergangenen 50 Jahren keinen ausgeglichenen Haushalt

Und so geht das schon eine ganze Weile. Seit fünfzig Jahren, seit 1974, hatte Frankreich keinen ausgeglichenen Etat mehr. Nicht unter linken und nicht einmal unter rechten Präsidenten. Alle gefielen sich in der Rolle gütiger Könige. Die Steuern in Frankreich sind zwar hoch, mehr noch aber fließt zurück, in den öffentlichen Dienst und in Zuschüsse. Mit der Zeit haben sich die französischen Bürger an Prämien und Boni vom Staat gewöhnt, es ist ein süßes Gift, eine Droge. Und die Politik verspricht immer mehr davon. Die jüngste Wahlkampagne war ein Feuerwerk von Versprechen, obschon alle Parteien die Finanzlage kannten.

Die französischen Zeitungen gehen mit dieser Lust am einfachen Geld streng ins Gericht. „Frankreich wird eingeholt von seiner budgetären Disziplinlosigkeit“, schreibt Le Monde. Während der Pandemie gab Frankreich wie andere Länder viel Geld aus, um seine Bürger und Firmen zu unterstützen. Doch im Gegensatz zu anderen, die den Kurs nach Ende der Pandemie korrigierten, machte Frankreich fröhlich weiter. Die Bedienung der Schulden kostet das Land mittlerweile schon fast so viel wie sein ganzer Bildungsetat.

60 Milliarden Euro muss die Regierung reinholen für 2025, damit die Finanzmärkte und Brüssel ein wenig beruhigt wären. Mit 60 Milliarden ließe sich das Defizit von den aktuellen sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf fünf Prozent senken – das ist immer noch weit weg von den drei Prozent, die sich die Europäische Union vorgibt. Aber immerhin wäre das ein erstes Signal für eine Besserung.

Barnier will bei den Beamten sparen – und die „Superreichen“ zur Kasse bitten

Zwei Drittel davon, 40 Milliarden Euro, sollen von Sparanstrengungen kommen, also von Abstrichen bei den Ausgaben für die Verwaltung und den Sozialstaat. Frankreich zählt 5,7 Millionen Beamte. Barnier sagt, er wolle dort Stellen einsparen, wo die Beamten nicht „in direktem Kontakt mit den Bürgern“ stünden, also eher im Backoffice, in der Administration. Und man versteht ihn: Eine weitere Reduzierung der Anzahl Polizisten, Pfleger und Lehrer wäre sehr unpopulär. Aber wie viel bringt das ein? Die Rentner, das hat er schon mal angekündigt, sollen die versprochene Aufwertung ihrer Pensionen erst später erhalten als geplant. Kommt auch nicht gut an. 40 Milliarden Euro, das ist eine Menge. Wie er die arbeitenden Mittelklassen verschonen will, wie er das verspricht, ist ein Rätsel.

Ein Drittel des Korrekturprogramms, 20 Milliarden Euro, soll von „gezielten, zeitlich begrenzten“ Steuern kommen, sagte Barnier. Belangt werden sollen nur die „Superreichen“ im Land, die mit einem Jahreseinkommen von mehr als 500 000 Euro, und die ganz großen Firmen, die in den vergangenen Jahren hohe Profite gemacht haben. Eine solidarische Geste wird erwartet.

Macron soll wütend darüber sein, heißt es, er befürchtet offenbar die Abwicklung seines politischen Vermächtnisses. Der liberale Präsident, im Amt seit 2017, ist stolz darauf, dass er die Steuerlast gesenkt hat; er hält sie für „eine französische Krankheit“. Macron reformierte die Vermögensteuer und verringerte den Steuersatz für Unternehmen von 33 auf 25 Prozent, um Frankreichs wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu vergrößern und Firmen anzuziehen. Das gelang ihm. Allerdings profitierten davon vor allem die Reichen und die großen Unternehmen, was ihm den Spitznamen „Président des riches“ eingetragen hat, „Präsident der Reichen“.

Macron kann damit leben. Wenn nun aber Barnier den Ruf des Präsidenten als Liberalisierer ruiniert, zweieinhalb Jahre vor dem Ende seiner Amtszeit, wäre ihm das sehr unlieb. Der Präsident hat seine Vertrauten im Parlament mobilisiert, damit die seinen neuen Premier kritisieren, dessen Pläne hinterfragen, Widerstand androhen. Barnier behält mal besser seine Privatwohnung.

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