Forum Bildung Digitalisierung: Orientierungspapier zur Handyverbotsdebatte

vor 6 Stunden 1

Hat man einen guten Sündenbock gefunden, lässt sich dieser medial immer wieder gut schlachten. An ihm kann Haltung und Gestaltungswille demonstriert werden, auch wenn auf die rituelle Schlachtung eigentlich keine weiteren Handlungen folgen. Die Debatte zur Smartphonenutzung in Schulen wurde in den vergangenen Monaten zum Teil ernsthaft, zum Teil aber auch performativ geführt. Unter anderem wurde manchmal so getan, als hätten Bildungseinrichtungen bisher keinerlei Regeln zur Nutzung von mobilen Endgeräten eingeführt, obwohl das einige schon vor Jahren getan haben.

Aus diesem Grund meldet sich nun auch das Forum Bildung Digitalisierung zu Wort. Es möchte zu einer "Versachlichung der mitunter aufgeladen geführten Debatte beitragen". Dafür hat das Forum ein Orientierungspapier veröffentlicht, das darstellt, welche Rechtslage es derzeit im föderalen Bildungssystem der Bundesrepublik Deutschland je nach Bundesland gibt und welche wissenschaftlichen Erkenntnisse tatsächlich zur Nutzung von digitalen Endgeräten vorliegen. Die hiesigen Rechtslagen werden zudem auch mit einem internationalen Vergleich eingeordnet.

Ralph Müller-Eiselt, Vorstand des Forum Bildung Digitalisierung, warnt im Orientierungspapier davor, dass die "Smartphone-Debatte" dazu führen könnte, die digitale Schul- und Unterrichtsentwicklung "generell auszubremsen". Es sei unverzichtbar, diese fortzuführen, damit alle Schülerinnen und Schüler auf ein "selbstbestimmtes Leben in der Kultur der Digitalität" vorbereitet werden. Nur so könnten sie lernen, "souverän mit neuen Technologien wie KI und den damit verbundenen Chancen und Risiken umzugehen". Zudem sei die Vermittlung von Medienkompetenz "das beste Mittel gegen Cybermobbing, digitale Desinformation und Social-Media-Sucht". Klare Regeln für die private Smartphonenutzung seien zwar wichtig, aber es müssten mehrere Ziele unter einen Hut gebracht werden. Es stelle sich also vor allem die Frage, wie es am besten gelingt, die digitale Schulentwicklung voranzubringen, Medienkompetenz zu vermitteln und gleichzeitig einen störungsfreien Unterricht zu ermöglichen. Die Antwort darauf sei "komplexer als ein Smartphone-Verbot."

Das Papier zeichnet den Verlauf der aktuellen Debatten nach, gibt aber auch Einblick in die Debatten der vergangenen Jahrzehnte, seit der Entwicklung von Mobiltelefonen, die für die breite Gesellschaft erschwinglich wurden. Und auch (angebliche) Forschungsergebnisse zu den Auswirkungen der Smartphonenutzung beziehungsweise eines Smartphone-Verbots an Schulen werden aufgelistet und kommentiert. Einen ersten Einblick biete etwa der Scoping Review "Evidence for and against banning mobile phones in schools" von 2024. Ihm liegen 22 Einzelstudien aus zwölf Ländern zugrunde. Bewertet wurde vor allem, inwieweit sich ein Smartphone-Verbot auf den Lernprozess und das Wohlbefinden der Schüler:innen auswirkt. Die Haupterkenntnis dabei sei gewesen: "Die Ergebnisse sind bislang uneindeutig, es braucht weitere Evaluationen."

Dass die Studienlage bisher nicht eindeutig sei und es mehr belastbare Studien geben müsse, um evidenzbasierte Aussagen zu Einflüssen von bestimmten digitalen Angeboten machen zu können, konstatierte zuletzt auch die OECD in ihrem Bericht zu kindlichem Wohlbefinden im digitalen Zeitalter. Das bleibt auch der Tenor der Darstellungen im Orientierungspapier.

Prof. Dr. Katharina Scheiter, Professorin für Digitale Bildung an der Universität Potsdam, kommentiert entsprechend: "Ein Blick auf die Studienlage zeigt, dass die Evidenz für umfassende Smartphone-Verbote uneindeutig ist. Es scheint zwar plausibel, dass Smartphones die Ablenkbarkeit fördern und Konzentration mindern können. Doch werden durch eine Einschränkung der Nutzung weder Unterrichtsstörungen reduziert noch die Leistungen verbessert. Zudem beeinflusst eine Begrenzung während der Schulzeit weder die Dauer der außerschulischen Nutzung noch das problematische Nutzungsverhalten auf Social Media. Auch Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden der Schüler:innen lassen sich in den wenigen aussagekräftigen Studien nicht nachweisen. Allgemein sind die Zusammenhänge zwischen der Dauer der Mediennutzung und dem psychischen Wohlbefinden komplex. Kausal interpretierende Zusammenhänge verlaufen in beide Richtungen: So hat eine intensive Mediennutzung kleine, negative Effekte auf das Wohlbefinden – zumindest bei Jugendlichen. Gleichzeitig führt aber auch ein geringes Wohlbefinden zu einer verstärkten Mediennutzung. Daher sind einfache Korrelationen zwischen Mediennutzung und psychischem Wohlbefinden aus einmaligen Datenerhebungen, wie sie in der Mehrzahl der Studien berichtet werden, nicht eindeutig kausal interpretierbar. Vielmehr sind Längsschnittstudien notwendig, in denen sich die zeitlichen Verläufe und Zusammenhänge von Mediennutzung und Wohlbefinden in beide Richtungen nachverfolgen lassen."

Scheiter hebt die Rolle von Eltern für eine gesunde Mediennutzung hervor, da die private Smartphonenutzung die in Schulen noch übersteige. Regeln in den Schulen seien trotzdem wichtig, sollten aber partizipativ erarbeitet werden, da diese wohl auch besser akzeptiert würden. Gesetzliche Regelungen könnten Schulgemeinschaften in ihrer Selbstgestaltung einschränken. Als notwendig erachtet sie begleitende Maßnahmen, statt nur Regeln aufzustellen. Kindern und Jugendlichen sollten etwa attraktive Beschäftigungsalternativen im Schulalltag geboten werden. Neben einem reichhaltigeren Pausenangebot könnten dazu auch medienpädagogische Projekte zählen, welche die Reflexion über den eigenen Medienkonsum anregen.

Wie die deutschen Bundesländer mit dem Thema umgehen, listet das Forum Digitalisierung Bildung auf, visualisiert die Lage aber auch. Die aktuellen Debatten hätten den Handlungsdruck auf die Länder erhöht, trotzdem zeigen sich große Unterschiede in den getroffenen oder bisher angedachten Maßnahmen. International zeigt sich die Lage ebenso uneinheitlich. Es wird auf die europäische und die weltweite Ebene geschaut.

Besonders strenge landesweite Regeln herrschen dort, wo die Karte dunkelorange eingefärbt ist, gibt es keine landesweiten Regeln, bleibt es innerhalb der Landesgrenzen weiß. Welche Regelungen noch kommen sollen, wird in der Tabelle neben der Landkarte dargestellt.

(Bild: Forum Bildung Digitalisierung)

Wichtig sei für deutsche Schulen, so das Forum, dass sie Rechtssicherheit erhalten, um den Umgang mit Smartphones im Schulalltag angemessen organisieren und kontrollieren zu können. Er kann auf verschiedenen Ebenen geregelt werden: durch das Schulgesetz, eine Rechtsverordnung oder die Hausordnung der einzelnen Schule. Schulgesetze und Rechtsverordnungen gelten landesweit, Hausordnungen werden von den Schulen eigenständig, mit Schülerschaft und Eltern vereinbart.

Einige Einschränkungen seien aber derzeit zu beachten: Geräte können nur kurzzeitig von Schulen "eingezogen" werden. Ein dauerhaftes Wegnehmen sei ein Eingriff in das Eigentumsrecht der Schülerinnen und Schüler und nicht zulässig. Grundrechte würden auch verletzt, müssten oder würden Lehrkräfte Schultaschen nach Mobilgeräten oder auch Inhalte auf den Geräten durchsuchen. Überdies könne ein generelles Verbot privater Smartphones für Heranwachsende gegen die UN-Kinderrechtskonvention verstoßen: Artikel 17 sichert Kindern und Jugendlichen das Recht auf Zugang zu Informationen und digitalen Medien zu; also digitale Teilhabe.

Angefügt sind auch Handlungsempfehlungen, die von Jugendlichen zu dem Thema erarbeitet wurden, da das Forum Bildung Digitalisierung, auch den fehlenden Einbezug von Heranwachsenden in die Debatte kritisiert. Diese fordern ihrerseits Mitsprache, erklären, dass Schulen ein Medienkonzept benötigen und sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Lehrkräfte mehr Medienkompetenz erlangen können sollten. Des Weiteren argumentieren sie für altersgerechte Lösungen und dezidierte Handyzonen auf den Schulgeländen. Und die Jugendlichen sagen auch das: wenn Regeln aufgestellt wurden, sei konsequentes Handeln wichtig. Lehrkräfte dürften dann nicht mehr Wegschauen, wenn diese nicht eingehalten werden. Die Regeln sollten allerdings auch klar nachvollziehbar und nicht zu kompliziert sein.

Das Forum Bildung Digitalisierung setzt sich für die digitale Transformation des Schulsystems ein. Es ist ein gemeinnütziger Verein, in dem sich derzeit zehn deutsche Stiftungen engagieren: Deutsche Telekom Stiftung, Bertelsmann Stiftung, Dieter Schwarz Stiftung, Dieter von Holtzbrinck Stiftung, Heraeus Bildungsstiftung, Joachim Herz Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Siemens Stiftung, Vodafone Stiftung Deutschland und Wübben Stiftung Bildung.

(kbe)

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