Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Eine gute Stunde nach Abpfiff der Heimpartie gegen Mainz hatten sich die meisten Spieler des FC Bayern bereits verabschiedet. Joshua Kimmich verschwand gut gelaunt mit seinen drei Kindern. Harry Kane hingegen trottete mürrisch durch die Interviewzone. Die Sperre für das Spiel am kommenden Samstag in Leipzig aufgrund seiner fünften Gelben Karte verhagelte ihm die Stimmung. Andere schlichen wortlos davon, Sacha Boey, Kingsley Coman, João Palhinha. Und auch der Mannschaftsbus war dann irgendwann weg.
Aber dann kam Thomas Müller.
Der 3:0-Erfolg gegen Mainz war sein Jubiläumsspiel, das 500. in der Bundesliga. Müller stellte sich vor die Mikrofone der Reporterinnen und Reporter und sagte: »Das vorletzte Mal.« Dabei lächelte er und wirkte doch angefasst. Als sei ihm langsam ein wenig mulmig vor dem letzten Mal, seinem allerletzten Heimspiel in der Arena, in zwei Wochen gegen Gladbach.
Dass im Mai seine Zeit beim FC Bayern nach 17 Jahren enden wird, das weiß er seit einigen Wochen . Immer hatte er sich gegen Fragen zu seiner verbleibenden Zeit gewehrt. Er sei schließlich nicht auf seiner Abschiedstour, hatte Müller gesagt.
Doch nun, da der Abschied immer näher rückt und die Meisterschaft sehr wahrscheinlich geworden ist, »um ein bissl, wenn man’s denn will, melancholisch zu werden«, so Müller.
Gern hätte der FC Bayern bereits an diesem Samstagnachmittag die Meisterschaft gefeiert. Doch weil parallel zum klaren 3:0 gegen Mainz auch Bayer Leverkusen 2:0 gegen Augsburg gewann, wurde die Entscheidung noch einmal vertagt. Die Weißbierduschen blieben vorerst aus.
Bei acht Punkten und 30 Toren Vorsprung reicht den Bayern de facto ein Unentschieden am drittletzten Spieltag am Samstag in Leipzig zum vorzeitigen Titelgewinn.
Auch die Spieler waren bald über die frühe Zwei-Tore-Führung des Noch-Meisters in der BayArena informiert, ebenso die Zuschauenden im Stadion. Das Publikum feierte deshalb also nicht die Meisterschaft, dafür umso mehr Thomas Müller. Wobei der die ersten 84 Minuten gar nicht mitspielte.
Zwischen Seneca, Kant und Karl Valentin
Doch schon als sich der 35-Jährige Mitte der ersten Halbzeit von der Bank erhob, sein gelbes Trainingsleibchen überstreifte und zu leichten Lauf- und Dehnungsübungen vor die Südkurve joggte, brandete Applaus auf. Einige erhoben sich auf den Rängen. Müller klatschte zurück, winkte ins Publikum, zeigte kurz die Faust.

Bayernlegende Müller: Gefeiert schon beim Aufwärmen
Foto: Ulrich Wagner / IMAGOSo laut wird es beim Aufwärmen eines Auswechselspielers selten in der Arena. Auch das Publikum spürte, dass nun eine Ära endet, dass sie Müller hier nicht mehr oft sehen werden. Nach diesem Samstag genau noch ein einziges Mal.
Die Beifallsbekundungen wiederholten sich in der zweiten Hälfte vor der Nordkurve. Als Müller dann kurz vor Schluss ins Spiel kam, gab es Ovationen einer tosenden Menge. Das Stadion war in diesen Sekunden lauter als beim Kopfballtor von Eric Dier wenige Sekunden später.
»Ich weiß gar nicht, wo ich sonst noch überhaupt spielen soll«
Thomas Müller
Müller kommentiere die frenetischen Jubelarien mit einer typischen Müller-Formulierung, halb philosophisch, halb hintersinnig verklausuliert, irgendwo zwischen Seneca, Kant und Karl Valentin: »Die Leute wissen ja, was los ist«, hob Müller an und meinte dann: »Der Mensch mag es ja, wenn er sich gegenseitig quasi bestätigt, ohne Fragen stellen zu müssen. Dementsprechend haben sich alle darauf verständigt, Thomas Müller zu feiern, was auch völlig okay ist und super. Und ich finde das ja auch gut.«
Keine Angst vor Emotionen
Am 10. Mai dürfte es Müllers finalem Schaulaufen in der Arena kommen. »Das ist schon ein bissl komisch, wenn du vorher hier ein- und ausgehst«, sagte Müller.
Auf die Frage, ob er Angst davor habe, wenn ihn dann die Emotionen überwältigen, erwiderte er: »Wenn das passiert, wäre es nicht schlimm. Ich freue mich auf alles, was kommt.«
Aber was wird denn nun eigentlich kommen im Leben des Thomas Müller?
Mag seine Dienstzeit beim FC Bayern beendet sein, die Karriere ist es wohl noch nicht. Es gibt einige Optionen, ein Wechsel in die USA in die Major League Soccer, vielleicht auch in die Serie A. Vom AC Florenz war immer wieder zu hören in den vergangenen Wochen. Es hieß, der Klub sei interessiert. Zuletzt wurde gemeldet, Müller habe Florenz bereits abgesagt.
Ob er denn schon mal in der Region gewesen sei, wurde Müller noch gefragt. »Ja, in der Toskana war ich mal zum Golfspielen im Herbst.« Dann erinnerte er noch an ein Spiel bei der Fiorentina vor mehr als 15 Jahren, ein 2:3 im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League. Robbens Tor brachte die Bayern nach dem 2:1 im Hinspiel weiter, damals gab es noch die Auswärtstorregelung. Das war im fußballerischen Frühling von Thomas Müller.

Spieler Müller bei seiner Einwechslung: Bald in der Toskana?
Foto: Alexander Hassenstein / Getty ImagesWo es ihn nun im Spätherbst der Laufbahn hin verschlagen wird, dazu habe er sich noch keine Gedanken gemacht. »Ich weiß gar nicht, wo ich sonst noch überhaupt spielen soll«, erklärte er auf die Fülle von potenziellen Klubs, mit denen er bereits in Verbindung gebracht wird, bis hin zu Fenerbahçe Istanbul und Internacional Porto Alegre in Brasilien.
Erst einmal wolle er die Klub-WM (ab 15. Juni) in den USA spielen. Das gebe ihm noch Zeit zum Nachdenken. Als vertragsloser Spieler in die Saison zu starten und kurzfristig noch ein Angebot anzunehmen, auch das wollte er nicht ausschließen. Nur dass er sich aus München und aus Deutschland verabschieden wird, das dürfte ziemlich sicher sein. Ein anderer Verein in der Bundesliga ist für Müller undenkbar.