Diebstahl im Louvre: Erst wenn die Kunst weg ist, wird sie richtig berühmt

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Wenn man genau hinschaut, haben die griechischen Götter, die auf den Gemälden und Münzen der Renaissance zu sehen sind, und die Kunstdiebe, die diese Werke gern aus den Museen rauben würden, eines gemeinsam: die Strategien, mit denen sie ans Werk gehen. Die Götter wenden entweder stumpfe Gewalt (Blitze schleudern, Erdbeben auslösen) an, oder sie verkleiden sich, wie etwa Zeus, als Kuh oder Goldregen oder alter Mann oder etwas anderes Unverdächtiges und nähern sich so unbemerkt ihren Opfern. Auf die erste Weise gingen die Täter beim Überfall auf das als extrem gut gesichert geltende Russborough Castle vor: Sie rasten mit einem Geländewagen die Freitreppe des Schlosses empor, rammten mit Vollgas das Hauptportal auf, räumten die Gemälde ab und düsten treppab wieder davon. Auch als Mitglieder des Remmo-Clans 2019 das Grüne Gewölbe in Dresden ausräumten, gingen sie eher rabiat als subtil vor: Erst wurde ein mit Diesel gefüllter Kochtopf unter einem Stromkasten angezündet, weswegen der gesamte Strom und die Laternen am Theaterplatz ausfielen, dann setzten sie schwere, bei der Feuerwehr gestohlene Hydraulik-Spreizer ein, wie sie bei Autounfällen genutzt werden, um eingeklemmte Unfallopfer zu retten, und hackten Vitrinen mit einer Axt auf.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Die Diebe, die jetzt im Louvre Schmuck im ökonomischen Wert von 88 Millionen Euro stahlen, wählten den Weg der Verkleidung: Mit Helm und gelben Warnwesten als Reparaturtrupp kostümiert, stellten sie morgens, als der Louvre schon geöffnet hatte, seelenruhig eine mobile Hebebühne an der Fassade an, gelangten so im ersten Stockwerk auf einen Balkon und von dort mit elektrischen Scheibensägen in die Apollo-Galerie. Dort wanderten sie ruhig, als hätten sie vom Louvre selbst den Auftrag erhalten, zu den Vitrinen mit dem Napoleon-Schmuck und den Juwelen der Herrscher, sägten sie auf und räumten sie aus, während der Alarm ausgelöst und das Museum automatisch abgeriegelt wurde. Danach musste es schnell gehen: raus aus dem Fenster, Flucht per Lastenlift und Motorroller, die Krone der Kaiserin Eugénie fällt bei der Flucht runter.

Hohe Lösegelder

Wer steckt dahinter? Und warum werden neuerdings nicht mehr Gemälde, sondern Schmuck wie diamantbesetzte Aigretten, Brillantcolliers und Hutagraffen gestohlen? Erstens kann man Gemälde aus großen Weltmuseen unmöglich in den Markt bringen, Schmuck aber immerhin auseinanderbrechen, Diamanten einzeln verkaufen und Gold einschmelzen, was die Objekte zwar vom ideellen auf den deutlich geringeren materiellen Wert reduzieren würde – aber allein, dass es ginge, hilft den Kunstdieben, das zu tun, was sie mit dem Raub vermutlich vorhaben: Museen und Versicherungen erpressen, hohe Lösegelder für die Rückkehr der Beute zu zahlen.

Während Frankreich verzweifelt die Täter sucht, lehrt der Fall noch etwas anderes: Oft werden Werke erst richtig bekannt, wenn sie einmal gestohlen wurden. Das berühmteste Beispiel stammt ebenfalls aus dem Louvre: Lange war die „Mona Lisa“ nur eines von vielen Renaissance-Gemälden. Erst als sie im August 1911 gestohlen wurde und zwei Jahre verschwunden blieb, wurde sie weltweit bekannt und zum berühmtesten Werk des Louvres, das seither allein Millionen von Besuchern anzieht. Bisher kamen die wenigsten in den Louvre, um die Krone der Kaiserin Eugénie und die geraubten Schmuckstücke zu sehen. Jetzt kennt sie jeder, der Präsident erklärt sie zum zentralen nationalen Erbe, als befände sich Frankreichs DNA-Code darauf. Was wieder einmal zeigt, dass man die Bedeutung dessen, was man hat, erst erkennt, wenn es verschwunden ist – und manches erst dadurch überhaupt seine überragende Bedeutung erhält. Für den Raub der Mona Lisa jedenfalls kann der Louvre dem Dieb rückwirkend eigentlich nur dankbar sein.

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