Der Fall Ursula Glück: Mit „Mord auf dem Inka-Pfad“ setzt die ARD auf True Crime

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Januar 1997: Als Ursula Glück (Amelie Kiefer) und Jona Kepler (Thomas Prenn) sich beim Streckenposten ins Logbuch der Wanderer eintragen, ist es später Nachmittag. Wer bricht um diese Zeit auf, um den Bergpfad zur Inka-Stadt Machu Picchu in Angriff zu nehmen, und nicht schon in der Morgenfrühe? Wer schlägt sein Zelt abseits der in der Höhe verteilten Campingplätze auf, in völliger Einsamkeit, ohne die Möglichkeit, im Ernstfall schnell Hilfe zu erlangen?

Laut Jona Kepler tut dies ein sehr verliebtes Paar auf Hochzeitsreise, beide geübte Wanderer mit vorzüglicher Ausrüstung. Zwei Menschen, die das Abenteuer ihres Lebens suchen. Laut Kommissarin Rita Berg (Nina Gummich) macht so etwas ein Mörder mit einem überlegten Plan. So viel ist sicher: Ursula Glück wurde in der zweiten Nacht auf dem Inka-Pfad in den Kopf geschossen, sie war nicht tot und fiel ins Koma. Es dauerte Stunden, bis Jona Kepler auf eine Gruppe mit ihrem Führer traf, ein Arzt das Opfer begutachtete und die Frau nach Cusco ins Krankenhaus gebracht werden konnte, wo Kepler und der angereiste Bruder schließlich nach Tagen entschieden, die lebenserhaltenden Maschinen abschalten zu lassen.

Ein brühwarm serviertes Märchen

Zwei Jahre danach sitzt Jona Kepler im Münchner Kommissariat zur Zeugenbefragung vor Rita Berg und ihrem Kollegen Jens Auer (Florian Karlheim) und schildert seine Version der Ereignisse, die in dokumentarisch wirkenden Bildern zu sehen sind. Die überwältigende Natur der Anden entspricht den großen Gefühlen des Paares: Freiheit, nahe am Gipfel der Welt. Zu schön, um wahr zu sein? Dann erzählt Kepler vom Überfall durch einheimische Räuber. Seine Version, gesehen durch seine Augen, seine Phantasie, ein brühwarm serviertes Märchen.

Das Gerichtsurteil im Fall der ermordeten Ursula Glück umfasst mit sehr vielen Details und Indizien 162 Seiten. Denn die Geschichte, die der ARD-Vierteiler „Mord auf dem Inka-Pfad“ erzählt, ist, so heißt es, eine wahre. Recherchiert hat sie, basierend auf den Erinnerungen von Josef Wilfling, dem ehemaligen Leiter der Mordkommission München, Rolf Basedow. Mika Kallwass und Nina Wolfram machten ein Drehbuch daraus. Wolfram führte auch Regie. Für den quasiauthentischen, stimmigen Look der Miniserie, deren Schauplätze von New York bis Israel und von Peru bis Südafrika reichen, sorgte der Kameramann und Dokumentarfilmer Andreas Köhler. Josef Wilfling, den hier Juergen Maurer darstellt, ist anfangs skeptisch gegenüber dem aufblitzenden Verdacht seiner Mitarbeiterin Berg, genau wie Kollege Auer. Sie freilich kann belegen, dass Keplers Aussage Ungereimtheiten enthält, dass er seit 18 Monaten als lustiger Witwer im Luxus um die Welt reist, obwohl der Lebensstandard des Paares zuvor bescheiden war. Berg krallt sich fest, auf diplomatischem Glatteis.

TrailerMord auf dem Inka-Pfad

Denn Jona Kepler wäre der erste Israeli, der in der Bundesrepublik wegen Mordes vor Gericht gestellt würde. In den nächsten Jahren führen sie widerwillig gewährte Dienstreisen nach New York, wo das Paar zuletzt lebte, nach Israel, wo Keplers Eltern in den Deutschen das Volk der Täter sehen, nach Cusco, wo der Verdächtige nach der Tat kurz als Beschuldigter festgehalten wurde, und nach Kapstadt, wo eine nie befragte Zeugin entscheidende Hinweise gibt. In der letzten Folge gipfelt der Ermittlungs- und Darstellungsaufwand, in der Rekonstruktion des Tatablaufs in situ, auf dem Inka-Pfad im Hochland der Anden.

Beziehungsweise genau genommen in Südafrika, denn gefilmt wurde „Mord auf dem Inka-Pfad“ ausschließlich in München und Südafrika (wo die Filmproduktion floriert und zahlreiche Blockbuster entstehen). Präzise gesehen, handelt es sich hier also nicht um „True Crime“ an Originalschauplätzen, und selbst die eingestreuten körnigen Videoaufnahmen Keplers sind Spielfilmartefakte. Puristen mögen das „Fake Crime“ nennen und sich die Haare raufen, zumal der erzählerische Anspruch der Fiktionalisierung ist, der Wahrheit auf den Grund zu kommen. Wahr ist: Während Krimis das Fernsehen dominieren, sind bei den Streamern „True Crime“-Unterhaltungsformate en vogue. Sender, die sich seit Neuestem als Streamer verstehen (wie das ZDF) werden die Manie vertiefen.

Sieht eben alles sehr hochwertig aus, spannend und unterhaltend, versehen mit Authentizitätskitzel. Erzählgold-Garant ist Josef Wilfling, aus dessen Aufzeichnungen allein die Sender für mehrere Jahre mit Stoff versorgt wären – insbesondere der Bayerische Rundfunk, dessen „Polizeiruf 110: Bis Mitternacht“ von Dominik Graf mit Verena Altenberger und Thomas Schubert ebenfalls nach Wilflings Memoiren entstanden ist. Der Miniserie folgen in der ARD in den nächsten Wochen mehrere weitere „True Crime“-Formate. Die ARD ist auf den Trichter gekommen.

Mord auf dem Inka-Pfad läuft am 30. April und am 1. Mai um 20.15 Uhr im Ersten und ist in der ARD-Mediathek abrufbar.

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