In Chemnitz feiern die hippen Basketballer der Niners internationale Erfolge, während der Fußball-Traditionsverein CFC seit Jahren auf der Stelle tritt. Beide suchen zu ihrem Wohl und dem der Stadt den Schulterschluss.
Chemnitz war kürzlich mal wieder in den Schlagzeilen. Überregional. TV-Satiriker Jan Böhmermann ist kurz vor Ostern mit dem E-Roller in die drittgrößte sächsische Stadt gefahren, weil sie in diesem Jahr Europäische Kulturhauptstadt ist. Die Frage, was nach der pompösen Auftaktfeier im Januar noch so Kulturhauptstadtmäßiges kommt, und ob das alles schön und sinnvoll ist, bestimmt hingegen eher die regionalen Schlagzeilen. Chemnitz wird in Ruhe gelassen, während es damit beschäftigt ist, sich hinter dem hippen Leipzig und dem barocken Dresden ein gutes Image zu basteln.
2018 war Chemnitz gar weltweit in den Schlagzeilen. Nach einer Messerstecherei am Rande des Stadtfestes kam es zu Ausschreitungen in der Stadt, von Hetzjagden auf Ausländer war zu lesen. Es entstanden Bilder, die sich in den Köpfen vieler Menschen auf der ganzen Welt verfestigten: Neonazis, die durch die Stadt ziehen. Neonazis auf der Tribüne des Fußballstadions, die im März 2019 sogar einem ihrer Anführer nach dessen Tod öffentlich im Stadion gedenken durften. Vor dem Viertligaspiel des Chemnitzer FC wurde eine öffentliche Schweigeminute abgehalten. Der Aufschrei war gewaltig und begann nicht selten mit den Worten "Schon wieder Chemnitz".
Schlagzeilen waren lange Zeit ein Problem für den Chemnitzer Fußballklub, der 1967 als FC Karl-Marx-Stadt DDR-Meister war. Zwar startete der Verein 2019 zahlreiche Aktionen, um sein Image aufzupolieren. Torpediert wurde das aber unter anderem davon, dass die "Sektion Vielfalt" im Stadion bedroht wurde, weil sie dort eine Regenbogenfahne aufhängte. Dass im Juni 2021 vor einem Testspiel des CFC im tschechischen Most ein Mob durch den Ort zog und faschistische Parolen schrie, machte es nicht einfacher. Dazu kamen Finanzsorgen, die zur Insolvenz führten, Intrigen und Machtkämpfe in der Vereinsführung und sportlicher Stillstand.
CFC dümpelt vor sich hin - Niners trumpfen auf
Seit dem Abstieg aus der 3. Liga im Jahr 2020 dümpelt der einstige Zweitligist ohne reelle Aufstiegschancen in der Regionalliga Nordost vor sich hin. In die Schlagzeilen schaffte es ab 2020 ein anderer Verein aus Chemnitz. In der Stadt, aus der großartige Einzelsportler im Eiskunstlauf (Olympiasiegerin Katarina Witt), Turnen (Weltmeisterin Pauline Schäfer-Betz), Bahnradsport (Weltmeister Michael Hübner) oder der Leichtathletik (Weltmeister Thomas Schönlebe) kommen, schickte sich eine Mannschaftssportart an, allen anderen den Rang abzulaufen: Der 1999 gegründete BV Chemnitz 99 spielte als Niners Chemnitz ab 2002 in der 2. Basketball-Bundesliga.
Im Frühjahr 2020 standen die Niners unangefochten an der Tabellenspitze, nach dem Abbruch der Saison aufgrund der Corona-Pandemie wurden sie zum Aufsteiger erklärt. Ohne Party. Ohne Fans. Doch das sollten sie vier Jahre später umso lauter nachholen. Im April 2024 sorgten die Niners erneut dafür, dass Chemnitz in den Schlagzeilen zu finden war. Reporter aus der ganzen Republik erinnerten sich an die Bilder von 2018 und das Image, das Chemnitz doch so dringend loswerden müsse. Manch einer kam sogar selbst in die Stadt, um sich einen kurzen Eindruck von den Plattenbauten in der Innenstadt zu verschaffen und darüber zu schreiben, dass es nun endlich jemanden gebe,der andere Werte in der Stadt etablieren könnte.
Public Viewing in der Messe
Vier Jahre nach ihrem Aufstieg in die Bundesliga hatten die Niners mit einer international besetzten Mannschaft den FIBA Europe Cup gewonnen. Chemnitz war angezündet - im besten Sinne. Das dramatische Rückspiel im Finale in Istanbul am 24. April 2024 verfolgten Tausende beim Public Viewing in der Messe, der Heimspielstätte der Niners. Vier Tage später feierten 10.000 Fans auf dem Marktplatz erst den Europapokalsieg und danach sich selbst in den umliegenden Kneipen. Nicht ein Stuhl ging zu Bruch. Schau an, was Chemnitz kann!
Am Osterwochenende 2025 war Ostderby in der Bundesliga. Die Basketballer aus Chemnitz waren in Weißenfels zu Gast. Mehr als 500 Fans begleiteten sie und feuerten sie lautstark an. Auch nach der bitteren 95:97-Niederlage. Niner-Fans stehen bedingungslos hinter ihrem Team, auch wenn es mal nicht läuft. Sie sehen die Entwicklung der vergangenen Jahre, sehen das große Ganze. Die Messe, die sich die Basketballer mit Pferdeshows, Konzerten und Ausstellungen teilen, ist fast immer voll. Seit der letzten Zweitligasaison 2019/20, als durchschnittlich 3500 Zuschauer kamen, sind die Besucherzahlen kontinuierlich auf mehr als 4500 pro Spiel gestiegen. Das entspricht einer Auslastung von fast 95 Prozent. Tendenz steigend.
Am Osterwochenende war auch Klassiker-Zeit in der Regionalliga Nordost. Die Fußballer aus Chemnitz haben gegen den FC Rot-Weiß Erfurt mit 2:0 gewonnen. Für beide Teams geht es vier Spieltage vor Saisonende nur noch darum, sich mit einem guten Gefühl in die Sommerpause zu verabschieden. Fast 6000 Zuschauer wollten das Spiel im modernen Stadion sehen, das einst die legendäre Fischerwiese war und bis 2016 umgebaut wurde. Auch, wenn gegen Luckenwalde oder Hertha BSC II nur um die 3500 kommen, lockt der CFC wieder mehr Fans an, im Schnitt gut 5000 pro Heimspiel - und das, obwohl sportlich nicht viel Prickelndes passiert. Seit dem vergangenen Sommer gibt es eine neue Vereinsführung, die den einstigen Intrigen und Machtspielen den Kampf angesagt hat.
Haben die Korbjäger König Fußball in den Schatten gestellt?
Neuer Sportchef ist CFC-Eigengewächs Chris Löwe (36), der für Dortmund in der Bundesliga und Huddersfield in der Premier League spielte. Fanprojekte, cooler Inhalt auf den Social-Media-Kanälen, tägliche Pressemitteilungen zu neuen Initiativen - der Klub will mit Macht wieder in die Schlagzeilen. Und zwar in die positiven. Und er kämpft um Sponsoren. Chemnitz war und ist eine Industriestadt. Hier wird angepackt, hier wird gemacht. Viele mittelständische Unternehmen haben sich etabliert. Die wollen gesehen werden, die Sportvereine brauchen finanzielle Unterstützung.
Wir sehen keinen negativen Konkurrenzkampf um Sponsoren.
Hat ein viertklassiger Fußballverein im Werben um sie aber Chancen gegen einen international erfolgreichen Basketballclub? Haben die Korbjäger König Fußball gar in den Schatten gestellt? CFC-Sportchef Löwe jedenfalls ist voll des Lobes. "Die Niners haben in den vergangenen Jahren einen bemerkenswerten Erfolgskurs eingeschlagen und sich völlig zu Recht über Chemnitz hinaus große Anerkennung und Sympathien erarbeitet", sagt er. Eine vergleichbare Entwicklung im Fußball sei bisher wohl nur RB Leipzig gelungen, so Löwe weiter. Löwe betont aber auch: "Wir sind überzeugt, dass es in einer Stadt wie Chemnitz mit ihrem starken industriellen Hintergrund und der regionalen Wirtschaftskraft genug Potenzial für beide Vereine gibt. Wir sehen keinen negativen Konkurrenzkampf um Sponsoren."
"Wir sollten darauf schauen, was uns verbindet"
Niners-Sprecher Matthias Pattloch hebt zugleich hervor, froh zu sein, mit über 220 mittelständischen Unternehmen zusammenzuarbeiten. Wie sich dies bei anderen Vereinen darstellt, vermöge er nicht einzuschätzen. Beide Vereine betonen zudem, dass es eine Zusammenarbeit bei verschiedenen Sportprojekten gibt, und dass man sich nicht im Konkurrenzkampf sieht. Passend dazu, gibt es dann schon mal ein Ticket-Paket, wenn beide am selben Tag ein Heimspiel haben. "Einige unserer Mitarbeiter haben beim Sachsenpokalderby gegen Aue im Stadion mit dem CFC gefiebert", sagt Pattloch.
Wir sollten darauf schauen, was uns verbindet.
Beim 0:2 des CFC gegen den ungeliebten Drittligisten aus dem Erzgebirge Ende März war das Stadion mit knapp 15.000 ausverkauft. Erstmals wieder seit dem DFB-Pokalspiel der Chemnitzer gegen FC Bayern München im Jahr 2017. "Natürlich gibt es Leute, die gern die Unterschiede zwischen beiden Klubs betonen. Doch wir sollten darauf schauen, was uns verbindet", sagt CFC-Sportchef Löwe. Sein Verein arbeitet weiterhin daran, wieder nach oben zu kommen.
Sein Image hat der CFC in den vergangenen Jahren schon mal erfolgreich aufpoliert, die Neonazis aus dem Stadion bekommen. Auf der anderen Seite der Stadt schwanken die Niners nach ihrer Fabelsaison 2023/24 gerade zwar etwas, sie kämpfen aber erneut um den Einzug in die Play-offs und das internationale Geschäft. Beide Projekte sind deutlich spannender als Böhmermann auf einem E-Roller. Auch wenn sie momentan nicht so sehr für Schlagzeilen sorgen.
Thomas Reibetanz