Es ist erst mal ein gutes Zeichen, wenn sich am kommenden Sonntag und Montag in Rio de Janeiro die Präsidenten und Premiers der Brics-Staaten treffen. Einerseits, weil die Bevölkerungen ihrer Länder zusammengenommen rund die Hälfte der gesamten Menschheit ausmachen. Andererseits, weil die Zeiten so schwierig sind wie lange nicht mehr: Noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gab es so viele Kriege und bewaffnete Konflikte. Etwas Reden und gegenseitiger Austausch können also grundsätzlich nicht schaden.
Brics, das stand ursprünglich einmal für Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Mittlerweile gehört auch Iran zum Staatenbündnis, ebenso wie Äthiopien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Indonesien. Es sind allesamt Länder aus dem sogenannten globalen Süden oder solche, die man nicht den klassischen westlichen Industriestaaten zuordnen kann. Genau zu ihnen will Brics eine Alternative sein, ein Gegengewicht zur Dominanz der Vereinigten Staaten und Europas in der Welt.
Eine so dünne Besetzung gab es seit Jahren nicht
Gleichzeitig aber steht die Gemeinschaft mittlerweile auch im Ruf, antiwestlich zu sein und undemokratisch, ein Klub der Diktatoren und der Autokraten. Vergangenes Jahr fand der Brics-Gipfel in Russland statt. Es gab traditionelle Tänze, ein schwammiges Abschlusskommuniqué und ein Gruppenfoto: Wladimir Putin als weltgewandter Gastgeber, umgeben von Präsidenten und Premiers. Die Botschaft an den Rest der Welt war klar: Sanktionen? Sind uns doch egal!
Dieses Jahr liegen die Dinge etwas anders, denn beim Brics-Gipfel in Rio de Janeiro wird das russische Staatsoberhaupt nicht persönlich erscheinen. Schuld seien „gewisse Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den Anforderungen des Internationalen Strafgerichtshofs“ heißt es sperrig aus dem Kreml. Vereinfacht gesagt bedeutet das, dass dem russischen Machthaber in Brasilien die Festnahme droht. Denn gegen ihn liegt ein Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen vor, allen voran die Verschleppung von Tausenden Kindern aus der Ukraine nach Russland.
Statt für Gruppenfotos mit seinen Kollegen zu posieren, wird Putin auf der Konferenz lediglich per Videoschalte zu sehen sein. Gastgeber Brasilien erspart das einerseits Probleme, weil sich Behörden nicht der Frage stellen müssen, ob sie das russische Staatsoberhaupt festsetzen sollen oder nicht. Gleichzeitig wirft das Fehlen des russischen Präsidenten aber die Frage auf, wie aussagekräftig das Zusammentreffen überhaupt ist, schließlich hat auch Chinas Staatspräsident Xi Jinping bereits seine persönliche Teilnahme abgesagt. Eine so dünne Gipfelbesetzung gab es seit Jahren nicht mehr.
Auch ein Nato-Staat will Mitglied werden
Die Volksrepublik ist zusammen mit Brasilien, Russland und Indien eines der Gründungsmitglieder des Staatenbündnisses. Dessen Ursprünge gehen dabei ausgerechnet zurück auf das Wortspiel eines britischen Investmentbankers: Jim O’Neill arbeitete 2001 für Goldman Sachs und schrieb einen Aufsatz, in dem er ein starkes Wachstum prognostizierte für Länder, die bis dahin bei Anlegern nur eine Nebenrolle spielten: Brasilien, Russland, Indien und China. Aus ihren Anfangsbuchstaben formte O’Neill damals das Akronym „BRIC“, was auch deshalb griffig war, weil es klingt wie das englische Wort brick: Ziegelstein.
Diese kann man benutzen, um etwas aufzubauen, Dinge auszubessern oder auch zu verschönern. Gleichzeitig lässt sich mit Ziegelsteinen aber auch Bestehendes zerstören. Man kann Schaufenster einschmeißen und versuchen, die Weltordnung über den Haufen zu werfen, nicht zum Wohle der Menschheit, sondern zum eigenen Nutzen. Das, sagen Kritiker, sei eine der Hauptmotivationen von Mitgliedsländern wie Russland, Iran oder China.

Solange Brics kaum mehr war als ein loses Bündnis einer Handvoll Staaten, spielte das keine Rolle. Man redete untereinander, tauschte sich aus, mehr nicht. Heute hat die Gemeinschaft immer noch keinen festen Gründungsvertrag, dafür aber eine gemeinsame Entwicklungsbank mit Sitz in Shanghai und mehreren Milliarden Dollar Kapital. Dazu ist das Staatenbündnis in den vergangenen Jahren auch enorm gewachsen: 2010 wurde Südafrika Teil der Gruppe, aus Bric wurde Brics. Voriges Jahr traten Iran, Ägypten, Äthiopien und die Vereinigten Arabischen Emirate bei, Anfang dieses Jahres auch Indonesien. Und: Die Warteschlange für weitere Neuzugänge ist lang. Malaysia und Thailand würden gerne Mitglied werden, ebenso wie Nigeria, Kuba und Bolivien. Und im September stellte mit der Türkei sogar erstmals ein Nato-Mitglied einen Antrag auf Aufnahme.
Mit der Zahl der Mitglieder wächst automatisch das Gewicht in der Welt, gleichzeitig aber nimmt auch das Konfliktpotenzial innerhalb des Bündnisses zu. Einige Länder sind Rivalen, China und Indien zum Beispiel, oder Iran und Saudi-Arabien. Dazu gibt es eine große ideelle Trennlinie zwischen den Staaten: Auf der einen Seite die offen antiwestlichen Mitglieder, etwa Iran und Russland. Gleichzeitig aber sind da Nationen, die Europa und den USA neutral oder sogar freundschaftlich gegenüberstehen, Indien, Indonesien, Südafrika, besonders aber das Gastgeberland Brasilien.
Einige Mitgliedstaaten sind an Kriegen beteiligt
Dort verfolgt man schon seit Jahrzehnten eine multipolare Außenpolitik: Statt sich strikt auf einen großen geopolitischen Block festzulegen, pflegt man Beziehungen zu allen möglichen Akteuren, den USA ebenso wie China, zur Europäischen Union und auch zu Russland.
Kaum jemand steht so sehr für diesen Ansatz wie Luiz Inácio Lula da Silva. Der linke Staatschef von Brasilien tourt in seiner mittlerweile dritten Amtszeit unermüdlich um den Globus. Allein in den vergangenen zwölf Monaten war er in Mexiko wie in Japan, im Vatikan, in Frankreich, Vietnam, Kanada, den Vereinigten Staaten, China und Russland. Gleichzeitig begrüßt er die Welt auch bei sich zu Hause: In ein paar Monaten tagt im brasilianischen Amazonasgebiet die UN-Klimakonferenz. Und schon vergangenes Jahr fand in Rio de Janeiro der G-20-Gipfel statt.
Damals wurde das Verhandlungsgeschick des brasilianischen Präsidenten gelobt. Ob Lula beim Brics-Treffen auch so viel Erfolg hat, ist die Frage. Bei den großen Konflikten und Kriegen dieser Welt ist man in der Staatengemeinschaft vorsichtig mit einer Verurteilung, allein schon deshalb, weil Mitgliedstaaten wie Russland oder Iran selbst an ihnen beteiligt sind.
Kleinster gemeinsamer Nenner wird somit wie schon früher die Ablehnung einer vom Westen dominierten Wirtschaftsordnung sein. Dank US-Präsident Donald Trump ist das heute einfacher als je zuvor: Spätestens seit den Zolltiraden aus dem Weißen Haus ist klar, dass es gefährlich sein kann, sich zu sehr abhängig zu machen von den Vereinigten Staaten.
In Rio de Janeiro wird es den Brics-Staaten also auch darum gehen, neue Freundschaften zu schließen und Handelsbeziehungen einzugehen. Wie lohnenswert dieser Ansatz sein kann, zeigt Gastgeber Brasilien: Waren bis vor zwei Jahrzehnten noch die USA der wichtigste Handelspartner, ist es heute mit weitem Abstand die Volksrepublik China.