Zwei Walkerinnen, außerhalb von Ganslberg nach dem Weg auf den Ganslberg und dem Anwesen von Fritz Koenig gefragt. „Da müssen S’ umdrehen und dann in den Ort hinein. Wo der König genau wohnt, weiß ich nicht.“ Das sagt viel über die Distanz in einem Land, das mit Zugezogenen fremdelt. Denn Koenig und der Ganslberg, das ist eine Einheit.
Der 1924 geborene Würzburger, Spross einer Industriellenfamilie, kam als Fünfjähriger mit seiner Mutter nach Landshut und wuchs dort auf. Den Weltkrieg überlebte er schwer verletzt, studierte Kunst in München, wurde als Bildhauer erfolgreich, kaufte 1960 landwirtschaftlichen Grund in Ganslberg, einem Ortsteil des Marktes Altdorf nahe Landshut, und baute sich dort sein Reich als eine Mischung aus modernem Bauernhof, Gestüt, Atelier und Kunsthalle.

Von einer globaleren Warte aus betrachtet ist Koenig einer der wenigen weltbekannten deutschen Bildhauer – Teilnahme an Documenta und Biennale, Retrospektive in den Uffizien. Sein Hauptwerk, die „Große Kugelkaryatide N.Y.“ (1967/71), auch als „The Sphere“ bekannt, überstand den Angriff auf das World Trade Center und steht heute im New Yorker Liberty Park.
Es gab aber noch andere Koenigs, nicht nur den Bildhauer. Da ist zunächst der erfolgreiche Vollblutaraber-Züchter, dessen Hengst Nahbay in den Achtzigerjahren als das schönste Pferd der Welt gilt. Da ist der Planer, der 1960 zusammen mit dem Landshuter Architekten Karl Foerstl auf dem Ganslberg seine Vorstellung einer zeitgenössischen Hofanlage umsetzt.

In den Hang hineingebaut, schmiegt sich das Obergeschoss mit großer Fensterfront wie ein Bungalow in die Kuppe, die weiß verputzte Fassade der Hofseite ist mit unterschiedlichen Fenstergrößen rhythmisiert. Sie besticht mit einer mächtigen Eichenfassung um die Haustür, einer Loggia und dem großen Küchenfenster, das den Blick auf die Pferdeboxen ermöglicht. Darüber ein verbretterter Heustadl, das Ganze von Säulen getragen, die – feines Detail – auf Granitkapitellen stehen. Der Kühlschrank im Hauswirtschaftrakt hinter der Küche ist begehbar. Die mit Holz ausgekleideten Schlafkammern der Eheleute sind spartanisch, die Wand neben Koenigs Bett weist deutliche Abnutzung auf. Im Wohnzimmer lehnt ein Fernstecher am Fensterrahmen.
Hinter der Küche wurde auch das nordseitig ausgerichtete Atelier so belassen, wie es war. Zwischen Hofmauer und Wohnhaus führt eine breite Ziegeltreppe als Fuge zum Garten hinauf, das zweiflügelige Hoftor ist in perfekte Proportion zum Gebäude gesetzt, die ganze Anlage ist nach den Regeln des Goldenen Schnitts gebaut. Vom Wohnzimmer aus ein weiter Blick über Weiden auf Bäume, die Koenig gepflanzt hat. Den steilen Fahrweg hinunter zur Kugelhalle hat Koenig mit Durchblicken, Skulpturen und Findlingen inszeniert, auch hier überließ er nichts dem Zufall. Jedes Detail ist wichtig, in den Boxen für die Fohlen wurden die Riegel schräg montiert, die für ausgewachsene Pferde waagrecht. Seit 2021 steht das Ensemble, das der Dokumentarfilmer Dieter Wieland den „schönsten Bauernhof Niederbayerns“ nannte, unter Denkmalschutz.

Aber die Niederbayern gehen nicht zimperlich mit ihrer Heimat um, sie versiegeln gerne und andauernd. Das ehemalige Idyll Ganslberg musste auch einen Tribut an die Industriemoderne entrichten: Das permanente Rauschen der nahen Autobahn A 92, die man von 1977 an in die Landschaft wuchtete, um Deggendorf mit München zu verbinden. Für deren Bau wurde Koenig gezwungen, Teile seines Grundstücks zu opfern.
Mit Maria und zwei Stuten habe alles angefangen, das habe Koenig immer gesagt, erinnert sich Felix Adlon. Der Siebenundfünfzigjährige, der auch beruflich in die Fußstapfen des Vaters trat, kam schon als Kind auf den Ganslberg, seine Eltern waren enge Freunde der Koenigs, Percy Adlon („Out of Rosenheim“) drehte fünf Filme über Koenig. Bis heute schwärmt Sohn Felix, ein gelernter Koch, von der Kalbszunge, die Maria Koenig zubereitete.
Ein Ort mit vielen Lieblingsplätzen
Als Stipendiat in Paris hatte sich Koenig in die Kunst Afrikas verliebt und zu sammeln begonnen. Da ihm der Platz bald nicht mehr reichte, baute er zwei Hallen, heute Afrika- und Rosshalle genannt, je dreihundert Quadratmeter groß und damals nur deswegen im Außenbereich genehmigt, weil Koenig sie als Bewegungshalle für die Pferde und Heuschober deklarierte. Auch hier strenge Symmetrie. Die zusammen mit dem Architekten Joachim Zangenberg geplante Afrikahalle war früher Heimat der Sammlung, nun ist sie mit Ausnahme dreier hölzerner Betten von der Elfenbeinküste leer. Koenig hielt darauf gern ein Schläfchen – der Ganslberg hat viele Lieblingsplätze.
Koenig starb 2017, sieben Jahre nach seiner Frau, und seither wurde hauptsächlich und gern in der Öffentlichkeit gestritten, wie mit seinem Erbe umzugehen sei (F.A.Z. vom 14. Januar 2021). Der vergangenes Jahr verstorbene Percy Adlon hatte immer schon den Plan verfolgt, den Ganslberg als Gesamtkunstwerk zu erhalten, und endlich sieht es so aus, als käme man diesem Ziel näher, auch weil seine Witwe Eleonore und sein Sohn Felix sich in seinem Sinn weiter für das Projekt engagieren.

Das schafft nun das erste Mal den Sprung in die Öffentlichkeit, endlich können sich Kunstinteressierte selbst ein Bild machen. Unter dem Titel „Kosmos Koenig“ hat der Ganslberg seit dieser Woche für knappe zwei Monate bis 27. Juli seine Tore geöffnet. Daniel J. Schreiber, Direktor der Museen der Stadt Landshut, hat als Gastintendant die Veranstaltungsreihe eingerichtet mit einem umfangreichen Programm an Vorträgen, Führungen, Filmen und Workshops.
Im Stall sind die jeweils achtminütigen Interviews zu sehen, die Percy Adlon bis kurz vor seinem Tod mit zwei Dutzend Zeitzeugen und Weggefährten gedreht hat, darunter Herzog Franz von Bayern, Generalkonservator Mathias Pfeil, der Kunsthändler Alexander Rudigier, der Münchner Kunstgießer Hans Mayr, Historiker Michael Wolffsohn. Auch die Koenigs kommen zu Wort. Weil sie ihrem Freund Percy vertrauten, durfte der mit seiner neuen Digitalkamera und ganz ohne Kameramann am Esstisch und bei der Arbeit filmen.

In Rekordzeit ist das Anwesen für Besucher vorbereitet worden, die Kugelhalle am Fuß des Bergs dient als Veranstaltungsort, im Nebengebäude hat der Münchner Architekt Markus Stenger einen instruktiven Einblick in die Planungsphasen des Anwesens zusammengestellt. So macht er etwa auf konstruktive Parallelen aufmerksam, die Robert Venturis für seine Mutter Vanna in Philadelphia entworfenes Haus mit dem Ganslberg in Beziehung bringen.
Die Fritz-und-Maria-Koenig-Stiftung verwaltet den Nachlass des Künstlers. Sie hat den Bildhauer Christian Schnurer, der in München das Kunstareal Halle 6 auf die Beine gestellt hat, als Projektleiter eingesetzt. Er soll den Ganslberg in ein internationales Künstlerhaus verwandeln. Schon im August sollen nach moderater Modernisierung drei Zimmer im Haus von Künstlern bezogen werden, für Schulklassen soll der Heustadel über den Ställen als Matratzenlager umgebaut werden, Sanitärzellen sollen in den früheren Pferdeboxen Platz finden. Keine Umnutzung also, sondern eine Nutzung.
Zunächst müssen erst einmal die Einheimischen den Ganslberg für sich entdecken, die habe man, so Schnurer, „noch nie abgeholt“, der Großteil der Landshuter Kunstszene sei noch nie am Gansl-berg gewesen. Aus der regionalen Ausrichtung soll später eine internationale werden. Möglich wurde diese Wende, weil eine Machbarkeitsstudie vor drei Jahren das Potential des Anwesens eindeutig feststellte (F.A.Z. vom 9. Februar 2021). Und nun zieht auf einmal auch die Politik mit, der Markt Altdorf, die Stadt Landshut, der Bezirk Niederbayern, das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege, das Landwirtschaftsministerium, die CSU, alle machen den Geldbeutel auf.
Bayerns Kunstminister Markus Blume räumte bei der Vorstellung des Projekts am vergangenen Dienstag ein, er sei zunächst skeptisch gewesen, aber der öffentliche Druck sei doch sehr groß gewesen. Und dann nannte er den Ganslberg mehrmals „Zauberberg“. Fürs Erste also weißer Rauch über dem Elysium.
