Dieter Simon war mehr als zwanzig Jahre lang Direktor des Max-Planck-Instituts für Rechtsgeschichte in Frankfurt. Von 1989 bis 1992 stand er dem Wissenschaftsrat vor, dem maßgeblichen deutschen Beratungsgremium in wissenschaftspolitischen Fragen. Danach war Simon zehn Jahre lang Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
Das alles kann demjenigen, der Dieter Simon kennt (und wir kennen ihn seit mehr als dreißig Jahren), erstaunlich vorkommen. Denn der Zivilrechtler ist ein durchaus eckiger Zeitgenosse. Diplomatisch und konziliant wird ihn niemand nennen. Die Einstellung, sich am besten nur Freunde zu machen, war nie die seine. Im „Rechtshistorischen Journal“, das er von 1982 bis 2001 herausgab, wurde der Mainstream der Rechtsgeschichte regelmäßig scharf kritisiert und auf den Grill gelegt.
Den Wissenschaftsrat verließ er türenschlagend
Nachdem er das Journal aufgegeben hatte, gründete er wenig später die Zeitschrift „Myops“ (griechisch für „Stechfliege“) als eine Miniaturversion davon. Den Wissenschaftsrat verließ Simon türenschlagend und mit der sprichwörtlich gewordenen Bemerkung, die deutsche Universität sei „im Kern verrottet“. Das Amt an der Berliner Akademie trat er mit der erklärten Absicht an, sie dürfe bloß kein schläfriger Altersruhesitz wie all die anderen Akademien werden.
Nimmt man hinzu, dass Simons wissenschaftliches Spezialgebiet die Kunde vom byzantinischen Recht war, erscheint seine Karriere noch verblüffender. Ein Höhepunkt seiner Forschung war das „Lob des Eunuchen“, in dem er die osmanische Haremsjurisprudenz untersuchte. Abseitiger, könnte gesagt werden, geht es gar nicht. Gewiss hat Simon auch Studien zum nationalsozialistischen Recht betrieben und solche zur Illusion, man könne vom römischen Recht viel für die Gegenwart lernen.
Das trieb vielen seiner Kollegen die Zornesröte ins Gesicht. Durch sein streitlustiges Temperament zog er intelligente und risikobereite Schüler an. Seine Wirkung entfaltete er aber vor allem als Direktor, Herausgeber, Vorsitzender und Präsident.
Wie konnte das geschehen? Der akademische Lebensweg von Dieter Simon enthält eine erfreuliche Botschaft. Wie überall, so wird auch in der Wissenschaft und Wissenschaftspolitik der Konformismus belohnt. Doch von Zeit zu Zeit ergreift ein Bedürfnis nach Abweichung, Originalität und Dagegensein die Kommissionen. Sie finden dann, dass es doch nicht ausreicht, immer dasselbe zu sagen. Ob dieses Bedürfnis dann zu erheblichen Änderungen im Wissenschaftssystem führt, ist eine andere Frage. Vielleicht ist es nur der Reiz der Störung, der genossen wird. Aber was heißt hier „nur“? Von Dieter Simon, der heute neunzig Jahre alt wird, ging dieser Reiz aus.