WTF: Podcast-Pionier Marc Maron stellt Sendung ein

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»WTF« – kurz für »What the fuck« – ist einer der ersten erfolgreichen Podcasts der Internetgeschichte; laut NPR  wird er jedes Jahr 55 Millionen Mal abgespielt. Nach 16 Jahren hat der Comedian Marc Maron nun das Ende der Show verkündet. »Ausgebrannt« seien er und sein Producer Brendan McDonald, sagt er am Schluss der jüngsten Episode , in der er mit dem angesagten US-Comedian John Mulaney über den Kampf mit der Sucht, das Showgeschäft und Mulaneys neue Netflix-Show sprach. Es war die Folge Nummer 1648, die Lindenstraße kam in 34 Jahren auf 1758 Folgen.

Ausgebrannt, so konnte man Maron auch beschreiben, als er seine Karriere als Podcaster begann. Nach mehr als zwei Jahrzehnten als professioneller Komiker hatte er den Aufstieg in die erste oder auch nur zweite Liga verpasst. Gut bezahlte Talkshows, TV-Gastauftritte, eine eigene Sitcom oder gar eine Kinokarriere blieben ihm verwehrt. Zudem hatte er sich mit der halben Branche zerstritten, war unglücklich geschieden und hatte seinen Job beim dezidiert linksliberalen Sender Air America verloren. Also tat er, was man so oft bei Karrieresprüngen hört: Er erfand sich neu. Und – zumindest in Teilen – ein neues Genre.

Neubeginn nach Entlassung

Die Geschichte begann – so erzählen  es Maron und McDonald – noch in den Studios des Radiosenders, der ihn entlassen hatte. Statt Gags für ein politisch interessiertes Publikum zu machen, lud der Komiker Weggefährten ein, hauptsächlich andere Stand-up-Comedians, um mit ihnen in ungewohnt offener Weise über die Branche zu reden: über das Hochgefühl, wenn eine Nummer beim Publikum gut ankommt, über die Depressionen, wenn man »bombed«, also keinen Lacher erzielen kann, und sich stattdessen mit Zwischenrufern streiten muss. Er sprach über Drogenexzesse, ausbeuterische Klubbesitzer, Einsamkeit und Masturbation.

Der Name war Programm: Bei »WTF« wurde ausgesprochen, was im Radio oder im Fernsehen unsagbar war, weil es die amerikanische Aufsichtsbehörde FCC auf den Plan gerufen hätte. Oft genug lud Maron Gäste ein, mit denen er einen offenen Streit schlichten wollte. Nach ein, zwei Stunden endete das Gespräch oft mit der Frage: »Are we good?« – eine Mischung aus »Können wir uns nun wieder vertragen?« und »Sind wir nun fertig?«.

Podcasts waren damals noch kein Massenphänomen. Nicht einmal Apple wusste so recht etwas mit dem neuen Genre anzufangen, obwohl dessen iPods den Namen geprägt hatten. Das Unternehmen bestand damals noch darauf , dass man sich neue Podcastepisoden erst auf seinen Computer herunterladen müsse, um sie anschließend auf iPod oder iPhone zu überspielen. Erst viel später erlaubte der Konzern seinen Nutzerinnen und Nutzern, neue Folgen per WLAN oder Mobilfunk auf ihre Abspielgeräte zu laden.

 Große Ehre für Podcaster Marc Maron

Gastauftritt bei den Simpsons: Große Ehre für Podcaster Marc Maron

Foto: 20th Century Fox Licensing / Everett Collection / picture alliance

Karriereneustart

Wer Maron von Beginn an genau zuhörte, konnte verfolgen, wie eine neue Branche entstand. Das Internet erlaubte Podcastern, viele Konventionen der etablierten Medien zu unterlaufen. Er fluchte ohne Hemmungen, sprach über Sex, Gewalt und Missbrauch. Und da er die Sendung aus seiner Garage in Los Angeles produzierte, musste er keine Rücksicht auf Arbeitgeber nehmen oder in Produktionsmeetings sitzen. Gleichzeitig wuchs das Zweimannunternehmen zu einer nicht zu unterschätzenden Größe heran. Aus amateurhaften Werbespots wurde ein Geschäft. Viele neue Podcaster kopierten Maron, entwickelten das Geschäftsmodell und die Routinen weiter.

Maron war ein Influencer, bevor das Wort zum Sprachgebrauch gehörte. Doch wie finanziert man seinen Lebensunterhalt, wenn man zweimal wöchentlich neue Kostenlos-Interviews publizieren muss, für die andere Talkmaster eine ganze Redaktion einspannen können? Die Einnahmen aus der Werbung reichten zu Beginn gerade aus, um Marons Kaffeebedarf zu befriedigen. Also nutzte er seinen Podcast als Werbeplattform für sich selbst, für seine Stand-up-Comedy, für sein neues Buch, verkaufte bedruckte T-Shirts und Kaffeetassen.

Mit der Bekanntheit des Podcasts wurden auch die Namen der Gäste bedeutender. Jerry Seinfeld , Robin Williams , Roseanne Barr.  Zudem wurden Marc Maron Angebote gemacht: eine eigene autobiografische Sitcom bei einem Spartensender, eine Dauerrolle bei der Netflix-Show »GLOW«. Große Auftritte in kleinen Filmen  und kleine Auftritte in großen Filmen . Zu den weltweit bekannten Top-Comedians gehört Maron noch immer nicht, aber zur ersten Liga der Podcaster. Im Jahr 2015 trat Präsident Barack Obama im Wahlkampfmodus durch Marons Garagentür, vier Jahre später bekam der Podcaster einen Gastauftritt bei den Simpsons. Höhere Ehren gehen für einen Performer kaum.

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Eine Stimme unter vielen

Aus dem Pionier des Podcastings ist mittlerweile eine Stimme unter vielen geworden. Heutzutage gibt es kaum noch arbeitende US-Comedians, die nicht zumindest gelegentlich zum Podcastmikrofon greifen, um Material auszuprobieren, Beziehungen zu pflegen und Werbegeld zu verdienen. Der Arbeitsprozess von Comedys gehört mittlerweile so zum Allgemeinwissen, dass sich neue Shows wie »Hacks« nicht damit aufhalten müssen, Details zu erklären. Wer ein Comedy-Special bei Netflix oder HBO aufnehmen will, muss sein Material in Dutzenden Auftritten erproben, am Timing feilen, schlechte Pointen wegwerfen.

Mit seiner Bekanntheit wurde Maron Mainstream. Er ließ seine Zuhörer an seinen Beziehungen, seinen Erfolgen und täglichen Problemen – meist mit seinen Katzen – teilhaben. Doch seine menschlichen Partnerinnen schätzten es nicht immer, wie er sich öffentlich über das gemeinsame Privatleben ausließ.

Heute sucht Maron keine Kontroversen mehr, seine Gästeliste wird nicht mehr aus jahrelang gepflegten Freund- und Feindschaften bestückt, sondern vor allem aus dem Repertoire der Agenturen, deren Klienten neue Shows bewerben wollen. Nicht immer weiß Maron vorher, wem er da in seiner eigenen Garage begegnen wird. Das Fluchen beschränkt er inzwischen weitgehend auf den Vorspann, in dem er sein Publikum als »WhatTheFuckers« begrüßt. Seine Gäste nutzen die Gelegenheit jedoch gern dazu, mehr zu offenbaren als in den üblichen TV-Talkshows.

Die Zeit hat Maron eingeholt. Aus dem rebellischen Anti-Establishment der Anfangsjahre wurde ein Establishment, das nicht mehr von TV-Managern, sondern von Apple, Google und Spotify dominiert wird. Wer sich in der Apple-Podcastbibliothek etwa die neueste Folge von »WTF« anhören will, bekommt eine Warnung: »Melde Dich an, um anstößige Inhalte anzuhören.«

Noch ein paar Monate werden Maron und McDonald weitermachen, dann ist Schluss mit dem Podcast.

»Are we good?« – Sicherlich.

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