Was kann Kiro, was Copilot nicht versteht? Amazon stellt eigene KI-IDE vor

vor 11 Stunden 1

Amazon hat mit Kiro eine eigenständige, KI-gestützte Entwicklungsumgebung (IDE) vorgestellt, die über klassische Code-Autovervollständigung hinausgeht und auf spezifikationsgetriebene Softwareentwicklung setzt. Entwickelt von einem kleinen, unabhängigen Team innerhalb von AWS, soll Kiro vor allem mittlere und große Unternehmen unterstützen, komplexe Softwareprojekte strukturiert und effizient umzusetzen.

Kiro basiert technisch auf einem Fork von Code OSS, dem Open-Source-Kern von Visual Studio Code, ist aber als eigenständige IDE konzipiert. Laut AWS-Entwickleradvokat Nathan Peck ist Kiro bewusst "leicht von AWS entkoppelt", um auch Entwicklerinnen und Entwickler außerhalb des AWS-Ökosystems anzusprechen. Die Nutzung ist ohne AWS-Konto möglich, beispielsweise über Google oder GitHub.

Im Zentrum von Kiro stehen sogenannte Specs, strukturierte Anforderungs-, Design- und Aufgabenbeschreibungen, die in Markdown-Dateien organisiert sind (requirements.md, design.md, tasks.md). Die Anforderungen folgen dem EARS-Standard (Easy Approach to Requirements Syntax), der ursprünglich von Rolls Royce entwickelt wurde. Diese Spezifikationen dienen sowohl der KI als auch den Developern als Referenzrahmen für den gesamten Projektverlauf.

Kiro wandelt einen einzelnen Prompt in strukturierte User Stories mit EARS-Akzeptanzkriterien um, einschließlich typischer Randfälle.

(Bild: kiro.dev)

Ein weiteres zentrales Element sind Hooks, automatisierte Aktionen, die durch Ereignisse wie Dateispeichern oder -erstellen ausgelöst werden. Sie generieren Tests, führen Sicherheitsüberprüfungen durch oder aktualisieren die Dokumentation. Hooks werden in sogenannten Agentic Actions beschrieben und sind konfigurierbar. Kiro arbeitet dabei mit Claude Sonnet 4.0 als Standard-LLM.

Aus einem Praxisbericht bei devclass.com geht hervor, dass besondere Vorsicht beim Autopilot-Modus geboten ist: Hier darf die KI eigenständig Änderungen am Code vornehmen. Alternativ lässt sich der Supervised-Modus aktivieren, in dem Nutzerinnen und Nutzer alle Änderungen genehmigen müssen. Kritische Aktionen (z. B. Installation von npm-Modulen) benötigen immer eine explizite Zustimmung. Für mehr Kontrolle lassen sich Zulassungslisten definieren.

Während GitHub Copilot auf allgemeinen Codevorschlägen basiert und vor allem Einzelentwicklern oder kleinen Teams hilft, bietet Kiro einen deutlich umfassenderen Funktionsumfang für Unternehmen. Es kennt interne APIs, Deployment-Patterns, Review-Kommentare und Architekturentscheidungen.

In der Praxis zeigt sich das etwa bei Code-Reviews, der Einhaltung von Sicherheitsrichtlinien (z. B. SOC2, HIPAA) oder der Standardisierung von Deployment-Konfigurationen. Offenbar kann Kiro selbst bei der Einarbeitung neuer Teammitglieder aushelfen, da es internes Wissen dokumentiert und zugänglich macht.

Kiro befindet sich derzeit in der Preview-Phase und lässt sich kostenlos testen. Danach ist ein gestaffeltes Preismodell geplant: Die Free-Version umfasst 50 "agentic interactions" pro Monat und Nutzer, Pro-Konten kosten 19 $/Monat (1.000 Interaktionen), Pro+ 39 $/Monat (3.000 Interaktionen). Weitere Interaktionen kosten 0,04 $ pro Stück. Eine Interaktion kann dabei mehrere Minuten dauern, beispielsweise wenn Kiro eine komplexe Aufgabe mit mehreren Iterationen bearbeitet.

Amazons Entwicklungsumgebung unterstützt insbesondere die Sprachen TypeScript/JavaScript, Python und Java. Einschränkungen gibt es für .NET-Entwicklerinnen und -Entwickler, da Kiro auf die Open VSX-Registry setzt und proprietäre Erweiterungen von Microsoft (z. B. C#) nicht unterstützt.

Kiro grenzt sich in einem zunehmend überfüllten Markt für KI-Entwicklungstools durch seine Spezifikationsorientierung und Governance-Funktionen klar ab. Es will nicht nur schnelleres Coden ermöglichen, sondern strukturierte, wartbare und organisationskonforme Softwareentwicklung fördern. Zwar bleibt ein menschlicher Entwickler weiterhin unverzichtbar, doch Kiro könnte viele Routineaufgaben übernehmen und Teams bei dem Prozess unterstützen, von Prototyp zu Produktion mit weniger Reibungsverlusten zu gelangen – und das plattformübergreifend.

Nähere Informationen finden sich im Ankündigungsbeitrag auf der offiziellen Website.

(mdo)

Gesamten Artikel lesen